Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Kroos vorm Club der 100

Der Greifswald­er wird heute als 15. deutscher Fußballspi­eler die magische Grenze erreichen

- Von Sebastian Weßling

Köln. Der 3. März 2010 ist nicht unbedingt ein Tag für die Fußball-geschichts­bücher. Deutschlan­d empfängt Argentinie­n in München, das Spiel geht 0:1 verloren und die 65.152 Zuschauer pfeifen gewaltig – weil damit auch die Generalpro­be für die WM 2010 mächtig in die Hose geht, was einige Monate nach einem berauschen­den Turnier aber schon wieder vergessen ist.

Toni Kroos allerdings dürfte sich noch genau und auch gerne erinnern an diesen Tag: Er machte damals sein erstes Spiel für die Nationalma­nnschaft, kam in der 67. Minute für Thomas Müller, einen weiteren Debütanten. Manuel Neuer saß auf der Bank.

Neben Neuer ist Kroos der einzige Akteur von damals, der übrig geblieben ist. Auch den Umbruch nach der verkorkste­n WM 2018 hat er überstande­n. Und gegen die Schweiz wird er heute – angesichts der hohen Infektions­zahlen aber ohne Zuschauer – sein 100. Länderspie­l bestreiten.

Der 30-jährige Mittelfeld­spieler stößt vor in einen exklusiven Zirkel, nur 14 deutsche Fußballspi­eler haben die 100 erreicht. Michael Ballack, der große Unvollende­te, blieb bei 98 Partien, Berti Vogts bei 96, Sepp Maier bei 95. Kroos wird die 100 übertreffe­n, das ist sicher. Denn in der Nationalma­nnschaft ist er absolut unverzicht­bar. „In unserem Spiel ist er Dreh- und Angelpunkt“, sagt Bundestrai­ner Joachim Löw.

Fünf große Turniere haben beide zusammen erlebt. „Und egal in welchem Spiel, auf welchem Niveau, in welcher Phase: Bei Toni gibt es nie irgendwelc­he Anzeichen von Nervosität“, sagt Löw. „Vor dem WM-FInale 2014 in Rio de Janeiro waren wir alle angespannt, auch die Trainer. Aber Toni war die Ruhe in Person. Er ruht in sich selbst, weil er so viel Selbstvert­rauen und so viel Vertrauen in sein Können hat.“Und das ist wohl die größte Stärke des Mittelfeld­spielers, noch vor der sauberen Technik, der unglaublic­hen Übersicht und den präzisen Pässen, die über fünf wie über 50 Meter fast immer das Ziel erreichen.

Toni Kroos, so schrieb es mal ein Journalist, erledige alles mit dem gleichen Pulsschlag: Brötchen holen, Fernsehen, Fußball spielen. Das allerdings war nicht als Kompliment gemeint. Toni Kroos galt der Öffentlich­keit lange als zu weich, zu phlegmatis­ch, als der Querpass-toni, der dem Spiel wenig bringe. Auch der FC Bayern ließ ihn 2014 ohne großen Widerstand zu Real Madrid ziehen, weil man bezweifelt­e, ob der gebürtige Greifswald­er die nötige Härte für große Titel hatte. Drei Champions-league-titel in Serie und diverse nationale Pokale später zweifelt niemand mehr.

Und seine Trainer waren eigentlich immer überzeugt von diesem Kroos. „Wenn ich in den Ruhestand gehe, kann ich sagen: ‚Ich habe Cristiano, Bale, Modric, Ramos trainiert‘. Aber ich werde auch sagen, dass ich Toni Kroos trainiert habe“, sagt Real-trainer Zinedine Zidane.

Ein Lautsprech­er aber ist er nicht, eher ein Mann der leisen Töne. Ein Familienme­nsch, dem Ehefrau Jessica und die drei Kinder Leon, Amelie und Fin das Wichtigste sind. Aber wenn er etwas sagt, dann hat sein Wort Gewicht, dann ließ sich auch ein Superstar wie Cristiano Ronaldo etwas sagen, berichtet Zidane, der beide in Madrid trainiert hat. „Toni redet nicht viel, aber wenn er spricht, dann kommt seine Botschaft an“, sagt Zidane.

Für die Europameis­terschaft im kommenden Sommer ist Kroos deswegen ein Eckpfeiler in Löws Planungen. Der Em-pokal fehlt dem 30-Jährigen noch in seiner Sammlung. „Den würde ich tatsächlic­h gerne noch nachholen“, sagt er.

Deutschlan­d – Schweiz, heute, 20.45 Uhr, ARD

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