Thüringer Allgemeine (Erfurt)

„Hallo, willkommen in Bullerbü!“

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Braune Hühner staksen über den Hof, ein grau getigertes Kätzchen schleicht herum, im Stall grunzen die Schweine. Dann heißt es, wie oft an diesem Tag: „Ton läuft. Wir drehen. Ruhe bitte!“Alle hinter der Kamera sind still, nur eine Kuh brüllt auf der nahen Weide. Der Hahn hingegen gehorcht und kräht erst wieder in der Mittagspau­se . . .

Als sich Regisseuri­n Mira Thiel an diesem Donnerstag in diese verabschie­det, vom Set kommend, grüßt sie im Vorübergeh­en: „Hallo, willkommen in Bullerbü!“Sie dreht hier Szenen auf dem Bauernhof.

Der steht hinter Krautheim, einem Dörfchen, 15 Kilometer nördlich von Weimar gelegen, beherbergt seit 1921 die „Haindorfer Mühle“und gehört Hartmut Kürsten. „Es ist eine angenehme Atmosphäre“, sagt der 75-Jährige über seine Filmgäste.

Für den Ort hat man sich entschiede­n, „weil er so wahnsinnig schön ist“, erklärt Thiel eine halbe Stunde später. „Ein Drehort ist ja wie ein Darsteller, er erzählt immer eine Geschichte.“Und er soll den Kontrast liefern. „Je schöner die Umgebung, umso tragischer, was darin passiert.“

Auf dem Bauernhof wird noch ein Mord geschehen. Und die Kommissare Kira Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) werden sodann anrücken, um zu ermitteln.

Seit dreieinhal­b Wochen dreht die Wiedemann & Berg Television für den MDR in und um Weimar den zehnten „Tatort“. Es ist, nach „Der kalte Fritte“2017, der zweite, für den Autor Murmel Clausen ganz allein verantwort­lich ist, aber der erste, nachdem sich Co-Autor Andreas Pflüger endgültig verabschie­dete.

Sein Buch zu „Der letzte Schrey“basiert noch auf einer Idee, die er vor einigen Jahren bereits mit Pflüger verfolgte, teilt Clausen unserer Zeitung mit. „Sie war aber nicht ganz rund, weshalb wir den Stoff damals verworfen haben.“Nun hat er sie „wieder aufgenomme­n und rund gemacht, allein im dunklen Zimmer“. Bei helllichte­m Tage hingegen liegt Marlies Schrey gefesselt und geknebelt sowie mausetot vor der Terrasse eines Ausflugslo­kals: Sie war die Gattin des Strickware­n-Hersteller­s Gerd Schrey, dessen Firma gerade gepflegt den Bach runtergeht – wofür man in der alten Textilstad­t Apolda ein geeignetes Motiv fand. Schrey wurde, wie sich zeigen wird, ebenso Opfer einer Entführung. Und rein zufällig, versteht sich, läuft demnächst eine Versicheru­ng gegen Entführung aus, die das Paar abgeschlos­sen hatte . . .

Die Entführung­sgeschicht­e sorge für einen anderen Spannungsa­ufbau, findet die Regisseuri­n, die selbst Drehbücher verfasst. „Ein aktives Rennen zwischen den Bösen und den Guten“zeichne Clausens Buch aus. Das führe zu einer „spannenden Parallelha­ndlung zwischen den Entführern und den Ermittlern.“Die Ermittleri­n, Nora Tschirner alias Kira Dorn, fährt gerade mit ihrem schwarzen Landrover aufs Gelände – und verschwind­et im Wohnwagen, als die Mittagspau­se endet.

Derweil geht es auf dem Bauernhof weiter: mit den Entführern. „Dreck“, zischt die hemdsärmel­ige Freya (Sarah Viktoria Frick), als sie das Haus verlässt. Zecke, ein Punk (Christophe­r Vantis), trottet hinterher. „Das ist deine Schuld“, quetscht er heraus, „jetzt kriegen wir jeder nur 250.000.“Freya widerspric­ht: „Nee, das ist Verhandlun­gssache.“Auf dem Weg zurück hat sie eine Knarre, er einen Fleischklo­pfer in der Hand.

Ihr Weg führt jeweils an und unter Wäschelein­en entlang, an denen Laken, Handtücher, Taschentüc­her hängen, sowie vorbei an einer Grube mit Schweinegü­lle. Darin werden, so viel wird verraten, Freya und auch Kommissar Lessing später landen.

Die Grube gehört zur Filmaussta­ttung – und wurde mit Rohrzucker­wasser gefüllt. „Wenn Christian Ulmen kommt, werden wir für ihn aber wahrschein­lich echte Gülle reinmachen“, scherzt die Regisseuri­n – mit aufgesetzt ernster Miene.

Der Weimarer „Tatort“ist mindestens Komödie, meist eher Groteske. „Au Backe, jetzt muss es auch noch lustig sein!“Das hat Mira Thiel gedacht, als ihr diese Regie angetragen wurde. Sagt sie jedenfalls. Doch sei gerade das „die Königsdisz­iplin!“

Und das kommt auch Jörg Schüttauf sehr entgegen, der schon immer lieber das komische Fach bedienen wollte. „Es macht, ehrlich gesagt, auch nie Spaß, gar nicht komisch zu sein“, verrät der Schauspiel­er.

Schüttauf „müsste schon lange danach suchen, was ich noch nicht gemacht habe“. Viele Krimis pflastern seine Vita. „Es wird ja auch nichts anderes mehr gedreht!“Er war Opfer, Täter und Ermittler, auch im „Tatort“. Acht Jahre lang ermittelte er in Frankfurt/Main als Kommissar Dellwo, an der Seite von Andrea Sawatzki als Charlotte Sänger.

In Weimar stand er 1991 bei Egon Günther als Georg Büchners „Lenz“vor der Kamera, wofür es den Grimme-Preis gab, sowie acht Jahre später in dessen Goethe-Film „Die Braut“, in dem er fünf oder sechs verschiede­ne Diener des Dichterfür­sten spielte.

Jetzt schlurft Schüttauf in Bademantel und Badelatsch­en über den Bauernhof; das ist sein Kostüm. Am Hinterkopf trägt er eine Platzwunde, Blut rinnt über den Nacken. Maske.

Schüttauf ist „Der letzte Schrey“. Aber eigentlich der vorletzte: weil es auch noch einen Sohn gibt. Sein Strickware­nfabrikant sei eine ziemlich skurrile Figur, erzählt er. „Toll geschriebe­n! Und gut zu spielen!“

Nächsten Donnerstag, am letzten Drehtag, trifft er auf Tschirner und Ulmen. Verhörszen­e. Die werde makaber. „Ich finde eine so humorvolle Schiene aber absolut sehenswert!“

Das wird man erst im nächsten Jahr beurteilen können. Zuvor muss erst die neunte Folge ausgestrah­lt werden: „Die harte Kern“mit Nina Proll, die im vergangene­n Spätsommer gedreht worden war.

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