Die Sehnsucht nach dem Stammtisch
Seit gut einer Woche dürfen Kneipen wieder Gäste empfangen. Für die kleinen wie das „Ilvers“ein enormer Kraftakt
Erfurt. Der Wenigemarkt ist mit Tischen voll gestellt. Meist zwei Leute sitzen an einem, manchmal aber auch vier Männer, die nicht wie Brüder aussehen. Hinter der Krämerbrücke stehen an einer Terrasse Liegestühle in zwei Reihen. Dicht sitzen auch die Nachtschwärmer auf den Bänken rings um die Beete. Die Erfurter haben Lust auf den Kneipenabend. Und das an einem Dienstag.
Sind also die alten Zeiten schon zurück? Zwei kleine Tische stehen auch vor der Musikbar „Ilvers“in der Magdeburger Allee. „Bis an den Tisch mit Maske. Und wenn du aufs Klo willst auch. So sind die Regeln“. Das sagt Jonathan Weidner, der Wirt, zur Begrüßung. Wenn man mit dem Gewusel in der Innenstadt vergleicht, herrscht hier Recht und Ordnung. Die Theke ist mit rot-weißem Band abgesperrt, im Innenhof sind zwischen den Tischen Trennwände aufgestellt.
Bis zum Zeitpunkt, als Corona alles veränderte, war das „Ilvers“eine gut Symbiose zwischen Nachbarschaftskneipe und Musikbar. Nun, seit gut einer Woche, versuchen die
Betreiber Jonathan Weidner und Florian Nolte das Geschäft wieder als Two-man-show zum Laufen zu bringen. „Der Koch ist in Kurzarbeit und unsere drei Kellner mussten wir freistellen“, sagt Johnny, wie ihn die Stammkunden kennen. Somit ist die Küche noch nicht wieder warm. Was dem „Ilvers“, das sich als Burger-bar etabliert hat, einen enormen Einnahmeverlust beschert.
Gutscheinverkauf half über die härteste Zeit
Jonathan Weidner will aber nicht hadern. Nimmt die Situation wie sie ist. Er wechselt sich mit seinem Kompagnon ab und achtet streng auf die Vorschriften. Bis zu 250.000 Euro Strafe drohen maximal bei Verstößen, hat er verinnerlicht – und gehandelt. Vorerst geht es abends erst bis 22 Uhr. „Um Null Uhr brauche ich nichts mehr erzählen, von wegen mit Maske aufs Klo.“Mal sehen was der 6. Juni mit neuen Veränderungen bringe, das mit zwei Haushalten an einem Tisch könne doch eh’ niemand kontrollieren. So ist tatsächlich momentan Pärchenbetrieb. „Es blutet mir ja das Herz, wenn ein Stammtisch anruft, dass sie mit zehn Mann kommen wollen.
Aber da weiß ich, das funktioniert nicht und sage ab.“
Doch gerade die Stammtische machen bei der Kneipe in der Peripherie einen großen Teil der Einnahmen sonst aus. Die „IFA-BANde“, die „Erfurt Indigos“und die Fußballer von Grün-weiß haben hier ihr Stammlokal, das sich gern auch für diese im Gegenzug engagiert. Sie sind aber auch die Mutmacher zum Weitermachen. Denn von ihnen und anderen Stammgästen kam viel Hilfe zur Überbrückung. Der Gutscheinverkauf lief gut. Das Vertrauen wollen die beiden 35-jährigen Wirte nicht enttäuschen.
Eigentlich sei man ja eine Musikkneipe. Und das ist das zweite Standbein fürs Geschäft. Aber wie das gehen soll? Da zuckt Johnny Weidner nur mit den Schultern. „Wir haben einen Türsteher. Und der steht an der Tür. Wie soll er da auf Abstände achten?“, grübelt er. Auch wenn Konzert und Karaoke ja noch ferne Zukunftsmusik sind.
Langer Atem auch bei Kneipern gefragt
So hangeln sich Weidner und Nolte mit Mut und viel Einsatz durch. Erstes Ziel: Unkosten decken. Über die erste Zeit half Corona-nothilfe, aber nun muss alles wieder bezahlt werden. Gema-verträge, Miete, GEZ, Strom – das summiert sich ganz schnell. Und dann kommen noch die Extra-überraschungen. Etwa ein Gläserspülgerät, um die geforderten 60 Grad Celsius beim Abwaschen einzuhalten. Kostet über 2000 Euro.
„Aber was sollen wir machen? Wer weiß, wie lange das so noch geht?“Wo man aber – wenn man so will – auch den Glauben in die Zukunft erkennen kann.