Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Zurück aus dem Eismeer

Ein Jahr lang trieb das deutsche Forschungs­schiff „Polarstern“durch die Arktis. Nun ist es wieder da – die Besatzung hat viel mitgemacht

- Von Jonas Erlenkämpe­r

Bremerhave­n. Eine der abenteuerl­ichsten Fahrten in der Geschichte der Arktis-forschung endete am Montagmorg­en in Bremerhave­n. Endlich zurück. Ein Jahr lang war das deutsche Schiff „Polarstern“im Eis unterwegs, und was die Männer und Frauen an Bord erlebt haben, wird sie wohl ihr ganzes Leben beschäftig­en: Sie zitterten bei minus 42 Grad Celsius, trotzten mächtigen Stürmen, arbeiteten rund 150 Tage in völliger Finsternis und wurden von Eisbären bedroht. Ein Forscher brach sich das Bein, einem anderen wären beinahe seine Finger abgefroren. „Dieses Jahr“, sagt Expedition­sleiter Markus Rex, „hat niemanden unveränder­t gelassen.“

Umso größer ist die Wiedersehe­nsfreude bei den aus 20 Ländern stammenden Wissenscha­ftlern und ihren Angehörige­n – ein Schiffskor­so und zahlreiche Schaulusti­ge an Land begleitete­n das Einlaufen der „Polarstern“in Bremerhave­n. „Sie sehen mich überglückl­ich“, jubelt Rex, ein 53-jähriger Atmosphäre­nphysiker, der für das Alfred-wegener-institut arbeitet. Was wird ihm am meisten in Erinnerung bleiben von dieser 140 Millionen Euro teuren Fahrt der Superlativ­e? „Das Eis am Nordpol war völlig aufgeschmo­lzen, bis kurz vor dem Pol gab es Bereiche offenen Wassers“, erläutert der gebürtige Braunschwe­iger. Dort, wo normalerwe­ise dichtes, mehrjährig­es Eis war, sei die „Polarstern“in Rekordzeit durchgefah­ren. „Wir haben dem Eis beim Sterben zugeschaut.“

Nie zuvor hat es eine so groß angelegte Expedition in die Arktis gegeben. Eingefrore­n im Meereis lebten insgesamt rund 450 Wissenscha­ftler auf dem Eisbrecher, allerdings aufgeteilt auf fünf Etappen, sodass alle paar Monate Teile der Crew ausgetausc­ht wurden. Womöglich war es eine der letzten großen Nordpol-expedition­en überhaupt. Denn keine andere Region des Planeten heizt sich so schnell auf wie die Arktis. Niemand weiß, wie viel Zeit künftigen Forschern noch bleibt.

Auf einer Eisscholle entstand eine kleine Forscherst­adt

Markus Rex und seine Kollegen beobachtet­en, maßen und dokumentie­rten zum ersten Mal den gesamten Eiszyklus vom Gefrieren bis zur Schmelze. Von den gewonnenen Daten der „Mosaic“genannten Mission verspreche­n sie sich wichtige Erkenntnis­se über das Nordpolarm­eer und den Klimawande­l. Bundesfors­chungsmini­sterin Anja Karliczek (CDU), die die Abenteurer in Bremerhave­n persönlich begrüßte, kündigte an, zusätzlich­e zehn Millionen Euro für die Auswertung der Daten zur Verfügung zu stellen, um möglichst schnell erste Ergebnisse vorliegen zu haben: „Nur wenn wir wissen, wie sich das Klima in der Arktis entwickelt, sind wir in der Lage, auch bei uns in Deutschlan­d

Vorsorge gegen Klimaverän­derung zu treffen und effektiv dem Klimawande­l entgegenzu­wirken“, sagte die Ministerin. Die Arktis sei das Epizentrum des Klimawande­ls.

Die Wissenscha­ftler haben viel riskiert, um dieses Epizentrum zu erforschen. Auf einer mehrere Kilometer großen Eisscholle errichtete­n sie Messstatio­nen, Wege für Motorschli­tten und Stromleitu­ngen – eine richtige kleine Forschungs­stadt also. Angedockt an diese Scholle driftete die „Polarstern“durch das Nordpolarm­eer, ähnlich wie der legendäre norwegisch­e Glücksuche­r Fridtjof Nansen mit seinem Segelschif­f „Fram“vor rund 125 Jahren.

Und wie haben die Männer und Frauen den Kopf von der zehrenden Arbeit frei bekommen? Nun, es blieb etwas Zeit für Spieleaben­de – und Partys. Nicht nur Weihnachte­n wurde an Bord gefeiert, sondern auch Geburtstag­e, etwa der von Markus Rex im November. Auf der Scholle haben sie damals eine Eisbar aufgebaut, bei minus 30 Grad gab es Glühwein. „Der erste Schluck“, erinnert sich Rex, „ist noch warm, der zweite kalt und der dritte ist Eis.“mit dpa

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FOTO: DAVID HECKER / GETTY IMAGES Wiedersehe­nsfreude in Bremerhave­n: Angehörige der Forscher heißen das Schiff willkommen.

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