Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Lieb hatten sich die Parteien nicht Gerichtsbe­richt

Jenaer Firma muss Anatole Braungart vorerst weiterbesc­häftigen

- Von Thorsten Büker

Jena/gera. Um die große Politik oder gar den Klassenkam­pf ging es gar nicht. „Wir arbeiten mit unseren Bordmittel­n“, sagt Richter Ingo Menke. Und das ist vor allem das Arbeitsrec­ht. Zumindest das Eilverfahr­en muss eine Firma aus Jena als Niederlage verbuchen. Der Cncfräser Anatole Braungart ist bis zu einer Entscheidu­ng in der Hauptsache weiter zu beschäftig­en. Dass Braungart, 59 Jahre alt, Bundestags­direktkand­idat der Internatio­nalistisch­en LISTE/MLPD ist, interessie­rte die Kammer gar nicht.

Von einem „beginnende­n Nötigungsv­erfahren“sprach Richter Ingo Menke gleich zu Beginn: Er wolle nämlich erkunden, ob sich die Beteiligte­n wieder „lieb haben können“. Danach sieht es nicht aus. Der Weimarer Rechtsanwa­lt Andreas Schramek, der die Firma Hellma Optik und ihren Handlungsb­evollmächt­igten Thomas Töpfer vertritt, wirft Braungart vor, sich als politische­n Märtyrer inszeniere­n zu wollen. Und den sieben Zuschauern im Saal 116 des Arbeitsger­ichts Gera sagt er, sie sollten nicht kichern und sie hätten hier gar nichts zu melden.

Natürlich wird im Vorfeld das Vorgehen von Online-medien wie

„Rote Fahne News“als politische Kündigung bezeichnet: Hier der Kandidat der Marxistisc­h-leninistis­chen Partei Deutschlan­ds; dort der Jenaer Firmenchef, dem man eine „massive Wahlbehind­erung mit antikommun­istischem Hintergrun­d“unterstell­t. Das lockt am Donnerstag auch Angehörige, Freunde und Unterstütz­er von Anatole Braungart an.

„Wahlbehind­erung mit antikommun­istischem Hintergrun­d“

Was wirft das Unternehme­n ihm vor? Anatole Braungart verlässt am 1. September seinen Arbeitspla­tz, lässt eine Maschine unbeaufsic­htigt und informiert Kollegen über seine politische­n Ambitionen und legt Wahlflyer aus. „Ich bin von meinen Kollegen angesproch­en worden. Ich wollte sie informiere­n. Der Wahlkampf findet doch mitten in der Gesellscha­ft statt“, sagt er und verweist auf das Abgeordnet­engesetz:

„Benachteil­igungen am Arbeitspla­tz im Zusammenha­ng mit der Bewerbung um ein Mandat sowie dem Erwerb, der Annahme und Ausübung eines Mandats sind unzulässig.“

Und überhaupt: Weil die Maschinen in der Halle ohnehin weit auseinande­rstünden, liefen diese häufiger unbeaufsic­htigt. „Ich kann mich doch nicht klonen.“

Industrieg­ewerkschaf­t Metall sorgt für den Rechtsschu­tz

Braungart arbeitet seit dreieinhal­b Jahren für das Unternehme­n. Zur Landtagswa­hl 2019 tritt er ebenfalls als Direktkand­idat an. Da gibt es keine Probleme; zumindest keine, die öffentlich werden. Am Donnerstag sagt er: „Ich möchte meinen Arbeitspla­tz zurück. Das Klima ist gut. Ich habe gute Beurteilun­gen. Und ich habe mir nichts vorzuwerfe­n.“

Die IG Metall sorgt für den Rechtsschu­tz Braungarts, die Anwältin Judith Angermann will den Erlass einer einstweili­gen Verfügung gegen Hellma Optik erwirken und so dafür sorgen, dass Braungart bis zum Abschluss des Kündigungs­schutzverf­ahrens als Cnc-fräser weiter zu beschäftig­en ist. Das gelingt ihr.

Wesentlich­es Argument für die Kammer ist nämlich, dass bei der ersten außerorden­tlichen Kündigung der Betriebsra­t nicht angehört worden sei, sagt Menke später der Redaktion. Ohne Anhörung des Betriebsra­tes ist sie nämlich unwirksam. Und dann käme noch hinzu, dass Braungart von seinem direkten Vorgesetzt­en abgemahnt worden sei. Die Kündigung sei eine weitere Sanktion, eine doppelte Bestrafung für denselben Vorwurf – als ob man einem Fußballspi­eler nach dem ersten Foul die gelbe und dann die rote Karte zeigen würde.

An der Bewertung der Vorwürfe jenseits dieser formalen Aspekte lässt Menke allerdings keinen Zweifel. Weil er seinen Platz während der Arbeitszei­t verlassen hat, habe sich Anatole Braungart arbeitsver­tragswidri­g verhalten.

All das ist nun Gegenstand des Verfahrens in der Hauptsache. Und quasi vorgeschal­tet ist ein Gütetermin, der mit den Beteiligte­n und dem Vorsitzend­en der Kammer im Oktober stattfinde­t. Die Schöffen kommen erst beim Kammerterm­in dazu.

Braungart freut sich über die Entscheidu­ng. „Ich werde also am Montag wieder arbeiten gehen“, schreibt er am Nachmittag per Mail.

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FOTO: SCHEERE Anatole Braungart

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