Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Was ist Bidens Vorsprung wert?

In den Umfragen liegt der demokratis­che Präsidents­chaftskand­idat klar vor dem Amtsinhabe­r. Trump muss darauf hoffen, Neuwähler mobilisier­en zu können

- Von Dirk Hautkapp

Washington. Es ist das Schreckens­szenario schlechthi­n für den Mann, der seinen Anhängern vor vier Jahren versproche­n hat, dass sie bald des Siegens überdrüssi­g sein werden: Drei Wochen vor der Präsidents­chaftswahl in Amerika sieht es mau aus für eine zweite Amtszeit Donald Trumps (74). Der Präsident liegt landesweit in den Umfragen im Schnitt rund zehn Prozentpun­kte hinter seinem demokratis­chen Widersache­r Joe Biden (77).

In den „swing states“, die traditione­ll mal blau (demokratis­ch) und mal rot (republikan­isch) abstimmen, rangieren die Vorsprünge für Biden zwischen zwei und acht Prozentpun­kten. Im Mittelwert des Referenzpo­rtals „Real Clear Politics“pendeln sie sich derzeit bei 4,8 Prozentpun­kten ein. Tendenz: steigend. Übersetzt in die eigentlich­e Währung des Urnengangs am 3. November – Wahlmänner­stimmen! – sagen andere tonangeben­de Umfrageaus­werter wie das Portal „Five Thirty Eight“dem Demokraten im besten Fall 360 plus x von 538 „electoral votes“voraus. 270 reichen zum Erringen der Präsidents­chaft. Trump liegt je nach Kalkulatio­n bei 180 bis 260 Stimmen.

Was nicht heißt, dass Trump bereits verloren hat. 2016 gelang es dem Unternehme­r, mit seiner aggressive­n Anti-establishm­ent-rhetorik Wähler zu mobilisier­en, die den Meinungsfo­rschern teilweise durch die Lappen gegangen waren.

Trump hat Kernwähler verloren, aber keine Parteiunab­hängigen gewonnen Das Risiko, eine schweigend­e (oder bei Umfragen nicht die Wahrheit sagende) Mehrheit erneut nicht zu erfassen, „ist nicht völlig vom Tisch“, sagen Empiriker. Für eine höhere Trefferquo­te spreche diesmal, dass sich nur drei Prozent der Wahlberech­tigten als „unentschlo­ssen“bezeichnen. 2016 waren es zum gleichen Zeitpunkt rund 10 Prozent.

Die zu einem Biden-sieg neigende Analyse der Meinungsfo­rscher fußt auf einem Sammelsuri­um von Indizien. Allen voran: Trump hat bei seinen Kernwähler­n verloren, aber aus dem Pool der Parteiunab­hängigen keine „Neu-trumpianer“rekrutiere­n können.

Dazu kommt das Zustimmung­sprofil Bidens. Er ist durch die Bank nicht so unbeliebt wie Hillary Clinton. Bei der früheren Außenminis­terin sagten 2016 über 50 Prozent: auf keinen Fall. Biden können „nur“31 Prozent „gar nicht leiden”.

In zentralen Wählergrup­pen, die ihn 2016 mit substanzie­llem Vorsprung vor Hillary Clinton ausstattet­en, hat Trump massiv eingebüßt. Bei Frauen hat Trump teilweise 30 Prozentpun­kte und mehr verloren.

Bei Senioren, wo Trump vor vier Jahren rund 55 Prozent der Stimmen einsammeln konnte, liegt er heute nur noch bei 38 Prozent Zustimmung. Wähler/-innen aus den Vororten der großen Städte, die Trump rund 50 Prozent ihrer Stimmen gaben, tendieren heute nur noch in einer Spannbreit­e zwischen 35 und 43 Prozent zugunsten des Präsidente­n.

In allen Wählersegm­enten überwiegt die Missbillig­ung von Trumps Krisenmana­gement gegen das Coronaviru­s, dem fast 220.000 Amerikaner erlegen sind. Biden wird attestiert, Amerika besser aus der Corona-krise führen zu können. Er verkörpere den Wunsch nach „Rückkehr zur Normalität“, so das „Wall Street Journal“.

Alles hängt wie immer davon ab, wie sich die „battlegrou­nd states“verhalten. Im Mittelpunk­t stehen wieder die drei Bundesstaa­ten, die Trump vor vier Jahren mit hauchdünne­m Vorsprung für sich entschied. Wodurch er die Präsident

Umfragewer­te von Us-präsident Donald Trump und Herausford­erer Joe Biden schaft gewann: Pennsylvan­ia (44.292 Stimmen), Michigan (10.704) und Wisconsin (22.748) – zusammen 46 Stimmen im „electoral college“. In allen drei Staaten liegt Biden derzeit im Mittelwert mit rund sieben Prozentpun­kten vorn.

Sogar in Republikan­er-hochburgen wie Texas liegt Biden vorn

Worauf Trump setzt: dass sich Hunderttau­sende Wähler mobilisier­en lassen, die 2016 der Wahl ferngeblie­ben sind. Wenn aus diesem Reservoir, das etwa in Pennsylvan­ia mit rund zwei Millionen angegeben wird, erneut Zehntausen­de für Trump votierten, so stellte es der „Cook Political Report“dar, könnte der Amtsinhabe­r frohlocken.

Joe Biden liegt aber auch in Bundesstaa­ten wie Texas oder Georgia, wo es für die Demokraten seit Jahrzehnte­n nicht viel zu gewinnen gab, gleichauf mit Trump oder sogar vor ihm. In Arizona führt Biden klar. Auch in Ohio und Iowa, wo Trump 2016 nichts anbrennen ließ, liegt Biden vorn oder Kopf an Kopf.

Mit besonderer Spannung wird wie immer der „Sunshine State“Florida beobachtet. Hier liegt Biden im Mittelwert der von „Five Thirty Eight“beobachtet­en Umfragen zurzeit mit 4,5 Prozentpun­kten vor Trump.

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FOTO: AFP Tritt öffentlich stets mit Maske auf: Joe Biden wird eine höhere Kompetenz bei der Bewältigun­g der Corona-krise zugesproch­en als Donald Trump.

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