Thüringer Allgemeine (Erfurt)

„Islamistis­ch motivierte Bedrohungs­lage“

Polizisten nehmen 16-jährigen Syrer in Hagen fest. Er soll einen Anschlag auf die Synagoge geplant haben

- Von Mike Fiebig, Jens Stubbe und Christian Unger

Hagen/berlin. Die Warnung kam aus dem Ausland. Ein Nachrichte­ndienst meldete den deutschen Behörden einen auffällige­n Chatverkeh­r über das Internet. Beteiligt daran: ein 16-Jähriger aus Hagen. Syrischer Staatsbürg­er, noch ein Teenager, aber offenbar stark radikalisi­ert. Ein mutmaßlich­er Islamist.

Wenig ist bekannt über den Chat. Die Ermittlung­en laufen. Am Donnerstag­nachmittag sagt Nordrheinw­estfalens Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) vor den Pressekame­ras nur, dass aus dem Chatverlau­f eine „klare Tatzeit, Tatort und Täter benannt waren“. Der Hinweis ließ auf eine „islamistis­ch motivierte Bedrohungs­lage“schließen.

„Die unmittelba­re Gefahr ist gebannt.“

Armin Laschet, Nrw-ministerpr­äsident

Das Ziel: die Synagoge in Hagen. Die Tatzeit: der Gottesdien­st zum Jom-kippur-fest, die wichtigste Feierlichk­eit im jüdischen Glauben. Polizei und Staatsanwa­ltschaft gehen dem Verdacht nach, ob der 16Jährige und mögliche Komplizen einen Anschlag mit Sprengstof­f auf die Gläubigen geplant haben. Das soll der Chatverlau­f nahelegen. Die Generalsta­atsanwalts­chaft in Düsseldorf ermittelt wegen der Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Straftat.

Der 16-Jährige soll nach Informatio­nen unserer Redaktion seit acht Jahren in Hagen leben. Er und seine Familie sollen aus dem Raum Osnabrück hierhergez­ogen sein. Details zu dem Tatverdäch­tigen waren bis Donnerstag­abend nicht bekannt.

Schwer bewaffnete Polizisten bewachen die Synagoge

Morgens um acht Uhr nehmen Polizisten den 16 Jahre alten Terrorverd­ächtigen im Bereich des Busbahnhof­s in Hagen fest. Spezialkrä­fte durchsuche­n die Wohnung des Syrers, auch zwei Brüder und den Vater trifft die Polizei dort an, auch sie werden vorläufig festgenomm­en. Gegen sie bestehe aber derzeit kein Tatverdach­t, erklärt die Generalsta­atsanwalts­chaft.

Die Drei werden am Abend freigelass­en.

Auch eine Entlassung des 16-Jährigen steht offenbar bevor. „Der Verdacht hat sich nicht bestätigt“, sagt sein Anwalt Ishan Tanyolu am Abend. „Es wird keine Vorführung beim Haftrichte­r geben.“

Die Generalsta­atsanwalts­chaft klingt zurückhalt­ender: Den Kontakt zu einem Islamisten via „Telegram“habe der 16-Jährige zugegeben, sagt der Sprecher. Der Kontaktman­n namens Abu Hab habe ihm den Bau einer Bombe erklärt, berichtet der Kölner Stadt-anzeiger unter Berufung auf Ermittlerk­reise. Anschlagsa­bsichten auf die Synagoge hat der 16-Jährige laut Generalsta­atsanwalts­chaft aber bestritten.

Der Generalbun­desanwalt in Karlsruhe, der sich einschalte­t, wenn die Tat eine „besondere Bedeutung“hat oder eine Mitgliedsc­haft in einer Terrorgrup­pe vorliegt, hat den Fall bis Donnerstag­abend nicht übernommen. Auch ist nicht bekannt, dass die Ermittler in den Wohnungen Sprengstof­f oder Waffen entdeckt haben.

In der Hagener Synagoge war offenbar nur noch der Gemeindevo­rsitzende. Per Telefon versuchte er alle Mitglieder zu warnen. Draußen schützten mit Maschinenp­istolen bewaffnete Polizisten die Synagoge – die gesamte Nacht blieb die Polizei vor Ort. Eigentlich wollten sich die Mitglieder der jüdischen Gemeinde hier zum Feiern treffen.

Es sind Bilder, die Erinnerung­en wecken: Vor zwei Jahren hatte ein Rechtsextr­emist die Synagoge in Halle in Sachsen-anhalt angegriffe­n. So weit ist es in Hagen nicht gekommen. Spürhunde und Spezialkrä­fte durchsucht­en noch am Mittwoch die Synagoge. „Es konnten vor Ort keine Hinweise auf eine Gefährdung festgestel­lt werden“, teilte die Polizei in einer um 1.39 Uhr in der Nacht verbreitet­en Mitteilung mit. Nrw-landeschef und Cdukanzler­kandidat Armin Laschet sagt am Donnerstag: „Die unmittelba­re Gefahr ist gebannt.“

Und doch sitzt der Schock in Hagen tief. Christiane Bertram von der Gesellscha­ft für Christlich-jüdische Zusammenar­beit in Hagen und

Umgebung sagte unserer Redaktion: „Ich bin schockiert und kann es einfach nicht fassen. Dass so etwas ausgerechn­et zu Jom Kippur passiert, ist einfach schrecklic­h.“

Hagen holte im Mai eine Israel-fahne wieder ein – aus Angst

Nach der Festnahme der Tatverdäch­tigen sagte CDU-CHEF Laschet: „Wer sich hier integriert, soll sich integriere­n, soll Deutsch lernen und soll auch einen Job ausüben und der darf auch bleiben. Aber der, der terroristi­sche Taten plant, muss des Landes verbracht werden.“

Spd-kanzlerkan­didat Olaf Scholz schrieb auf Twitter: „Es schmerzt, dass Jüdinnen und Juden in Hagen einer solchen Bedrohungs­lage ausgesetzt sind und Jom Kippur nicht gemeinsam feiern können. Es ist unsere Pflicht, alles zu ihrem Schutz zu tun und bei Gefahr sofort einzuschre­iten.“

Hagen und die jüdische Gemeinde – vor wenigen Monaten war das schon einmal Thema in den Schlagzeil­en. Im Mai hatte die Stadt Hagen, um an die Aufnahme diplomatis­cher Beziehunge­n zwischen der Bundesrepu­blik Deutschlan­d und Israel zu erinnern, die israelisch­e Flagge gehisst. Weil an diesem Tag die Auseinande­rsetzung zwischen Israel und Palästina eskalierte, fürchtete man, dass dieses Zeichen von Muslimen falsch interpreti­ert werden könnte. Als Folge holte die Stadt die Fahne wieder ein.

 ?? FOTO: ALEX TALASH / DPA ?? Festnahme in Hagen: Polizisten führen einen Mann ab, der im Zusammenha­ng mit den mutmaßlich­en Anschlagsp­länen stehen könnte. Vier Personen sind insgesamt festgenomm­en.
FOTO: ALEX TALASH / DPA Festnahme in Hagen: Polizisten führen einen Mann ab, der im Zusammenha­ng mit den mutmaßlich­en Anschlagsp­länen stehen könnte. Vier Personen sind insgesamt festgenomm­en.
 ?? FOTO: DPA ?? Bewaffnete Polizisten sichern die Synagoge in Hagen.
FOTO: DPA Bewaffnete Polizisten sichern die Synagoge in Hagen.
 ?? FOTO: GETTY IMAGES ?? Nordrhein-westfalens Innenminis­ter Herbert Reul.
FOTO: GETTY IMAGES Nordrhein-westfalens Innenminis­ter Herbert Reul.

Newspapers in German

Newspapers from Germany