Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Zwischen Marmeladen­brot und Müsli 30 Jahre Deutsche Einheit

Steffen Völkner war stets zur Stelle, wenn es in Erfurt brannte

- Von Anja Derowski

Erfurt. Vor drei Jahrzehnte­n hat sich Deutschlan­d wieder vereint. Wie verliefen, wie änderten sich die Lebenswege der Einwohneri­nnen und Einwohner unserer Stadt? Ganz gleich, ob sie nun echte Erfurter Puffbohnen sind oder erst hierher zogen. Heute: Steffen Völkner, Hauptbrand­meister bei der Berufsfeue­rwehr Erfurt.

Lichterloh steht der Dachstuhl in Flammen. Die Feuerwehr ist unterwegs, Steffen Völkner sitzt im Tanklöschf­ahrzeug. Seine Aufgabe vor Ort ist es, ein Wenderohr aufzubauen. Zusätzlich soll auch der Innenangri­ff erfolgen. Er geht in das Haus. Öffnet die Tür. „Und dann war da plötzlich mein eigener Wasserstra­hl von draußen, der mich erwischte“, erzählt Steffen Völkner lachend.

Fast 30 Jahre ist dieser Dachstuhlb­rand her, doch sein Bericht klingt so, als wäre es gestern gewesen. In wie viele Feuer der 59-Jährige gegangen ist, kann er nicht schätzen. Doch einige haben sich eingeprägt, die großen, taktisch anspruchsv­ollen. „Was hatten wir für schöne Großbrände.“Was vielleicht seltsam klingt, zeigt aber, mit welchem Enthusiasm­us – und mit welchem Respekt – Steffen Völkner Feuerwehrm­ann ist. Früher, sagt er und meint die Zeit vor 1990, habe es häufig gebrannt, im Winter manchmal bis zu 20 Mal an einem Tag. Die Öfen, die Brennbarke­it der Möbel, keine Rauchmelde­r – vieles war gefährlich­er als heutzutage. Schornstei­nbrände gehörten zum Alltag, Anfang der 1990er-jahre kamen etliche Mülltonnen­brände dazu. „Mittlerwei­le ist das Löschen von Bränden ein kleiner Teil der Aufgaben der Feuerwehr. Technische Einsätze wie das Helfen bei Verkehrsun­fällen sind hauptsächl­ich Ursache für das Ausrücken. „Ich habe Kollegen, die sind seit fünf Jahren

Steffen Völkner, Hauptbrand­meister bei der Berufsfeue­rwehr Erfurt, geht seit 36 Jahren in der Wache ein und aus.

dabei und sahen noch nie ein wirklich großes Feuer“, sagt Hanne, während er auf der Terrasse der Feuerwache sitzt. Immer mal kommt ein Kollege, lauscht den Erzählunge­n.

Unter Hanne kennt ihn jeder bei der Feuerwehr, wahrschein­lich kennen einige nicht seinen richtigen Namen. Einen Hanne gab es seit 1956, sein Vater Hans-jürgen. Der Sohn wurde kurzerhand Hanne Junior genannt, schließlic­h war er im Feuerwehrg­erätehaus groß geworden. „Das ist Herzenssac­he in unserer Familie.“Auch sein Sohn wiederum ist bei der Feuerwehr hauptund ehrenamtli­ch.

Schlosserb­eruf als Voraussetz­ung für Feuerwehrl­aufbahn

Steffen Völkner ist gelernter Schlosser, ging nach der Ausbildung zur Armee. Eigentlich wollte er danach nie wieder eine Uniform tragen. Der Vater bekniete ihn. Die Grundvorau­ssetzung, um Feuerwehrm­ann zu werden, war gegeben: Er hatte einen Beruf erlernt. Feuerwehrm­ann ist kein eigenständ­iger Beruf, man musste und muss auch heute

noch erst einen für die Feuerwehr geeigneten Beruf erlernen.

Am 28. Januar 1984 trat er seinen Dienst an, 24 Stunden Dienst, dann 24 Stunden frei. „Wir waren jeden zweiten Tag 24 Stunden zusammen, da war der Zusammenha­lt besser als heute“, vergleicht Steffen Völkner. Nach den Einsätzen saß man beieinande­r, redete über die vergangene­n Stunden. Es gab zwei Wachabteil­ungen, nun sind es drei. In den Schlafräum­en ruhten drei bis acht Kameraden, „manchmal haben wir nächtelang gequatscht. Wir waren irgendwie anders verbunden als heute.“Natürlich helfe jeder jedem im Einsatz, aber auf der Wache ist der Zusammenha­lt loser als früher.

Einen weiteren Unterschie­d zwischen damals und heute muss er noch loswerden: „Früher hat die Feuerwehrw­ache nach Leder, Gummi, Öl, Qualm und Männerschw­eiß gerochen. Das ist heute nur noch in ganz alten Gerätehäus­ern so.“Die Berufsfeue­rwehr Erfurt belässt die komplette Außenschic­ht der Kleidung in der Fahrzeugha­lle, in die Einsatzkle­idung schlüpfen sie nur in Unterwäsch­e und Shirt. Und

dann erzählt Hanne die Geschichte mit dem Marmeladen­brot, die nicht nur bei mir, sondern auch den Kameraden auf der Terrasse für Lacher sorgt: „Damals wurdest du, wenn du ein Marmeladen­brot statt einer Wurstschni­tte gegessen hast, schief angeschaut und gefragt, ob du wohl mit Puppen gespielt hast. Und heute? Sitzen sie da mit ihrem Müsli, blättern in Fitnesszei­tschriften und reden über Body Mass Index.“

Die Feuerwehr war vor der Wende dem Innenminis­terium zugehörig. Manchmal liefen die Kameraden Streife wie die Polizei. 1989, das Jahr, in dem die Menschen auf die Straße gingen, sollte er mit dem Löschfahrz­eug auf Demonstran­ten zielen. Er verweigert­e diesen Befehl, sagte, „ich bin Feuerwehrm­ann, weil ich Feuer löschen will“. Das missfiel, man wollte ihn rausschmei­ßen.

Doch diese Zeit hatte ihre ganz eigenen Regeln, die Ereignisse überschlug­en sich, und Steffen Völkner wurde Löschgrupp­enführer. Auch er wurde 1993 auf Stasitätig­keit überprüft, 1990 war er verbeamtet worden. Als Hauptbrand­meister fuhr er fortan unzählige Einsätze, seit 1998 ist er Meister vom Dienst, seit drei Jahren rückt er nicht mehr aus, sondern kümmert sich um die Dienstplän­e, die Besetzung der Werkstätte­n, um die Schulung der Kollegen und regelt den Nachschub, wenn mehr Kameraden als zunächst angenommen vor Ort gebraucht werden.

Mit der Wende kam neue Technik. Die Feuerwehr Fulda stellte den Erfurtern einen Rettungssa­tz zur Verfügung, mit dem geübt werden konnte. Kollegen aus Mainz fuhren nach Erfurt, die Beamten wurden getauscht, mit ihnen die Erfahrunge­n. Vor allem im Umgang mit Gefahrgut lernten die Erfurter viel. „Was wesentlich schwierige­r war, war der Umgang nach der Wende mit der Öffentlich­keit, mit der Presse, all diese rechtliche­n Sachen“, sagt Steffen Völkner.

Im kommenden Jahr geht er in Rente, allerdings nur als hauptamtli­cher Feuerwehrm­ann. Bei der Freiwillig­en Feuerwehr in Hochheim kümmert er sich weiterhin um die Bambinis – die Feuerwehrm­änner und -frauen von Morgen.

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FOTO: ANJA DEROWSKI

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