Frank Bsirske will es noch einmal wissen
19 Jahre war der pensionierte Gewerkschafter Verdi-chef. Jetzt will er für die Grünen um ein Mandat im Bundestag kämpfen. Warum tut sich das der 68-Jährige an?
Berlin. Frank Bsirske macht die Tür weit auf. Es eröffnet sich ein heller, großer Raum. Lange, gut gefüllte Bücherregale an den Wänden. Ein breiter Kamin, eine Empore, eine offene Küche. Große elegante Fenster, gemütliche Möbel, üppige Pflanzen. „Landhaus-chic“und „Bildungsbürger im Loft“, so was fällt einem ein. Das oberste Stockwerk in dem Mietshaus im Berliner Westen könnte auch zu einem seiner früheren Gegner passen. Einem Unternehmer, Manager oder dem Chef eines Arbeitgeberverbands.
Doch hier lebt Frank Bsirske, 19 Jahre lang Deutschlands VerdiChef. Genau vor einem Jahr trat er ab und überließ das Amt einem anderen. Er war damals 67 Jahre alt, das perfekte Renteneintrittsalter. Das ist nur fair für einen, der sich Jahrzehnte für die Rechte der Angestellten und Arbeiter eingesetzt hat.
Bsirske, dachte man Ende September 2019, wird jetzt erst einmal reisen wie andere Rentner. Doch vor ein paar Wochen kündigten die Grünen seine Rückkehr in die Politik an. Frank Bsirske werde für die Partei im Wahlkreis WolfsburgHelmstedt für ein Bundestagsmandat kandidieren. In der gleichen Meldung stand ein weiterer Name, Jakob Blasel, 19 Jahre alt, einer der bekannteren Aktivisten von Fridays for Future, werde ebenfalls für die Grünen antreten. Während Blasel noch am Anfang steht, hat Bsirske die große Karriere schon hinter sich. Was treibt den 68-Jährigen an, noch einmal anzutreten? Und vor allem: Schafft es Bsirske, der als Verdi-chef mit den Großen der Bundesrepublik verhandelte, der fünf Ig-metallvorsitzende und neun Arbeitsminister in seiner Amtszeit erlebt und gelegentlich bekämpft hat, sich bei den Grünen als Abgeordneter einzureihen?
Kein normaler Rentner: Bsirske sitzt noch in mehreren Aufsichtsräten Frank Bsirske sieht die Fragen kommen, schlägt vor, in die Herbstsonne auf den Balkon zu gehen. Er ist barfuß, in blauem Hemd und Jeans, gut gebräunt setzt er sich in die Sonne. Sie macht ihm nichts aus. „Na klar könnte ich mich jetzt zur Ruhe setzen, aber die Zeit ist nicht danach“, antwortet Bsirske. Der Klimawandel schreite voran, nördlich des Polarkreises würden 38 Grad gemessen, der Permafrostboden taue, und jedes Jahr wüten die Waldbrände schwerer. „Und das sind ja nur Symptome, zum ersten Mal gibt es einen Wandel, der die ganze Gattung Mensch bedroht. Da muss man doch etwas tun. Solange es geht. Und ich fühle mich außerdem fit“, sagt er. Er schenkt sich Tee nach. Sechs bis sieben Liter trinke er pro Tag. Darjeeling oder grünen Tee, viele Sorten. Keine bestimmte.
„Auch eine Form von Sucht“, sagt er und grinst. Wie schlimm kann es schon sein, viel Tee zu trinken?
Bsirske ist kein normaler Rentner. Er sitzt noch in mehreren Aufsichtsräten wie bei der Deutschen Bank und ist Mitglied im „Rat der Arbeitswelt“, den Bundesminister Hubertus Heil im Januar einberufen hat. Den Posten müsste er abgeben, würde er gewählt.
Um im Wahlkreis HelmstedtWolfsburg als Direktkandidat antreten zu können, müsste er sich gegen den 23-jährigen Tjark Melchert von den Grünen durchsetzen. Ob er oder Melchert den Posten bekommt, entscheidet sich Ende Oktober. Aber selbst wenn Bsirske sich gegen Melchert durchsetzt, ist es wohl leichter, über die Landesliste in den Bundestag zu kommen.
Man werde ihn schon aufstellen. Aus Fraktion und Bundesgeschäftsstelle sei er gefragt worden, ob ihn ein Bundestagsmandat interessiere. „Für die Grünen geht es ja auf ihren Landeslisten um einen guten Mix an Expertise, Profil, Alter und Netzwerken.“Und er sei sich sicher: „Da macht doch ein bekannter Gewerkschafter keine schlechte Figur. Vorausgesetzt natürlich, eine solche Kandidatur werde von den Mitgliedern auch gewollt.“
Letztlich passen die Koordinaten zusammen, seit 1986 ist Bsirske Grünen-mitglied, ist in Helmstedt geboren, ging in Wolfsburg zur Schule und hat dort im Studium als Postbote gearbeitet. Heute seien viele Jobs im Kreis bedroht, erzählt er. Womit er bei seinem politischen Schwerpunkt angekommen ist. „Wir werden die ökologischen Probleme nicht bewältigen, wenn wir das Soziale hintenanstellen.“
„Nach Corona werden wir es mit massiven Verteilungskonflikten zu tun haben.“Als Beleg zitiert er die Vorschläge für die zweite und dritte Corona-phase des Metallarbeitgeberverbandes. „Da wird mit der Schrotflinte auf den Sozialstaat geschossen.“Die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung und die Dokumentationspflicht beim gesetzlichen Mindestlohn aufzugeben würde da zum Beispiel gefordert, auch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit und Verschlechterung beim Datenschutz und Kündigungsschutz. „Da kündigt sich schon einiges an“, so Bsirske.
Bsirske ist jetzt wieder Bsirske, der Gewerkschafter von einst, der Gerhard Schröders Agenda 2010 als die „Rückkehr der Unsicherheit“und „die Rückkehr der proletarischen Lebenswirklichkeit“bezeichnet. Seine Themen sind Gerechtigkeit und das Wohl der sozial Schwachen. „Das in einer Situation, wo wir es mit rabiaten sozialen Problemen zu tun haben. Mangel an bezahlbarem Wohnraum, Altersarmut, Kinderarmut.“
19 Jahre hat Bsirske in Berlin gelebt. Nun ziehen er und seine Frau Bettina zurück nach Hannover, wo sie sich schon vor zwei Jahren ein Haus gekauft haben. Seine erste Immobilie mit 66 Jahren. Würde er Abgeordneter, tut es auch eine kleinere Wohnung in der Hauptstadt. Grinsend sagt er: „Ich bin schließlich Fan des Mietendeckels.“
Es gibt Stimmen, die trauen Bsirske den Arbeitsminister locker zu. Wie sagte er gerade selbst noch: „Es wäre ein bisschen früh zu sagen, mein Werk ist vollendet.“