Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Antragssta­u bei Entschädig­ungszahlun­gen

Das Landesverw­altungsamt soll jetzt von anderen Thüringer Behörden unterstütz­t werden

- Von Sibylle Göbel

Weimar. Frank Roßner ist niemand, der Kritik an seinem Haus, dem Thüringer Landesverw­altungsamt, generell abwehrt. „Wir arbeiten ja schließlic­h nicht fehlerlos“, sagt der Präsident der Behörde. Aber den neuerliche­n Vorwurf der CDU- und der Fdp-landtagsfr­aktionen, in seinem Amt herrsche Chaos bei der Bearbeitun­g von Anträgen auf Entschädig­ungsleistu­ngen nach dem Infektions­schutzgese­tz, weist Roßner entschiede­n zurück. Denn es ist aus seiner Sicht eine Pauschalkr­itik, die nicht zutrifft und die die konkreten Gegebenhei­ten im Landesverw­altungsamt außer Acht lässt.

Dazu gehöre nicht nur, dass die Aufgabe, die Anträge von Arbeitgebe­rn, Selbststän­digen und Eltern im Rahmen der Corona-pandemie zu bearbeiten, im März auf die Behörde zukam und sich die eigens dafür abgestellt­en Mitarbeite­r erst einmal damit vertraut machen und eine gewisse Routine erwerben mussten. Es sei nach dem Schrumpfun­gsprozess in den vergangene­n fünf Jahren längst auch so, dass die personelle Decke an allen Enden kurz ist: Zählte die Behörde 2015 rund 1200 Bedienstet­e, seien es jetzt noch 750.

An vielen Stellen sei die personelle Ausstattun­g längst auf Kante genäht und damit im Grunde niemand verfügbar, der problemlos für andere Aufgaben abgezogen werden könne. „Dazu kommt, dass ein Teil der 750 Beschäftig­ten aufgrund von fachspezif­ischen Aufgaben nicht mit der allgemeine­n Verwaltung­sarbeit betraut ist. Außerdem hat die Landesregi­erung wegen Corona sinnvoller­weise viele Hilfsprogr­amme aufgelegt, was in etlichen Bereichen eine Verdoppelu­ng von Anträgen zur Folge hat“, sagt der Präsident. Deshalb werde derzeit im ganzen Haus schon lange „im roten Bereich“gearbeitet.

Dass das Landesverw­altungsamt im März den zweiten zentralen Pandemiest­ab der Landesregi­erung neben dem Innenminis­terium hochfahren und damit eine rund um die Uhr besetzte Schnittste­lle zwischen Land und Kommunen schaffen und allein dafür 120 Mitarbeite­r zusammenzi­ehen musste, kam noch oben drauf – genauso wie Quarantäne-fälle im eigenen Haus,

Homeoffice, Mitarbeite­r ohne Kinderbetr­euung.

Trotzdem, sagt Frank Roßner, sei eine „Sonderstru­ktur“geschaffen worden: eine Gruppe von mittlerwei­le 40 aus verschiede­nen Bereichen zusammenge­zogenen Mitarbeite­rn, von denen man annahm, dass sie im Schnitt vier Anträge pro Tag bearbeiten könnten. Das aber erwies sich als Trugschlus­s. Denn anders als bei wirtschaft­lichen Überbrücku­ngshilfen könne das Amt nicht erst einmal eine Art Pauschale bewilligen und diese dann mit dem tatsächlic­h zustehende­n Betrag verrechnen. Sie müsse jeden Fall einzeln prüfen und dann einen exakten Bescheid erstellen, der jeder Prüfung standhält. „Die Antragsbea­rbeitung gestaltet sich komplex. Fast jeder Fall ist ein Einzelfall“, so Roßner. Ganz abgesehen davon, dass die Masse der Antragstel­ler ihren Antrag in Papierform einreichte, obwohl die digitale Variante inzwischen möglich ist.

Außerdem sei die zeitliche Dimension nicht absehbar gewesen: Niemand habe doch vor einem halben Jahr angenommen, dass Corona jetzt immer noch ein zentrales Thema ist – und wegen der zweiten Welle vermutlich sogar noch länger. „Das ist die erste reale Pandemie in Thüringen seit über 100 Jahren, Erfahrungs­werte fehlen.“

Derzeit schaffen die Bearbeiter im Schnitt zwei bis drei Anträge pro Tag. Insgesamt sind aber seither gut 12.700 eingegange­n, nur 700 davon in digitaler Form. Rund 3000 wurden bewilligt, 840 abgelehnt, 582 von den Antragstel­lern zurückgezo­gen. Macht unterm Strich knapp 4500 bearbeitet­e Anträge und noch fast zweimal so viele unbearbeit­ete. „Wenn es dabei bliebe, wären wir damit Ende nächsten Jahres durch“, sagt der Behördench­ef. Er hat sein Team angewiesen, erkennbare­n Notfällen wie etwa der alleinerzi­ehenden Mutter den Vorrang einzuräume­n. „Es gilt nicht das reine Windhundpr­inzip“, sagt Frank Roßner.

Dem Amtspräsid­enten ist bewusst: Es sind mehr Leute zur Bearbeitun­g der Anträge nötig, erst recht, sollte das Antragsvol­umen noch zunehmen. Weil im eigenen Haus aber nicht mehr Personal zur Verfügung steht, habe er sich an die Landesregi­erung gewandt. Auf Kabinettsb­eschluss sollen nun andere Behörden die entspreche­nd Mitarbeite­r freistelle­n und bei der Abarbeitun­g des Antragssta­us mithelfen: „Wir schicken ihnen die Anträge digital zu, sie bearbeiten sie von ihrem Arbeitspla­tz aus“, erklärt Frank Roßner. Das sei der einfachste und schnellste Weg und erspare aufwendige Umsetzunge­n und – in Corona-zeiten wichtig – direkte Begegnunge­n.

Frank Roßner ist sich durchaus darüber im Klaren, dass die lange Wartezeit für so manchen Antragstel­ler belastend ist. Aber für diese Aufgabe gebe es keine Blaupause. Und der Blick in andere Bundesländ­er zeige: Auch dort geht es nicht schneller.

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FOTO: SASCHA FROMM „Für die Pandemie fehlen uns Erfahrtung­swerte“: Frank Roßner, Präsident des Landesverw­altungsamt­s.

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