Wenn der Enkel seine Mutter töten soll
Eine Frau aus Afghanistan musste wegen ihrer Scheidung in Deutschland um ihr Leben fürchten. Ihr Schwiegervater steht nun in Erfurt vor Gericht
Erfurt. „Mama, ich muss dir etwas Schlimmes sagen.“Was der Siebenjährige dann seiner Mutter über den Besuch beim Großvater in Erfurt beichtet, klingt unfassbar. Denn ihr Schwiegervater habe seinem Enkel gesagt, er solle seine Mama töten. Er sei noch ein kleiner Junge, ihm würde nichts passieren.
Mit leiser Stimme schildert die 31-jährige Mutter den Schock ihres Lebens. Sie sagt am Mittwoch vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht Erfurt als Zeugin aus. Ihr Schwiegervater, Ramazan Q., sitzt nur wenige Meter von ihr entfernt auf der Anklagebank. Sie sieht seit Jahren erstmals den Mann wieder, der wegen der Scheidung von seinem Sohn so aufgebracht war, dass er ihr offenbar nach dem Leben getrachtet haben soll.
Die junge Frau aus Afghanistan geht damals – die Ereignisse liegen länger als acht Jahre zurück – zur Polizei und berichtet von der Bedrohung. Die Situation wird als so ernst eingeschätzt, dass sie zeitweise Zeugenschutz bekommt. Auch den Gerichtssaal betritt sie am Mittwoch durch einen Seiteneingang, um möglichst nicht Verwandten auf den Fluren oder vor dem Gebäude zu begegnen.
Doch nicht nur ihr Sohn soll aufgefordert worden sein, sie zu töten, sondern auch ihr Bruder. Das wirft dem heute 66-jährigen Mann aus
Afghanistan die Staatsanwaltschaft Erfurt vor. Um den Bruder zur Tat zu bewegen, sei Druck auf diesen ausgeübt worden.
Das war möglich, weil ihre und die Hochzeit ihres Bruders arrangiert gewesen seien, so die Zeugin. Sie habe mit 14 Jahren ihren Mann geheiratet und als „Tauschgeschäft“heiratete ihr Bruder die Schwester ihres Mannes. Wegen ihrer Scheidung sei ihrem Bruder offenbar die Frau wieder weggenommen worden. Er sollte sie erst nach der Tötung wiedersehen.
Zur Tat oder Angriffsversuchen auf die Zeugin ist es nicht gekommen. Auch ein Bekannter soll sie gewarnt haben, dass ihr Schwiegervater nach ihr suche.
Die Kammer steht vor einem schwierigen Prozess, allein wegen der mehrjährigen Verzögerung des Verfahrens. Der Ermittlungsrichter am Amtsgericht Erfurt erinnerte sich kaum noch an bestimmte Aussagen von 2015 – mit einer Ausnahme: die Angaben des Sohns.
Bereits am ersten Verhandlungstag, am Dienstag, erinnerte sich auch die Schwester der bedrohten Frau an fast gar nichts mehr, obwohl sie vor Jahren eine umfassende Aussage bei der Polizei gemacht hatte. Die Frage, ob sie sich bedroht fühle, verneinte sie vor Gericht. Sie wurde offensichtlich von zwei Männern aus der Familie begleitet.
Die Familienbande verlangen auch dem Gericht einiges ab. Mittwochvormittag wurde die Aussage eines Zeugen verschoben, weil unklar war, ob der Angeklagte sein Vater oder Onkel ist. Das aber hat Auswirkungen auf ein mögliches Aussageverweigerungsrecht. Der Angeklagte hat sich vor Gericht bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert.