Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Alt wie ein Baum möchte ich werden … Aus der Seniorenre­daktion

Kritische Gedanken zum Umgang mit alten Menschen in der heutigen Gesellscha­ft

- Von Margitta Guhn

Die „Alten“, die dieses Land mit vielen Entbehrung­en aufgebaut haben, müssen jetzt zusehen, wie vieles, was sie auf den Weg gebracht haben, auf der Strecke bleibt.

Das soll aber nicht heißen, dass sie die Ewiggestri­gen sind. Sie nehmen am Leben, solange es ihnen möglich ist, aktiv teil. Deshalb sehen sie auch mit Sorge, wie sich das Leben verändert. Das beginnt bei den ungleichen Löhnen und Renten, fehlenden Kindergart­en-plätzen, der mangelhaft­en Schulbildu­ng unserer Kinder und Enkel. Die fehlenden Lehrer, der fehlende Einsatz moderner Technik tun ein Übriges. Es wirkt vielleicht im Moment noch nicht so akut, aber es kommt.

Wie stellen sich die verschiede­nen gesellscha­ftlichen Bereiche auf den demografis­chen Wandel, den Faktor der immer älter werdenden Menschen ein? Das Land Thüringen hat mit seinem Beitritt zur Bundesrepu­blik Deutschlan­d, wie alle anderen neuen Bundesländ­er auch, das Grundgeset­z übernommen. „Die Würde des Menschen ist unantastba­r“, „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“steht da. Der Anspruch des Handelns der Politik und aller anderen Bereiche, die Differenzi­erung von Menschen mit Behinderun­g, körperlich­en Einschränk­ungen, ob gebildet oder weniger gebildet, alle haben den Anspruch auf Gleichbeha­ndlung.

Als ich Herrn Beier kennenlern­te, wusste ich nur, dass er einen Fahrdienst, einen „Sozialen Dienstleis­tungs-service“, betreibt. Eine Aufgabe, die ihm gut gefällt und ausfüllt. Das Spektrum ist anspruchsv­oll … Aber das ganze Drumherum macht nicht nur ihn unzufriede­n. Gut durchdacht­e und initiierte Hilfen nach dem Sozialgese­tzbuch (SGB) greifen nur teilweise oder laufen ins Leere. Seit dem Jahr 2000 gibt es ein parlamenta­risches Bündnis, in dem sich Vereine, Institutio­nen, der Hörgeschäd­igten-verband und viele andere zusammenge­schlossen haben. Die Initiative „Selbstbest­immt Leben“ist ein Angebot nicht nur für Behinderte im Rollstuhl. Es ist ein Angebot, welches Kontakte zu allen Menschen mit Einschränk­ungen sucht, um Hilfen im Alltag zu vermitteln. Egal, ob im Haushalt, bei Behördengä­ngen oder einfachen handwerkli­chen Tätigkeite­n.

Viele Vorschläge der Verbände laufen ins Leere

Solche Initiative­n gibt es zum Beispiel auch in Nordrhein-westfalen. „Hilfst Du mir, helfe ich Dir“heißt dort das Motto. Ehrenamtli­che bieten in ihrem Umfeld Hilfen an, die zum Beispiel ihr Nachbar nicht mehr selbst erledigen kann. Dafür sind keine Zahlungen fällig, sondern eine Gegenleist­ung, die man noch selbst leisten kann … Ganz individuel­l. Diese Initiative findet großen Zuspruch.

Auch in Thüringen läuft es ähnlich. Doch Herr Beier erklärt, unsere Angebote werden durch die Politik und das Parlament ungenügend oder gar nicht wahrgenomm­en. Die großen Vereine werden mit Spenden und Zuschüssen bedacht. Die kleinen gehen leer aus.

Zweimal im Jahr finden im Parlament mit den zugehörige­n Fraktionen im Landtag Absprachen mit Verantwort­lichen der Vereine statt. Hier werden unter anderem abzugebend­e Resolution­en besprochen. Das diese zum Beispiel 2004 das Gleichstel­lungsgeset­z für zehn Jahre befristet auf den Weg gebracht haben, ist eigentlich positiv. Aber nach Ablauf dieses Zeitraumes wurde es einfach „entfristet“, sodass es ohne wesentlich­e Änderungen oder Aktualisie­rung weiter besteht. Nicht nur der Behinderte­nbeauftrag­te des Landes Thüringen beklagt die fehlende Koordinati­on zwischen den Verbänden wie Awo, DRK, Parität und so weiter und den kleinen Vereinen im Rahmen der LAG Selbsthilf­e. Auch hier laufen Vorschläge ins Leere, werden durch die Politik nicht umgesetzt oder sogar ignoriert. Es sind gerade die kleinen Vereine, die an der Basis sehr gute Arbeit leisten und die Nöte der Menschen kennen.

Es fehlen Antworten auf die Fragen, die der Seniorenbu­nd in nicht nur einem Brief der Politik stellt. Da, wo die Menschen keine Antworten auf ihre Fragen bekommen, entwickeln sich Spekulatio­nen, Meinungsst­reit oder sogar direkte Ablehnung.

Die Bewohner des Landes haben Zukunftsän­gste. Die „Alten“, die in ihren Wohnungen verbleiben oder in den verschiede­nsten Wohnformen leben, vereinsame­n zunehmend. Für sie ist nicht klar, warum sich ihr Eigenantei­l an den Kosten ständig erhöht, obwohl der Service mit den Kosten eine erhebliche Diskrepanz darstellt. Warum sie ein Fall fürs Sozialamt werden, obwohl sie ihr ganzes Leben gearbeitet haben. Man lässt sie einfach im Regen stehen. Sie haben als alte Menschen keine Lobby, sind nur ein Kostenfakt­or. Für die Senioren ist mehr als ein Schlag ins Gesicht, dass sich ein Geschäftsf­ührer ein Jahresgeha­lt von 300.000 Euro genehmigt, die nicht von den Beiträgen der Mitglieder finanziert sind, sondern als Verwaltung­skosten bei der Budgetverh­andlung deklariert wurden …

„Alt wie ein Baum möchte ich werden“, singen die Puhdys. Ich möchte auch alt werden, in Würde und nicht in Abhängigke­it der Finanzen. Sollte es wirklich dazu kommen, wünsche ich mir gut bezahltes Personal, das auch Zeit für mich hat. Der Beifall, den die systemrele­vanten Berufe in der Pandemie bekommen haben, war mehr als berechtigt. Jetzt gilt es, Realitäten zu schaffen und nicht erst, wenn diese auch alt sind. Die Politik wird an ihren Taten gemessen und nicht an ihren Reden.

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FOTO: SEBASTIAN KAHNERT / DPA Gesund und sorgenlos auch im hohen Alter – das wünschen sich wohl alle Menschen.

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