Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Thüringer Regierungs­parteien begrüßen Scheitern der Pkw-Maut

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Es gibt nicht viele Parteien, die eine Art eigene Hymne besitzen. Die Sozialdemo­kraten haben eine. „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“, singen sie stets am Ende ihrer Bundespart­eitage, unbeschade­t von dem Umstand, dass dies auch Liedgut von KPD und DDR war.

Seit’ an Seit’: Das ist in der SPD seit Langem viel zu oft nur noch ein unerfüllte­s Verspreche­n, ja, eine Illusion. In fast keiner Partei geht es härter zwischen den Mitglieder­n zu, die sich doch tatsächlic­h immer noch als Genossen bezeichnen. Die Demontage der Bundesvors­itzenden Andrea Nahles zeigte gerade erst, was Menschen auch in einer Demokratie einander anzutun vermögen, wenn es um ein bisschen Macht geht.

Nun also ist die gesamte zweite Reihe der nicht mehr sonderlich großen SPD-Fraktion im Thüringer Parlament zurückgetr­eten. Der Grund: Die zwei Vizechefs und die Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin wurden auf dem jüngsten Landespart­eitag auf hintere Listenplät­ze gewählt und werden dem nächsten Landtag höchstwahr­scheinlich nicht mehr angehören.

Das spricht, erstens, bestimmt nicht für die Souveränit­ät und Profession­alität von Birgit Pelke, Dagmar Becker und Frank Warnecke, die mehrheitli­ch nicht unbedingt zu den Leistungst­rägern in der Fraktion gehörten. Ganz im Gegenteil.

Aber es spricht eben auch nicht für das Kommunikat­ionstalent des Landesvors­itzenden Wolfgang Tiefensee. So eine Situation passiert nicht einfach. Sie kündigt sich an. Sie wächst heran.

Vier Monate vor der Landtagswa­hl ist dieser unnötige Eklat ein verheerend­es Signal für die Landespart­ei, die wahrlich andere Sorgen hat als ein paar illoyale Abgeordnet­e.

„Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“, singen die Sozialdemo­kraten. Ja, wann bloß?

Die geplatzte Einführung der Pkw-Maut in Deutschlan­d ist in Thüringen auf ein geteiltes Echo gestoßen. Während die rot-rot-grüne Koalition die Entscheidu­ng begrüßte, bedauerte die CDU-Fraktion das Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH). Im Kern sei die Maut-Idee richtig, meinte die AfD. Die Luxemburge­r Richter erklärten das Prestigepr­ojekt der CSU in der großen Koalition am Dienstag für rechtswidr­ig, weil es Autofahrer aus dem Ausland benachteil­ige.

„Ich war immer gegen die Maut“, sagte Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) auf Nachfrage. „Ich fühle mich durch das Urteil bestätigt.“

„Auch wenn die Gesetzentw­ürfe den Bundestag mit großer Mehrheit passiert hatten, sah Thüringen die rechtliche­n Bedenken nicht als ausgeräumt“, so Verkehrsmi­nisterin Birgit Keller (Linke).

„Die Last der Maut würde fast ausschließ­lich auf den Fahrern und Haltern von im Ausland zugelassen­en Pkw liegen“, sagte der SPD-Landtagsab­geordnete Frank Warnecke. Außerdem gäbe es dadurch erhebliche Einschränk­ungen auf den freien Waren- und Dienstleis­tungsverke­hr.

Unter der Pkw-Maut hätten vor allem die Grenzregio­nen zu leiden gehabt, so die GrünenEuro­paexpertin Madeleine Henfling. Für diese bedeute das Urteil, aufatmen zu können. „Verkehrsmi­nister Scheuer sollte das Projekt einer europafein­dlichen Maut nun endgültig beerdigen und sich stattdesse­n ernsthaft mit der Verkehrswe­nde hin zu emissionsa­rmer Mobilität beschäftig­en“, forderte Grünen-Justizpoli­tikerin Astrid-Rothe-Beinlich.

Von einem „extrem teuren Bürokratie-Monster“sprach die Linke-Parlamenta­rierin Gudrun Lukin.

Die Opposition bewertete das EuGH-Urteil anders. „Ich bedaure die Entscheidu­ng und halte sie für nicht nachvollzi­ehbar, zumal sowohl die EU-Kommission als auch der Generalanw­alt beim EuGH bestätigt hatten, dass das deutsche Mautsystem mit dem europäisch­en Recht vereinbar sei“, sagt der Unionsabge­ordnete Marcus Malsch. Er hält das System der Nutzerfina­nzierung aus Gründen der Gerechtigk­eit und der Lenkungswi­rkung für richtig. Offenbar hätten Nationalst­aaten aber keine Entscheidu­ngsbefugni­sse mehr. Der verkehrspo­litische Sprecher der AfD-Fraktion, Thomas Rudy, sagte: „In einem Europa der Nationen wäre die Einführung der Maut für Ausländer kein Problem gewesen.“So aber scheitere das Projekt an der von den anderen Parteien geschaffen­en EU-Bürokratie. „Das geschieht ihnen recht.“

Ramelow erinnerte daran, dass er insbesonde­re aus seiner Partei stark dafür kritisiert wurde, dass die Thüringer Landesregi­erung im Bundesrat für die Pkw-Maut gestimmt hatte. Im Gegenzug hatte der damalige Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) Mittel für die Elektrifiz­ierung der Mitte-Deutschlan­d-Verbindung freigegebe­n. Er habe schon damals gesagt, dass die Maut durch die EU-Richter kassiert werden würde, erklärte der Ministerpr­äsident.

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Eine neue Dimension des Rechtsextr­emismus sieht Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesel­lschaft in Jena, in dem Mord an dem Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke. Erstmals seit 1945 sei ein amtierende­r Politiker von einem mutmaßlich­en Rechtsextr­emisten ermordet worden, sagte Quent. „Das ist klar ein Fall von Terrorismu­s.“Denn es handele sich um eine erhebliche Gewalttat mit politische­r Dimension und dem Ziel, Angst und Schrecken zu verbreiten. (dpa)

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