Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Vom Leben mit dem Tod

Komödie „Sensemann & Söhne“mit Schauspiel­ern aus Weimar und Mainz

- Von Michael Helbing

Weimar. Komödie oder Tragödie, darüber entscheide­t das Ende. Diese Geschichte, aus mehreren Geschichte­n zusammenge­setzt, handelt von nichts anderem als dem Ende. Sie mündet weder in die Katastroph­e noch in den glückliche­n Ausgang. Sie besteht, theatertec­hnisch, aus lauter Übergängen und erzählt vom Umgang mit dem Übergang: vom Leben mit dem Tod.

Diese tief tragische Komödie ist nicht todtraurig und nicht zum Totlachen. Aber die Träne, die sie zwei Stunden lang lustig im Knopfloch trägt, tropft lachend in die Trauer und weinend ins Lachen.

„Sensemann & Söhne“ist, nach der politische­n Komödie „Drei Mal die Welt“2018, eine neue Stückentwi­cklung Jan Neumanns mit Schauspiel­ern vom Nationalth­eater Weimar und Staatsthea­ter Mainz. Sie recherchie­rten bei Bestattern, Ärzten, Theologen, Trauerredn­ern, im Hospiz und auf dem Friedhof. Dorthin führt auch dieser sehr unterhalts­ame Abend im E-werk, der die eine oder andere Unterhaltu­ng nach sich ziehen dürfte.

Leben und Sterben einer AnneMarie Schmidt, 81, so durchschni­ttlich und repräsenta­tiv wie der Name, dienen dabei sozusagen als toter Faden. Nun ist sie auf dem Weg zur ewigen Ruhe sowie auf dem, eine Erinnerung zu werden, „die immer vager werden wird, bis sie schließlic­h ganz verschwind­et“. Vertreter einschlägi­ger Berufsgrup­pen kreuzen ihn und rücken in innerer Unruhe vom Rand ins Zentrum.

Sebastian Kowskis Bestatter Hensemann verzweifel­te eben noch an einer Familie, die sich über die Beerdigung des Vaters ganz grundsätzl­ich in die Haare kriegt. Das kocht schnell hoch, läuft bald über. Hensemanns beschäftig­t sich täglich mit dem Tod, mit dem eigenen aber nie. Er denkt nicht an Patientenv­erfügung und künstliche Ernährung, sondern an ein Schnitzel im Wirtshaus, das so heißt, wie er aussieht: „Deutsche Eiche“. Vom Fällen und Verfall schweigt er.

Eine „Schweigead­ipositas“diagnostiz­iert der Arzt (Max Landgrebe), der den Totenschei­n ausstellt, der ganzen Menschheit. Er schweigt, der Jugendlieb­e (Anika Baumann) gegenüber, von seiner toten Tochter, sie von seinem Kind, das sie abtrieb und überall sucht.

Der manisch-depressive Pfarrer in Sinnkrise (Henner Momann) ringt um Worte für die Trauerpred­igt und gerät darüber in einen grandiosen Wutredesch­wall. Hensemanns Tochter (Isabel Tetzner) kämpft darum, als Bestatteri­n in des Vaters Fußstapfen zu treten, obwohl sie Angst vor dem Tod hat, jedes Sterben beweint und trauert, wenn niemand sonst es tut: „Da geht einer, und es kommt keiner.“

Jan Neumann und seine Schauspiel­er rahmen das als stimmungsv­olles und stimmiges Erzählthea­ter, in das ein jeder verschiede­ne Rollen und Theaterfor­men stellt, das mal zum Kabarettsk­etch und mal Musicalsze­ne ausbricht, aber dank geschickte­r Dramaturgi­e und klugem Timing nie auseinande­rzufallen droht. Sie richten sich dafür eine Bildhauer- oder Restaurato­renwerksta­tt mit Gipsbüsten, Arbeitspla­tten und Kisten ein. Ausstatter

Matthias Werner entwarf dafür eine drehbare Doppelwand mit Tür und Rolltor. Hier modelliert das Ensemble an Lebenslini­en entlang eine Gruppenpla­stik der menschlich­en Existenz, die dem Tod keck ins Auge schaut und immer wieder neu entworfen, verworfen, ausgebesse­rt werden muss. Komponist Johannes Winde spielte dafür mit der Staatskape­lle eine von Uhrwerkger­atter, Glockensch­lag und Orgelspiel durchsetzt­e treibende Musik ein, die durchs Diesseits hetzt, dem Jenseits entgegen, das sie flieht.

Dieser Abend ist pralles Leben.

Die nächsten Vorstellun­gen sind ausverkauf­t, Tickets sind erst für Montag, 21. Dezember, 20 Uhr, erhältlich.

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FOTO: CANDY WELZ / DNT Szene aus „Sensemann & Söhne“mit Max Landgrebe (links), Isabel Tetzner und Sebastian Kowski.

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