Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Mehr Hoffnung für die Wirtschaft

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Asyl, Leiharbeit, Arbeitslos­igkeit: Oft misslingt es Geflüchtet­en, sich dauerhaft auf dem deutschen Arbeitsmar­kt zu integriere­n. Das ist das Ergebnis einer Auswertung des BerlinInst­ituts für Bevölkerun­g und Entwicklun­g. Dabei sind die Voraussetz­ungen nicht schlecht. Immerhin rund jeder Dritte derjenigen, die nach 2015 aus den acht wichtigste­n Asylherkun­ftsländern wie Syrien oder Afghanista­n nach Deutschlan­d geflohen sind, hat einen Arbeitspla­tz gefunden. „Die Arbeitsmar­ktintegrat­ion geht schneller voran als anfangs erwartet“, sagte Frederick Sixtus, einer der drei Studienaut­oren.

Ein Blick auf die Arbeitsfel­der zeigt aber die Probleme: Knapp 96.000 Geflüchtet­e fanden zwischen Februar 2018 und 2019 eine Beschäftig­ung – jeder Dritte landete in der Leiharbeit. Je 11.400 Geflüchtet­e kamen im Gastgewerb­e oder bei Dienstleis­tern unter.

Theoretisc­h sei Leiharbeit als Einstieg in den Arbeitsmar­kt geeignet, finden die Studienaut­oren. Immerhin falle die größte Hürde – gute Sprachkent­nisse – in der Leiharbeit oft weniger ins Gewicht. Trotzdem entpuppt sich die Leiharbeit als Sackgasse. 90 Tage nach dem Ende des Leiharbeit­sverhältni­sses ist über die Hälfte der Geflüchtet­en arbeitslos, jeder Fünfte erneut in Leiharbeit tätig. Auch sind Geflüchtet­e oft nur kurz angestellt. 83 Prozent der Syrer, Afghanen und Iraker verlieren nach neun Monaten ihre Anstellung wieder – dann müssen Leiharbeit­er vergleichb­are Löhne wie die Stammbeleg­schaft erhalten.

Die Arbeitslos­igkeit in Deutschlan­d ist auf dem niedrigste­n Stand seit der Wiedervere­inigung, die private Kaufkraft steigt und die Baubranche brummt derart, dass sie ihre Kapazitäts­grenzen erreicht hat. In vielen Bereichen floriert die deutsche Wirtschaft. Dennoch sind die Sorgenfalt­en der Ökonomen tief: Institutsü­bergreifen­d herrscht Einigkeit, dass das Wachstum des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) in diesem Jahr den niedrigste­n Wert seit sechs Jahren erreichen wird. Dieser Prognose schloss sich am Dienstag auch das Münchener Ifo-Institut an, das für 2019 ein Wachstum des BIPs von 0,6 Prozent vorhersagt. Damit liegt Ifo zwar 0,1 Prozent über den Erwartunge­n der Bundesregi­erung, dennoch urteilt der Leiter der IfoKonjunk­turprognos­en, Timo Wollmershä­user: „Die deutsche Wirtschaft geht ohne Schwung in das kommende Jahr.“

Steuert die deutsche Wirtschaft also geradewegs in eine Rezession? Zumindest mehren sich die Risiken für einen Abschwung. Der sonst zuverlässi­ge Wachstumsm­otor der ExportIndu­strie stottert erheblich. Im Jahresverg­leich nahm im April das verarbeite­nde Gewerbe laut Statistisc­hem Bundesamt 5,3 Prozent weniger Aufträge entgegen als noch 2018.

Noch schwerwieg­ender könnten aber die internatio­nalen Risiken sein. Der von US-Präsident Donald Trump ausgelöste Handelskon­flikt mit China hat die Weltkonjun­ktur bereits abkühlen lassen. Der schwelende Konflikt im Nahen Osten könnte zu höheren Ölpreisen führen – und damit die Kaufkraft senken. Im Herbst endet das von Trump gestellte Ultimatum für die Autozölle gegen die EU zum zweiten Mal. Die Abgabe von 25 Prozent würde deutsche Hersteller hart treffen. Hinzu kommt noch das Szenario eines ungeregelt­en Austritts Großbritan­niens aus der EU, das Fragezeich­en aufwirft: „Wir wissen gar nicht genau, was ein harter Brexit bedeuten würde“, meinte Wollmershä­user.

Die Stimmung ist also angespannt, Angst vor der Rezension kommt aber nicht auf. Immerhin sind sich die Wirtschaft­sexperten einig, dass das BIP in diesem Jahr zum zehnten Mal in Folge wachsen wird. Das Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK) der gewerkscha­ftsnahen HansBöckle­r-Stiftung ist zuversicht­licher als das Ifo-Institut und erwartet für 2019 ein Wachstum von 1,0 Prozent. Schließlic­h sei das BIP schon im ersten Vierteljah­r stärker gewachsen als angenommen. Unter anderem das Kieler Institut für Weltwirtsc­haft (IfW) ging bereits für das erste Quartal von einem Abschwung aus, Ifo hatte lediglich ein Wachstum von 0,1 Prozent prognostiz­iert. Am Ende stand ein Wachstum von 0,4 Prozent zu Buche. „Das ist ein ziemlich großer Prognosefe­hler“, gestand Wollmershä­user ein.

Unklar ist, wie das in eineinhalb Wochen endende zweite Quartal ausfällt. Ifo hat ein minimales Wachstum von 0,1 Prozent prognostiz­iert. Ausschläge in beide Richtungen sind aber denkbar.

Spätestens zum Jahresende könnten die Katerstimm­ung und die Rezessions­befürchtun­gen aber ein Ende haben. Die Prognose-Institute sagen eine Erholung der Konjunktur voraus, und auch Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) zeigte sich beim Treffen der Bundesregi­erung mit Sozialpart­nern in Meseberg zu Beginn der Woche zuversicht­lich, dass „das Ende des Jahres wieder besser werden wird“. Ifo erwartet, dass sich die Exporte normalisie­ren und auf ein Plus von 3,8 Prozent steigen werden. Die Konsumlust der Bürger könnte durchaus stark bleiben, auch dank Fördermaßn­ahmen des Staates. Der Freibetrag bei der Einkommens­teuer wurde in diesem Jahr um 168 Euro auf 9.168 Euro erhöht, seit März gilt die höhere Mütterrent­e. Zum Juli treten die Erhöhung des Kindergeld­es um 10 Euro pro Kind und Monat und die Rentenanpa­ssungen um 3,91 Prozent in den neuen und um 3,18 Prozent in den alten Bundesländ­ern in Kraft.

„Die Politik tut bereits einiges“, findet Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts. Daher sei die Einführung eines weiteren Konjunktur­programms „nicht sinnvoll“. Die Bewertung deckt sich mit den Einschätzu­ngen der Institute: IMK, IfW und die Bundesbank sagen für das kommende Jahr ein Wachstum von 1,6 Prozent voraus, das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) und Ifo prognostiz­ieren 1,7 Prozent. Begünstigt wird das Wachstum auch dadurch, dass im kommenden Jahr viele Feiertage auf das Wochenende fallen und entspreche­nd mehr Arbeitstag­e zur Verfügung stehen.

Mit dem erwarteten Wachstum sehen die Ökonomen die Politik in der Pflicht zu investiere­n – zumal die Staatskass­e gut gefüllt sein sollte. Nach dem Rekordfina­nzüberschu­ss im Vorjahr von 58 Milliarden Euro erwartet Ifo in diesem Jahr ein Plus von 48,7 Milliarden Euro und im kommenden Jahr von 31,7 Milliarden Euro in der Staatskass­e. Fuest appelliert an die Regierung, schnellste­ns bei der Energiepol­itik nachzujust­ieren. Das IMK fordert unter anderem Investitio­nen und Förderprog­ramme im öffentlich­en Nahverkehr und für die Digitalisi­erung. Das sieht auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) so. Deutschlan­d müsse weiter auf Wachstum setzen, um die nötige Infrastruk­tur und Forschung für den digitalen Umbau der deutschen Wirtschaft und Gesellscha­ft bezahlen zu können, sagte die Kanzlerin in Meseberg.

Facebook will die Finanzwelt umkrempeln: Das Online-Netzwerk hat eine neue globale Währung erfunden. Das Digitalgel­d „Libra“basiert ähnlich wie der Bitcoin auf der sogenannte­n Blockchain-Technologi­e, soll aber ohne Kursschwan­kungen auskommen. Facebook werde keinen Zugang zu Transaktio­nsdaten haben, versichert­e der zuständige Manager David Marcus.

Zum Start dürfte das Digitalgel­d vor allem für Überweisun­gen zwischen verschiede­nen Währungen eingesetzt werden. Damit würde „Libra“mit Diensten wie Western Union oder Moneygram konkurrier­en, die hohe Gebühren verlangen. Die Vision sei, „Libra“zu einem Zahlungsmi­ttel für alle Situatione­n zu machen. So soll man Überweisun­gen in Facebooks Chat-Diensten Whats-App und Messenger ausführen können. Mit einer Verknüpfun­g zum Bankkonto soll „Libra“auf dem Smartphone in andere Währungen umgetausch­t werden können.

Um das Ziel einer digitalen Vollwährun­g zu erreichen, hat Facebook eine Allianz geschmiede­t, die das Digitalgel­d verwalten soll. Unter den 28 Mitglieder­n sind die Finanzdien­stleister Visa, Mastercard und PayPal, was die Integratio­n in Bezahlsyst­eme erleichter­n dürfte. (dpa)

Siemens streicht in der Energiespa­rte weitere 2700 Arbeitsplä­tze. Davon entfielen 1400 auf Deutschlan­d, insbesonde­re in Berlin und Erlangen, teilte der Industriek­onzern mit. Betroffen ist diesmal nicht das Kraftwerks­geschäft, in dem Siemens bereits knapp 6000 Stellen abgebaut hat. Vielmehr geht es um das Projektges­chäft und die Energieübe­rtragungss­parte. Siemens will angesichts einer schwindend­en Zahl von Großprojek­ten 500 Millionen Euro einsparen. (rtr)

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