„Ich bin da einfach so reingerutscht“
Im Interview spricht er über seine überraschende Spitzenkandidatur, die Rettung von Zeiss, Helmut Kohl und seinen Sturz
Es folgte der Wahlsieg am 14. Oktober– und Sie mussten eine Regierung bilden. Was war Ihr Plan?
Ich wollte eine schmale Regierung, keinen aufgeblähten Apparat. Außerdem sollten alle Minister aus Thüringen sein, soweit sie das Geschäft, nach meiner Vorstellung, beherrschen könnten. Von den Fachressorts traute ich nur das Justizministerium keinem aus der DDR zu. Dafür verpflichtete ich den früheren Wiesbadener Oberbürgermeister Hans-joachim Jentsch. Willi Böck war natürlich auf seiner Wunschposition als Innenminister gesetzt. Christine Lieberknecht, die nach Uwe Ehrichs Rücktritt kommissarisch die Partei geführt hatte, sollte auch ins Kabinett. Was uns vereinte: Bis auf Jentsch waren wir alle Seiteneinsteiger ...
... die sich über Erfurt verteilten. Ihr Büro befand sich im Landtagshochhaus, der Innenminister und andere Minister saßen in Gebäuden der früheren Volkspolizei, der Landwirtschaftsminister in einem alten Meliorationsbetrieb – und alle bekamen kein Geld.
Ja, das wirkt im Rückblick ein bisschen blamabel. Irgendwann vor Weihnachten 1990 kamen einige Minister zu mir und sagten, Du, Josef, wir haben zwar ein bisschen Erspartes, aber so ganz ohne Gehalt wird es langsam schwierig. Da merkte ich: Ich war ja in derselben Situation. Wir haben das dann schnell gesetzlich geregelt.
Damals musste Ihre Regierung Gesetze wie am Fließband beschließen, um sie ebenso im Akkord vom Landtag verabschieden zu lassen. Was war das wichtigste Gesetz? Das wurde noch vor der Regierungsbildung im Landtag verabschiedet, am 7. November 1990: die sogenannte Landessatzung. Sie war die vorläufige Landesverfassung und bestimmte auch die Regeln für meine Wahl als Ministerpräsident am Tag darauf, dem 8. November.
Ihr Amtseintritt fiel mitten in die beginnende Transformationskrise. Es gab Massenentlassungen, Abwanderung, Notlagen. Haben Sie überhaupt schlafen können? Wenig. Die Lage war unglaublich schwierig. Ich wollte vor allem anderen, dass die Leute ihre Arbeit behalten können oder neue Arbeit finden. Ich habe deshalb viele Dinge dem Wirtschaftsminister abgenommen – und musste dabei so einige bittere Erfahrungen machen.
Zum Beispiel?
Ein westliches Unternehmen hatte, wie es damals ja dauernd vorkam, einen Betrieb von der Treuhand gekauft, für sehr wenig Geld – und ihn dann einfach dichtgemacht. Dabei gab es die vertragliche Verpflichtung, eine gewisse Zahl an Arbeitsplätzen zu erhalten. Aber daran hat sich der neue Besitzer nicht gehalten, er hat einfach alle Leute entlassen. Ich rief in dem Unternehmen empört an, doch der Geschäftsführer sagte mir: „Die Vertragsstrafe ist für mich billiger, als die Arbeitsplätze zu erhalten. Ich habe bei mir im Stammwerk so viele freie Kapazitäten, ich mache das bisschen, war ihr hier produziert, lieber selber.“
So etwas nennt sich wohl Marktbereinigung.
Ja, damit war das Werk weg – und wir als Regierung konnten nichts unternehmen. Eine ähnliche Situation drohte auch in Jena, nur in viel größerem Ausmaß. Es gab den westlichen Stammsitz von Carl Zeiss in Oberkochen, wo teilweise ähnliche Produkte wie in Jena hergestellt wurden. Die Arbeiter in Jena wollten trotzdem komplett vom Westkonzern übernommen werden. Ich habe da gebremst, und ich hatte dafür sogar einen Hebel, weil die Carl Zeiss Jena Gmbh nicht ganz der Treuhand gehörte. Das Land war über die Ernst-abbe-stiftung mit 19 Prozent beteiligt. Die Arbeiter verstanden mich nicht, sie bewarfen mich mit Tomaten, als ich Jena bei einer Betriebsversammlung auftrat. Ich wurde so wütend, dass ich der Treuhand erst recht den Kampf ansagte und rief: „Ich will nicht 19 Prozent, ich will 100 Prozent!“
Sie wollten, dass das Land Carl Zeiss übernimmt?
Ja. Der damalige Treuhand-chef Manfred Rohwedder hörte von meiner Wutrede. Er kam zu mir nach Erfurt gefahren und sagte: „Sie können die 100 Prozent haben.“In diesem Moment habe ich darüber nachgedacht, nach Jena zu gehen und das Unternehmen zu führen.
Parallel zum Amt des Ministerpräsidenten?
Das ging nicht. Ich hätte zurücktreten müssen. Und meine Berater riefen, Josef, das kannst du nicht machen, du musst doch die Regierung führen, du bist doch gerade erst gewählt worden. Also habe ich mir gedacht, wenn ich nicht selbst den Laden übernehme, brauche ich jemanden, dem ich zutraue, einen Betrieb mit 30.000 Menschen zumindest teilweise zu retten.
Das war Lothar Späth.
Oberkochen liegt in Baden-württemberg, und dort war gerade Lothar Späth als Ministerpräsident aus verschiedenen Gründen zurückgetreten. Ich habe ihn gebeten, mein Berater zu werden. Wir haben dann das Unternehmen im Sommer 1991 getrennt, der kleinere Teil kam zu Oberkochen, der größere wurde ein neues Unternehmen, Jenoptik, mit Späth als Vorstandsvorsitzendem. Auch wenn er viele Menschen entlassen musste: Im Rückblick war seine Berufung eine glückliche Entscheidung.
Haben Sie Helmut Kohl gefragt, bevor Sie Späth engagierten?
Ja, das war mir ganz wichtig, Späth gehörte zu jenen, die 1989 auf dem Bremer Parteitag versucht hatten, Kohl vom Cdu-vorsitz zu verdrängen. Und der Kanzler hatte ein gutes Gedächtnis. Also habe ich ihn extra gefragt, als er in Erfurt auf einem Besuch vorbeischaute. Er antwortete, das weiß ich genau: „Ja, das ist eine gute Idee!“Ohne Kohls Zustimmung hätte ich Späth nie geholt.
Sie waren nicht einmal ein Jahr im Amt, als die Konkurrenz und die Medien plötzlich Ihre Vergangenheit in der DDR und der Blockpartei thematisierten. Hat Sie das überrascht?
Ja und nein. Wie gesagt: Auf der einen Seite war ich der Überzeugung, dass wir in Thüringen – von Sed-funktionären und Stasi-spitzeln einmal abgesehen – mit den Menschen arbeiten müssen, die hier leben. Und das galt auch für mich. Auf der anderen Seite habe ich natürlich wegen meiner Vergangenheit den Verdacht mancher gespürt, dass ich nicht politisch sauber bin.
Schließlich kam die Geschichte hoch, Sie seien als Laienkünstler vor Stasi-offizieren aufgetreten. Das war eine infame Verdrehung der Tatsachen. Ich war seit den 1950er-jahren im Gothaer Karnevalsverein aktiv. In der Kunstfigur des Clown Ferdinand hielt ich Büttenreden, die wegen ihres politischkritischen Untertones umjubelt waren. Später, in den 1980er-jahren übernahm ich als Josef Duchac die Moderation einer Folklore-truppe. Mit der Truppe gastierten wir auch in einem Ferienheim in Friedrichroda, in dem ich später sogar Hausverbot bekam, weil ich wohl nicht konform genug war. Dass dort auch Stasi-leute Urlaub machten, wusste ich nicht. In den Medien wurde kolportiert, ich hätte den Clown für die Stasi gegeben, aber als „Clown Ferdinand“war ich nie im Stasi-heim.
Für einige waren Sie trotzdem der „Stasi-clown“, die SPD stellte einen Misstrauensantrag. Dazu wuchs der Frust in der CDU ...
Auch wenn das heute komisch klingt: Ich habe von der Unruhe in meiner Partei nichts gemerkt. Ich war auf der Grünen Woche in Berlin, als ich hörte, dass drei Minister zurückgetreten seien.
Schulministerin Christine Lieberknecht, Finanzminister Klaus Zeh und Jochen Lengemann, der Minister für besondere Aufgaben. Sie sahen keine Warnzeichen?
Keine, ich war zu beschäftigt. Im Nachhinein weiß ich: Die Rücktritte waren auch die Reaktion auf meinen Plan, das Kabinett umzubilden.
Innenminister Böck stand unter Korruptionsverdacht, weil er eine hohe Parteispende in der Landtagskantine angenommen hatte.
Ich will nicht schlecht über ihn reden, er lebt nicht mehr. Die Ermittlungen wurden später eingestellt. Aber ja, ich wollte Böck aus der Schusslinie nehmen und hatte ihn gebeten, Fraktionschef zu werden.
Und Sie wollten Lieberknecht ablösen? Sie stand ja wegen der Schulreform in Dauerkritik.
Ich hatte immer zu Christine Lieberknecht gestanden. Als es Rücktrittsanträge gegen sie gab, hielt ich eine flammende Rede für sie. Umso mehr hat mich ihr Verhalten später enttäuscht. Aber ich will das auf sich beruhen lassen.
Das Ergebnis des von Lieberknecht initiierten Coups war jedenfalls deutlich: Sie traten zurück.
Bevor ich eilig von der Grünen Woche abreiste, sagte Eberhard Diepgen, der Regierende Bürgermeister von Berlin, zu mir: „Du fährst nach Hause, redest mit den Ministern, und falls sie nicht ihren Rücktritt zurückziehen, entlässt du sie, gehst in die Fraktion und verkündest die Kabinettsumbildung. Und wenn die nicht spuren, drohst du mit deinem Rücktritt. Das wird funktionieren.“
Hat es aber nicht.
Diepgens Rat hätte im Westen sicher funktioniert. Aber im Osten war alles anders. Ich verlor die Vertrauensabstimmung in der Fraktion und reichte meinen Rücktritt ein.
Ihr Nachfolger Bernhard Vogel bildete das Kabinett dann um ...
... und zwar in großen Teilen so, wie ich es geplant hatte. Dabei hatten wir beide kein Wort drüber gesprochen. Bernhard Vogel hat das nach mir sehr gut gemacht, er war ja auch mein Wunschkandidat für die Nachfolge. Und: Er hat mich nie im Nachhinein öffentlich bloßgestellt und irgendwelche Versäumnisse und Fehler auf mich geschoben. Dafür bin ich ihm bis heute dankbar.
Vogel mischt sich mit 87 noch in die Landespolitik ein. Verfolgen Sie die Geschehnisse in Thüringen? Selbstverständlich. Ich habe noch viel Familie und Freunde in Thüringen. Es hat mich zum Beispiel sehr enttäuscht, dass 2014 die CDU die Regierung an die Linke verlor. Ich hätte alles dafür getan, die SPD in der Koalition zu halten.
Kennen Sie den aktuellen Ministerpräsidenten schon aus Ihrer Regierungszeit, er war ja damals Gewerkschaftssekretär im Land? Bodo Ramelow sagte mir, wir hätten uns schon damals getroffen. Ich kann mich nicht daran erinnern.
Was halten Sie von der Arbeit Ihres Nachnachnachnachfolgers?
Dazu steht mir keine öffentliche Einschätzung zu.
Eine letzte Frage: Was haben Sie am 5. Februar gedacht, als die CDU mit AFD und FDP Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählte? Ich verstand, dass FDP und CDU mit einem Kandidaten Selbstbewusstsein gegenüber der rot-rot-grüne Minderheitskoalition zeigen wollten. Dass die AFD derart tricksen würde, haben ja viele nicht geahnt. Aber Thomas Kemmerich hätte die Wahl nie annehmen dürfen.
Hat er aber.
Ach, wissen Sie, mit der FDP war es schon immer etwas schwierig.