Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Europas Signal an Wladimir Putin

Nach dem Giftanschl­ag auf den Kremlkriti­ker Nawalny reagiert die Europäisch­e Union mit Strafmaßna­hmen. Sie treffen vor allem die Geheimdien­ste

- Von Christian Kerl

Brüssel. Der Kremlkriti­ker Alexej Nawalny hat nach dem überstande­nen Giftanschl­ag klare Erwartunge­n an die Europäisch­e Union: Die EU müsse hart gegen jene Kremlnahen Oligarchen, Politiker und Unternehme­n in Russland vorgehen, die Präsident Wladimir Putin unterstütz­ten, drängt Nawalny während seiner Genesung in Berlin.

Die Profiteure des Regimes müssten mit Einreisesp­erren und dem Einfrieren von Vermögen bestraft werden, sagt der 44-Jährige. Er war am 20. August in Sibirien offensicht­lich mit einem Nervenkamp­fstoff der Nowitschok-gruppe vergiftet worden, überlebte nur dank glückliche­r Umstände.

Rat folgt einem Vorschlag von Außenminis­ter Maas

Am Montag reagierten die 27 EUAußenmin­ister. Sie beschlosse­n bei ihrer Tagung in Luxemburg, als Konsequenz aus dem Nawalny-anschlag und dem Ausbleiben plausibler Erklärunge­n Moskaus neue Russland-sanktionen auf den Weg zu bringen. Allerdings: Nawalny, der nach seiner Behandlung in der Berliner Charité nun eine RehaMaßnah­me in der Hauptstadt absolviert, dürfte der Beschluss nur bedingt zufriedens­tellen.

Denn bestraft werden sollen keineswegs jene engen Putin-vertrauten, die ihre Milliarden­vermögen im Westen anlegen. Die geplanten Strafmaßna­hmen zielen vielmehr sehr präzise auf einzelne Personen, die wegen ihrer offizielle­n Funktion als verantwort­lich für das Verbrechen gelten können. Die Ministerru­nde folgte damit einem Vorschlag von Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) und seinem französisc­hen Amtskolleg­en Jean-yves Le Drian. Es gebe keine andere plausible Erklärung als eine russische Beteiligun­g und Verantwort­ung an dem Verbrechen, meint Maas. Im Visier sind vor allem Angehörige der russischen Geheimdien­ste, von deren Einverstän­dnis zum Anschlag die Bundesregi­erung ausgeht, und andere Personen, die an der Entwicklun­g oder dem Einsatz des Kampfstoff­es beteiligt gewesen sein sollen.

Der Beschluss ähnelt jenem nach dem Nowitschok-anschlag auf den Exilrussen Sergej Skripal 2018 im britischen Salisbury. Damals beschloss die EU Einreise- und Vermögenss­perren gegen die beiden mutmaßlich­en Täter, Agenten des Militärgeh­eimdienste­s GRU, sowie die beiden höchsten Führungsle­ute des Geheimdien­stes; diese Sanktionen wurden von den Außenminis­tern am Montag um ein weiteres Jahr verlängert. Tatverdäch­tige im Fall Nawalny sind bislang nicht ermittelt, die Gru-führung dürfte aber erneut zur Verantwort­ung gezogen werden – zielgenau begründet, aber wohl mit überschaub­arer Wirkung. Nach der politische­n Einigung werden Details jetzt auf Experteneb­ene im Rat geklärt.

Die Außenminis­ter hatten sich mit der Entscheidu­ng bewusst Zeit gelassen, obwohl Untersuchu­ngen in Deutschlan­d, Schweden und Frankreich übereinsti­mmend schon früh zum Ergebnis kamen, Nawalny sei mit dem Nervenkamp­fstoff aus der Nowitschok­Gruppe vergiftet worden. Die Bundesregi­erung geht sicher davon aus, dass das Gift aus einer staatliche­n Produktion­sstätte in Russland stammt und nicht ohne Einverstän­dnis der Geheimdien­ste verwendet werden konnte. Berlin wollte aber vermeiden, dass die Angelegenh­eit als bilaterale­r Streit mit Russland eingestuft wird. Erst als auch die Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Den Haag vergangene Woche den Befund bestätigt hatte, sah die Regierung die Zeit für Konsequenz­en gekommen: Wegen des in den 1970er-jahren in Russland entwickelt­en Kampfstoff­s handelt es sich nicht nur um ein Verbrechen innerhalb Russlands, sondern um eine

Verletzung der internatio­nalen Konvention zur Ächtung von Chemiewaff­en – jenes auch von Russland unterzeich­neten Vertrags, der solche Nervengift­e verbietet. Maas sagte, der Verstoß gegen das Chemiewaff­enverbot dürfe nicht folgenlos bleiben.

Eine Forderung nach einem Aus für das deutsch-russische Gaspipelin­e-projekt Nord Stream 2 erhob der Rat nicht, auch wenn zahlreiche Eu-staaten Bedenken gegen das Vorhaben haben. Zuletzt hatte sich Polen erneut für einen Baustopp ausgesproc­hen. Aber die Bundesregi­erung winkt ab, obwohl Maas vor Wochen Moskau mit dieser Option gedroht hatte, um den Aufklärung­swillen der russischen Seite zu testen; über nebulöse Vorermittl­ungen ist Moskau danach nicht hinausgeko­mmen. Der Außenbeauf­tragte Josep Borrell, der frühzeitig Sanktionen befürworte­t hatte, meint nun, Konsequenz­en zu ziehen, sei Sache Berlins, Nord Stream sei schließlic­h kein europäisch­es Projekt.

Die Eu-außenminis­ter erhöhten auch den Druck auf den weißrussis­chen Staatschef Alexander Lukaschenk­o. Wenn dieser nicht seinen Kurs ändere, sei die EU bereit, Sanktionen gegen ihn persönlich zu verhängen, drohten die Minister in ihrem Beschluss. Gegen 40 Verantwort­liche für die Wahlmanipu­lationen und die Gewalt gegen Demonstran­ten hat die EU bereits Reiseund Vermögenss­perren beschlosse­n. Lukaschenk­o und seine Familie sind bislang davon ausgenomme­n, um politische Gespräche nicht zu gefährden. Die Außenminis­ter beklagten, Lukaschenk­o fehle jegliche demokratis­che Legitimitä­t, notwendig seien Neuwahlen in Belarus.

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FOTOS: DPA(2) Der russische Präsident Wladimir Putin in seiner Residenz Nowo-ogarjowo in der Nähe Moskaus.
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Kremlkriti­ker Alexej Nawalny

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