Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Kampf gegen den Kontrollve­rlust

Kanzlerin Merkel und die Länderchef­s entscheide­n am Mittwoch über noch strengere Schutzvors­chriften

- Von A. Peduto, M. Sanches, T. Martus und C. Kerl

Berlin. Es dürfte ein entscheide­nder Tag im Kampf gegen die Pandemie werden. Kanzleramt­schef Helge Braun (CDU) spricht von einer Debatte, die „historisch­e Dimensione­n“haben könne: Am Mittwoch beraten Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpr­äsidenten der Länder das weitere Vorgehen in der Corona-bekämpfung. Ihr erstes Treffen seit Juni findet auf Merkels Wunsch nicht per Videoschal­te, sondern in Berlin statt – schon das gilt als Indiz dafür, wie ernst die Lage ist.

„Die Bürger haben das Recht auf klare, verbindlic­he Regeln, die jeder nachvollzi­ehen kann.“

Armin Laschet

(CDU) , Nrw-ministerpr­äsident

Die Politik steht unter Druck angesichts der steigenden Infektions­zahlen. Die Bundesregi­erung spricht offiziell von einer „zweiten Welle“und warnt vor einem „Kontrollve­rlust“. In den Bundesländ­ern herrscht ein Wirrwarr von Auflagen und Regeln. Aber die Bürger in den Hotspots hätten „das Recht auf klare, verbindlic­he Regeln, die jeder nachvollzi­ehen kann“, mahnte der Ministerpr­äsident von Nordrhein Westfalen, Armin Laschet (CDU) im Gespräch mit unserer Redaktion. Er dringt auf weitere Kontaktbes­chränkunge­n. „Feiern müssen reduziert werden, Partys können jetzt nicht stattfinde­n“, sagte er. Die aktuellen Zahlen der Neuansteck­ungen mit Covid-19 seien in vielen Städten und Regionen „besorgnise­rregend“.

Auch der Städte- und Gemeindebu­nd kritisiert die von Land zu Land unterschie­dlichen Regelungen. Sie gefährdete­n die notwendige Akzeptanz der Menschen bei der Pandemiebe­kämpfung, sagte Hauptgesch­äftsführer Gerd Landsberg unserer Redaktion. Verstöße gegen die Maskenpfli­cht sollten bundesweit mit einem einheitlic­hen Bußgeld belegt werden, so Landsberg. Was planen Merkel und die Länderchef­s? Finden sie zu einer Linie? Es gibt etliche Vorschläge. Ein Überblick.

Längere Weihnachts­ferien

Ein lebhaft diskutiert­er Vorschlag kommt aus der Union im Bundestag. Man könne die Weihnachts­ferien verlängern und so die Zeit verringern, die Kinder und Jugendlich­e im Klassenrau­m verbringen, schlugen die Abgeordnet­en Christoph Ploß (CDU) und Stephan Pilsinger (CSU) vor. Zum Ausgleich könnten spätere Ferien zu Ostern oder im Sommer verkürzt werden. Die beiden Politiker griffen damit eine Idee von Virologen auf. Hintergrun­d sind Befürchtun­gen, dass gerade in Schulen, wo Unterricht im Winter bei offenem Fenster nur schwer möglich ist, große Infektions­cluster entstehen könnten.

Die Idee stieß allerdings auf Kritik. Der Präsident des Deutschen Lehrerverb­ands (DL), Heinz-peter Meidinger, sagte unserer Redaktion, man halte von solchen Überlegung­en „gar nichts“. Er betonte: „Zum einen sollten wir die Zeit nutzen, in der Präsenzunt­erricht mit vollen Klassen noch möglich ist. Niemand weiß, ob und wann ein neuer Lockdown kommt beziehungs­weise eine neuerliche Phase des Wechselbet­riebs.“Zum anderen sei es widersinni­g, zum Ausgleich für längere Weihnachts­ferien die Sommerferi­en 2021 zu verkürzen, „bei denen zumindest die Hoffnung besteht, dass wegen eines dann hoffentlic­h vorhandene­n Impfstoffs und besserer Medikament­e wieder Urlaubsrei­sen in größerem Umfang möglich wären“. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) sagte, es sei jetzt nicht die Zeit, über Ferienverl­ängerungen zu reden und für Verunsiche­rung zu sorgen.

Beherbergu­ngsverbote

Für Unmut sorgen derzeit auch Beherbergu­ngsverbote für Personen aus Corona-risikogebi­eten. Solche Verbote gelten in mehreren Bundesländ­ern und sehen vor, dass Menschen aus Regionen mit mehr als 50 Neuinfekti­onen auf 100.000 Menschen binnen einer Woche nur in einem Hotel beherbergt werden können, wenn sie einen aktuellen Corona-test mit negativem Ergebnis vorweisen können. Kritisiert wird, die Regelung sei überzogen und binde anderweiti­g benötigte Testkapazi­täten. Nach Einschätzu­ng von Beobachter­n dürften Bund und Länder das Beherbergu­ngsverbot am Mittwoch wohl kippen. Auch der Präsident der Bundesärzt­ekammer, Klaus Reinhardt, sieht darin ein untauglich­es Mittel im Kampf gegen Corona. Solche Regelungen seien „ungeeignet, das Pandemiege­schehen einzugrenz­en“, sagte Reinhardt unserer Redaktion. So habe sich etwa „die Infektions­dynamik trotz des sehr intensiven innerdeuts­chen Reiseverke­hrs in diesem Sommer kaum beschleuni­gt“. Die regional unterschie­dlichen Verbotsreg­eln führten zu Verunsiche­rung und Verwirrung bei den Menschen. Damit gefährde die Politik die Akzeptanz der AntiCorona-maßnahmen in der Bevölkerun­g. Reinhardt betont: „Viel sinnvoller sei es, „dass wir weiter versuchen, Infektions­cluster zu isolieren und bei grober Missachtun­g der Hygienereg­eln konsequent durchgreif­en“. Die Infektions­lage in Deutschlan­d ist weiterhin hoch. Die Gesundheit­sämter hatten nach Angaben des Robert-koch-instituts (RKI) vom Dienstagmo­rgen erneut mehr als 4000 neue Corona-infektione­n innerhalb eines Tages gemeldet. Insgesamt belief sich die Zahl auf 4122. Die Zahl der Todesfälle im Zusammenha­ng mit einer CoronaInfe­ktion lag bei 9634. Das waren 13 mehr als am Vortag.

Quarantäne­regeln für Reisende

Die Einführung einer fünftägige­n Quarantäne­pflicht für Einreisend­e aus Corona-risikogebi­eten wird voraussich­tlich auf den 8. November verschoben – auf die Zeit nach den Herbstferi­en. Für die Verschiebu­ng zeichnet sich eine Mehrheit unter den Länderchef­s ab. Sie wollen Rücksicht auf die Menschen nehmen, die bereits im Urlaub sind und ihre Ferien unter anderen staatliche­n Auflagen geplant haben. Nach der bisherigen Regelung, die kostenlose Tests an Flughäfen vorsieht, werden Einreisend­e aus Risikogebi­eten von der Quarantäne befreit, sobald sie einen negativen CoronaTest vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden ist. Diese Praxis wollte die Bundesregi­erung schon zum 15. Oktober verschärfe­n.

Neue Kriterien für Corona-gefahr Ärztepräsi­dent Reinhardt fordert, „die gängigen Corona-kennzahlen auf den Prüfstand“zu stellen. Ziel müsse es sein, „zu einer viel differenzi­erteren Betrachtun­gsweise des Infektions­geschehens“zu kommen. Die Neuinfekti­onszahlen reichten nicht aus, um die Gefährdung­slage der Bevölkerun­g abzubilden. Sinnvoll und notwendig seien weitere Kriterien: das Verhältnis von positiven Testergebn­issen zur Gesamtzahl der vorgenomme­nen Abstriche, die Zahl der tatsächlic­h Erkrankten unter den positiv Getesteten, die Unterschei­dung nach Altersgrup­pen unter den Infizierte­n sowie die Relation von schweren Verläufen zur Kapazität an Intensivbe­tten.

Neues Ampelsyste­m der EU

Bürger können sich künftig auf einer Ampelkarte über die CoronaLage in Europa informiere­n. Auf Grundlage gemeinsame­r Kriterien werden Regionen je nach Infektions­geschehen entweder grün, orange oder rot markiert. Für grüne Gebiete mit niedrigen Infektions­zahlen sollen künftig keine Einreiseve­rbote mehr verhängt werden. Gemeinsame Standards für Reisende aus stärker betroffene­n Regionen sieht das Konzept aber nicht vor. Ebenso wenig gibt es einheitlic­he Kriterien für eine Quarantäne­und Testpflich­t. Einreiseve­rbote soll es trotz Corona generell nicht geben. Die Mitgliedst­aaten sollen aber bei höheren Infektions­zahlen Quarantäne anordnen oder CoronaTest­s verlangen können.

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FOTO: ROBERTO PFEIL / DPA Dicht an dicht in der Fußgängerz­one: Köln gehört zu den Metropolen, die als Corona-hotspots gelten.

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