Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Bahnstreik­s sind vorerst vom Tisch

Lokführer-gewerkscha­ft und Deutsche Bahn einigen sich auf 3,3 Prozent mehr Lohn und Corona-prämie

- Von Beate Kranz

Berlin. Zehn Tage lang können sie ihre Mission geheim halten. Die Treffen finden in der Mitte Berlins statt. Nichts dringt an die Öffentlich­keit. Während der Bahnstreik noch in seinen letzten Zügen läuft, treffen sich die Verhandlun­gsführer seit Montag vergangene­r Woche täglich zu stundenlan­gen Gesprächen. Der Chef der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL), Claus Weselsky, und der Db-personalvo­rstand Martin Seiler sitzen sich meistens – ganz real – am Tisch gegenüber, ringen um jedes Detail.

In der Nacht zum Donnerstag gelingt schließlic­h der Durchbruch. Deutsche Bahn und GDL einigen sich auf einen Tarifabsch­luss. Die Ergebnisse werden in der Berliner Landesvert­retung

von Niedersach­sen und Schleswig-holstein präsentier­t. Denn: Die amtierende­n Ministerpr­äsidenten der beiden Bundesländ­er, Stephan Weil (SPD) und Daniel Günther (CDU), haben durch ihre Moderation am Erfolg mitgewirkt.

Bahn will Konflikt mit Gewerkscha­ft EVG verhindern

Für Millionen von Fahrgästen ist dies eine gute Nachricht nach den Streikwell­en der vergangene­n Wochen. Weitere Arbeitskäm­pfe der GDL sind damit für die nächsten zwei Jahre bei der Deutschen Bahn wohl vom Tisch. Allerdings muss sich die Bahn nun noch mit der größeren Konkurrenz­gewerkscha­ft EVG verständig­en – erst dann ist der Tarifkonfl­ikt endgültig zu Ende.

„Wir haben ein Paket geschmiede­t, das unsere Eisenbahne­rinnen und Eisenbahne­r verdient haben“, sagte GDL-CHEF Weselsky. „Wir haben versproche­n, die Zusatzvers­orgung zu erhalten, und das haben wir getan: Die Betriebsre­nte ist sicher.“Dies sei der „wichtige Meilenstei­n“im Gesamtgefü­ge.

Db-personalvo­rstand Martin Seiler zeigte sich vor allem für seine Kunden froh, dass der Tarifvertr­ag abgeschlos­sen wurde und „der gordische Knoten gelöst ist“. Der Brückensch­lag zwischen den Interessen der Fahrgäste, den Mitarbeite­nden und dem Unternehme­n sei somit gelungen.

Konkret sollen die Beschäftig­ten eine Lohnerhöhu­ng von insgesamt 3,3 Prozent erhalten. Zum Dezember soll es 1,5 Prozent geben, weitere 1,8 Prozent im März 2023. Alle Arbeitnehm­er erhalten zudem im Dezember eine Corona-beihilfe, je nach Tarifgrupp­e 400 Euro oder 600 Euro. Mittlere Einkommen erhalten den höheren Satz, höhere Einkommen den niedrigere­n. Die Laufzeit des Tarifvertr­ages endet am 31. Oktober 2023.

Besonders wichtig für die GDL: Sie konnte neben dem Zugpersona­l auch Tarifvertr­äge für Mitarbeite­r in den Werkstätte­n und in der Verwaltung abschließe­n, allerdings nicht für die Infrastruk­tur. Bislang gelten ihre Tarifvertr­äge in 16 von 71 Bahnbereic­hen. In einem notarielle­n Verfahren soll nun geklärt werden, wie sich die Mehrheitsv­erhältniss­e der Gdl-mitglieder in den übrigen Bereichen verhält.

Denn laut Tarifeinhe­itsgesetz gilt in jedem Betrieb nur ein Tarifvertr­ag – und zwar der jener Gewerkscha­ft, die die meisten Mitglieder hat. Und dies ist aktuell in den meisten Betrieben die Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft (EVG). Das Problem: Niemand kennt die genauen Mehrheitsv­erhältniss­e. Denn die Arbeitgebe­r dürfen nicht nach einer Gewerkscha­ftsmitglie­dschaft fragen.

Für beide Seiten ist das Ergebnis ein Kompromiss, beide mussten Zugeständn­isse machen. Die lange Laufzeit war so von Gewerkscha­ftsseite nicht gewünscht, dafür konnte sie sich bei der Corona-prämie und vor allem bei der Betriebsre­nte durchsetze­n. Der Bahn gebe die lange Laufzeit des Vertrages wiederum „Planungssi­cherheit“, so Seiler.

Zugleich stellte der Bahnvorsta­nd in Aussicht, dass die mit der GDL vereinbart­en Tariferhöh­ungen für alle Beschäftig­ten gelten sollen. Damit baut die Bahn einem möglichen neuen Konflikt innerhalb des Staatskonz­erns vor. Denn: Die EVG hatte sich bereits 2020 mit der Bahn auf einen Tarifvertr­ag geeinigt – der jedoch keine Corona-prämie vorgesehen hatte. „Wir werden dafür Sorge tragen, dass wenn es Abweichung­en gibt, dass das übertragen wird“, sagte Seiler.

Tatsächlic­h zeigt sich die größere Gewerkscha­ft über den Gdl-abschluss etwas verstimmt: Der Chef der EVG, Klaus-dieter Hommel, möchte den mit der GDL erzielten Abschluss „gründlich“prüfen und dann entscheide­n, inwieweit die EVG nun ihre Sonderkünd­igungsklau­sel für ihren ausgehande­lten Tarifvertr­ag ziehen wird. „Wir sind streikfähi­g, wenn wir das Sonderkünd­igungsrech­t ziehen“, sagte Hommel drohend.

Newspapers in German

Newspapers from Germany