Zurück aus dem Eismeer
Ein Jahr lang trieb das deutsche Forschungsschiff „Polarstern“durch die Arktis. Nun ist es wieder da – die Besatzung hat viel mitgemacht
Bremerhaven. Eine der abenteuerlichsten Fahrten in der Geschichte der Arktis-forschung endete am Montagmorgen in Bremerhaven. Endlich zurück. Ein Jahr lang war das deutsche Schiff „Polarstern“im Eis unterwegs, und was die Männer und Frauen an Bord erlebt haben, wird sie wohl ihr ganzes Leben beschäftigen: Sie zitterten bei minus 42 Grad Celsius, trotzten mächtigen Stürmen, arbeiteten rund 150 Tage in völliger Finsternis und wurden von Eisbären bedroht. Ein Forscher brach sich das Bein, einem anderen wären beinahe seine Finger abgefroren. „Dieses Jahr“, sagt Expeditionsleiter Markus Rex, „hat niemanden unverändert gelassen.“
Umso größer ist die Wiedersehensfreude bei den aus 20 Ländern stammenden Wissenschaftlern und ihren Angehörigen – ein Schiffskorso und zahlreiche Schaulustige an Land begleiteten das Einlaufen der „Polarstern“in Bremerhaven. „Sie sehen mich überglücklich“, jubelt Rex, ein 53-jähriger Atmosphärenphysiker, der für das Alfred-wegener-institut arbeitet. Was wird ihm am meisten in Erinnerung bleiben von dieser 140 Millionen Euro teuren Fahrt der Superlative? „Das Eis am Nordpol war völlig aufgeschmolzen, bis kurz vor dem Pol gab es Bereiche offenen Wassers“, erläutert der gebürtige Braunschweiger. Dort, wo normalerweise dichtes, mehrjähriges Eis war, sei die „Polarstern“in Rekordzeit durchgefahren. „Wir haben dem Eis beim Sterben zugeschaut.“
Nie zuvor hat es eine so groß angelegte Expedition in die Arktis gegeben. Eingefroren im Meereis lebten insgesamt rund 450 Wissenschaftler auf dem Eisbrecher, allerdings aufgeteilt auf fünf Etappen, sodass alle paar Monate Teile der Crew ausgetauscht wurden. Womöglich war es eine der letzten großen Nordpol-expeditionen überhaupt. Denn keine andere Region des Planeten heizt sich so schnell auf wie die Arktis. Niemand weiß, wie viel Zeit künftigen Forschern noch bleibt.
Auf einer Eisscholle entstand eine kleine Forscherstadt
Markus Rex und seine Kollegen beobachteten, maßen und dokumentierten zum ersten Mal den gesamten Eiszyklus vom Gefrieren bis zur Schmelze. Von den gewonnenen Daten der „Mosaic“genannten Mission versprechen sie sich wichtige Erkenntnisse über das Nordpolarmeer und den Klimawandel. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU), die die Abenteurer in Bremerhaven persönlich begrüßte, kündigte an, zusätzliche zehn Millionen Euro für die Auswertung der Daten zur Verfügung zu stellen, um möglichst schnell erste Ergebnisse vorliegen zu haben: „Nur wenn wir wissen, wie sich das Klima in der Arktis entwickelt, sind wir in der Lage, auch bei uns in Deutschland
Vorsorge gegen Klimaveränderung zu treffen und effektiv dem Klimawandel entgegenzuwirken“, sagte die Ministerin. Die Arktis sei das Epizentrum des Klimawandels.
Die Wissenschaftler haben viel riskiert, um dieses Epizentrum zu erforschen. Auf einer mehrere Kilometer großen Eisscholle errichteten sie Messstationen, Wege für Motorschlitten und Stromleitungen – eine richtige kleine Forschungsstadt also. Angedockt an diese Scholle driftete die „Polarstern“durch das Nordpolarmeer, ähnlich wie der legendäre norwegische Glücksucher Fridtjof Nansen mit seinem Segelschiff „Fram“vor rund 125 Jahren.
Und wie haben die Männer und Frauen den Kopf von der zehrenden Arbeit frei bekommen? Nun, es blieb etwas Zeit für Spieleabende – und Partys. Nicht nur Weihnachten wurde an Bord gefeiert, sondern auch Geburtstage, etwa der von Markus Rex im November. Auf der Scholle haben sie damals eine Eisbar aufgebaut, bei minus 30 Grad gab es Glühwein. „Der erste Schluck“, erinnert sich Rex, „ist noch warm, der zweite kalt und der dritte ist Eis.“mit dpa