Thüringens erster Ministerpräsident:
Heute vor 30 Jahren gewann Josef Duchač als Cdu-spitzenkandidat die erste Parlamentswahl nach der Wiedergründung des Landes
Ein verregneter Tag, ein Reihenhaus am Rande vom Birkenwerder, einer stillen Gemeinde im Norden Berlins. Hier wohnt der erste Ministerpräsident Thüringens nach dem Ende der DDR. Er ist 82 und seit einem Schlaganfall erblindet. Aber er wirkt agil – und erinnert sich an die Zeit, als er plötzlich ein Land regieren sollte, noch im Detail.
Herr Duchač, vor 30 Jahren wurde der Landtag in Thüringen gewählt. Wie war Ihnen zumute, als die Wahlergebnisse verkündet waren – und Sie wussten, Sie werden jetzt Ministerpräsident?
Ich war überwältigt von dem hohen Zuspruch für die CDU, wir hatten alle 44 Wahlkreise gewonnen und fast die absolute Mehrheit im Landtag. Gleichzeitig war ich entschlossen, die Herausforderung anzunehmen. Ich wollte das.
Sie haben es also nicht mit der Angst zu tun bekommen?
Nein, noch nicht. Ich hatte ja als Regierungsbevollmächtigter die Wiedergründung Thüringens mit organisiert, ich fühlte mich vorbereitet.
Die Ddr-opposition, die die Revolution organisiert hatte, kam auf 6,5 Prozent. Hatten Sie da ein schales Gefühl?
Nein. Aber ich war schon etwas überrascht. Das waren ja die Menschen, die ein Jahr zuvor die Demonstrationen organisiert hatten und die gesagt haben, wir sind das Neue – und ihr, also auch die CDU, ihr seid das Alte.
Die CDU und die FDP, mit der sie dann eine Koalition bildeten, sind aus früheren Blockparteien der Sed-geführten Nationalen Front hervorgegangen. War die Wahl, im Rückblick betrachtet, nicht ziemlich geschichtsvergessen?
Nein. Ich bin damals nach dem Grundsatz verfahren: Wir müssen mit den Menschen leben, die wir haben. Wir können uns keine neuen backen. Das galt auch für mich. Darüber hinaus habe ich immer versucht, mit allen zu reden, ob nun mit den Bürgerrechtlern oder den alten Sed-genossen. Und was die Nationale Front betrifft: Ich bin mit dem Gothaer Kreisverband der CDU, den ich kommissarisch führte, am 16. November 1989 da ausgetreten.
Nach mehr als 30 Jahren Mitgliedschaft in der Block-cdu. Warum traten Sie überhaupt damals in die Partei ein?
Ich bin katholischer Christ, und ich kannte viele Gläubige, die teilweise noch aus der alten Zentrum-partei vor der Nazizeit kamen, und nun versuchten, in der CDU ein wenig unser Leben in der DDR mitzugestalten. Das wollte ich auch, deshalb bin ich 1957 eingetreten.
Was war, im Rückblick, für Sie die CDU in der DDR? Erfüllungsgehilfe? Nische? Stille Opposition?
Alles auf einmal, je nachdem. Es kam auf das einzelne Mitglied an. Für mich war die CDU lange Zeit eine Nische, ich war Mitläufer. Ich wurde erst 1986 aktiver, als ich in den Rat des Kreises Gotha ging.
Warum?
Aus Ärger. Ich war Ende 40 und schon lange Abteilungsleiter im Gummiwerk in Waltershausen. Dann war die Stelle des Betriebsleiters zu besetzen, doch man teilte mir mit, dass dafür nur ein SED-GEnosse infrage käme. Als zufällig in dieser Phase das Angebot kam, auf eine für die CDU reservierte Position im Rat des Kreises zu wechseln, habe ich das getan. Ich war dort für die Wohnungswirtschaft zuständig.
Der Posten wurde später zu einem zentralen Kritikpunkte Ihrer Biografie – zumal Sie sich noch im Mai 1989 in den Kreistag wählen ließen. Was dachten Sie, als sich die Wahl als gefälscht herausstellte? Ich habe das damals nicht erkannt. Ich hatte ja viel mit den Bürgermeistern und sonstigen Verantwortlichen zu tun, von denen traute ich niemandem eine Fälschung zu. Trotzdem bin damals natürlich ins Nachdenken gekommen.
Und dann dachten Sie: So geht es nicht mehr weiter?
Das war im September 1989. Es gab in der Thüringer CDU ja den „Weimarer Brief“, unter anderem unterzeichnet von Gottfried Müller und Christine Lieberknecht ...
… dem späteren Landtagspräsidenten und der späteren Ministerpräsidentin …
... in dem eine Reform der DDR gefordert wurde. Das wollte ich auch: einen besseren, demokratischen Sozialismus. An die deutsche Einheit war da noch nicht zu denken. Und dann war ich in Leipzig auf der Demonstration.
Wann war das?
Am 16. Oktober, zwei Tage vor dem Rücktritt von Erich Honecker als SED-CHEF. Ich war an diesem Tag dienstlich in Leipzig, auf einer Tagung aller Kreisräte, die für Wohnungspolitik verantwortlich waren. Und am Abend habe ich dann an der Demonstration teilgenommen.
Die Situation hat sich schon blöd angefühlt.
Sie hatten Angst?
Ja, schon. Da waren ja überall Fernsehkameras und wer weiß wie viele Fotoapparate. Ich habe wirklich gedacht, wenn du nach Hause kommst, wirst du entlassen.
Es kam dann anders, die Mauer fiel – und Sie saßen im Cdu-vorstand der DDR. Wie ist das denn passiert? Ich bin da reingerutscht. Ich hatte am neuen Programm mitgeschrieben, und auf dem Parteitag im OstBerlin im Dezember 1989 sagte man mir dann, ich sollte für den Vorstand kandidieren. Das habe ich dann halt gemacht, und eigenartigerweise wurde ich gewählt.
Der neue Cdu-vorsitzende hieß Lothar de Maizière, er wurde nach der Volkskammerwahl Ministerpräsident. Wie war Ihr Verhältnis? Ausgesprochen gut. Ich finde, dass die historischen Leistungen von Lothar de Maizière heute viel zu wenig gewürdigt werden. Es war für die Wiedervereinigung ein ganz wichtiger Mann, der trotzdem immer bescheiden blieb. Ich höre ihn noch nach dem Ergebnis der Volkskammerwahl sagen: „Ich bin kein Volkstribun, aber wenn ihr es so wollt, dann mach ich halt den Ministerpräsidenten.“Und er hat es dann, finde ich, sehr gut gemacht. Wir blieben später in engem Kontakt, ich nenne ihn einen Freund. Als Ministerpräsident hatte er mich übrigens im Frühjahr 1990 auf einstimmigen Vorschlag des politisch-beratenden Ausschusses als Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Erfurt eingesetzt.
Was hatten Sie da zu tun?
Das, was de Maizière auf DDR-EBEne tat: den Bezirk auf den Beitritt zur Bundesrepublik und die Gründung des Landes Thüringens vorzubereiten. Ich sah das aber nur als vorübergehende Aufgabe an. Ich hatte erst im Januar 1990 die Leitung des Gummiwerkes in Waltershausen übernommen und dachte überhaupt nicht daran, Ministerpräsident zu werden. Der Cdu-vorsitzende hieß Uwe Ehrich, der war für den Posten gesetzt.
Bis er zurücktrat. Die CDU gab sich damals alle Mühe, um zu bemänteln, dass er eine Akte als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit hatte. War das ein Versäumnis?
Ich möchte das nach 30 Jahren nicht beurteilen, schon gar nicht die Stasi-vorwürfe. Uwe trat zurück, und das war es. Er war einfach weg. Ich habe mich dann um die Nachfolge beworben ...
... und verloren die Wahl gegen Willibald Böck, der damit automatisch auf Platz 1 der Liste für die Landtagswahl am 14. Oktober 1990 kam. Trotzdem wurden Sie Spitzenkandidat. Wie kam das?
Die Absprache war, dass der neue Parteichef Spitzenkandidat wird – und Böck hatte ja gegen mich auf dem Parteitag gewonnen. Ich reiste verärgert ab, vergaß aber, mich von der Liste für die Landtagswahl streichen zu lassen. Später erfuhr ich, dass ich in Abwesenheit an die Spitze gewählt worden war.
Auf Platz 2, hinter Böck. So wurde die Liste gewählt – und so stand sie später auf dem Wahlzetteln der Bürger bei der Landtagswahl.
Das weiß ich nicht mehr, das Thema hatte sich ja mit Böcks Wahl für mich erledigt. Was ich aber weiß: Ich bekam am Montag nach dem Parteitag einen Anruf, ich solle nach Erfurt zur Landesvorstandssitzung kommen, um zum Spitzenkandidaten erklärt zu werden. Ich war damit gar nicht einverstanden, weil ich fand, dass das der Vorsitzende machen sollte, also Willi Böck. Aber die Mehrheit des Vorstandes war nach vielen Stunden Debatten anderer Meinung und ich habe mich dann mit Böck am Ende auf die Arbeitsteilung VorsitzenderSpitzenkandidat geeinigt.
Das war Ende August 1990. Es begann ein kurzer Wahlkampf, in dem sie den Bundeskanzler näher kennenlernten. Wie war er, der Kohl? Er hat mich sehr gefördert. Wir hatten mehrere Termine im Wahlkampf, auch seine Frau war teilweise dabei. Ich erinnere mich noch, in Heiligenstadt, ich stand hinter dem Kanzler, zog mich Hannelore Kohl nach vorne und sagte: „Sie müssen jetzt hier stehen. Sie sind wichtig.“Und dann waren Kohl und ich aus Hessen, wo wir beide auf dem Landesparteitag waren, mit dem Hubschrauber zu einem Wahlkampfauftritt in Weimar unterwegs. Wir flogen gerade über Gotha, als Kohl plötzlich sagte, Sie wohnen doch hier, da gehen wir mal runter. Wir sind direkt vor dem Schloss gelandet. Der damalige Landrat Dieter Reinholz, natürlich wie alle in der CDU, hatte die Presse informiert und die kamen dann auch sofort und filmten ab, wie der Kanzler und ich in einem Café saßen. Am nächsten Tag stand das dann in allen Zeitungen, mit Fotos. Diese spontane Aktion hat mich bei vielen Menschen überhaupt erst einmal bekannt gemacht.