Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Ermittlung­en gegen Grünen-spitze

Vorwurf: Spitzenfun­ktionäre bewilligte­n sich selbst einen Bonus in Höhe von 1500 Euro für Belastunge­n in der Pandemie

- Von Jens Anker, Theresa Martus und Birgitta Stauber

Berlin. Es geht um 1500 Euro als Ausgleich für Belastunge­n während der Pandemie im Jahr 2020: Der gesamte Bundesvors­tand von Bündnis 90/Die Grünen steht unter Verdacht, sich selbst Sonderzahl­ungen aus dem eigenen Parteiverm­ögen genehmigt zu haben, obwohl diese Ausgaben nicht von den parteiinte­rnen Regeln gedeckt sind. Wie die Berliner Staatsanwa­ltschaft gegenüber unserer Redaktion bestätigt, hat sie bereits die Ermittlung­en gegen die Grünen-führung eingeleite­t – wegen des Anfangsver­dachts der Untreue, teilte die Behörde mit und bestätigte einen „Spiegel“-bericht.

Im Visier sind demnach alle sechs Mitglieder des Bundesvors­tandes: die Grünen-vorsitzend­e und Außenminis­terin Annalena Baerbock, Co-parteichef und Wirtschaft­sminister Robert Habeck, die beiden Parteivize­chefinnen Ricarda Lang und Jamila Schäfer, Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner (mittlerwei­le parlamenta­rischer Staatssekr­etär im Wirtschaft­sministeri­um) und Schatzmeis­ter Marc Urbatsch. Beim Parteitag Ende kommender Woche wird ein neuer Bundesvors­tand gewählt.

Bis auf Urbatsch sind alle Beschuldig­ten Mitglied des deutschen Bundestags – und genießen daher Immunität. Vor Aufnahme der Ermittlung­en muss deshalb die Bundestags­präsidenti­n Bärbel Bas (SPD) informiert werden. Nach „Spiegel“-informatio­nen ist dies bereits im Dezember geschehen. Am 6. Januar dann habe die Staatsanwa­ltschaft das strafrecht­liche Ermittlung­sverfahren formell eingeleite­t. Grundlage der Ermittlung­en seien laut Behördensp­recher Strafanzei­gen von Privatpers­onen, die als Reaktion auf Medienberi­chte aus dem Jahr 2021 über die Sonderzahl­ungen erfolgten. Die Partei bestätigte am Mittwochab­end, dass die fünf Mitglieder des Parteivors­tands, die Abgeordnet­e sind, über ein Ermittlung­sverfahren der Berliner Staatsanwa­ltschaft gegen sie informiert wurden.

Interne Rechnungsp­rüfer der Partei hatten die Zahlungen im Oktober bereits beanstande­t: In einem Bericht, aus dem die Deutsche Presse-agentur damals zitierte, monierten die internen Prüfer demnach, dass die Auszahlung des Bonus an den Vorstand nicht durch parteiinte­rne Regeln gedeckt gewesen sei. Tariflich festgelegt seien maximal 300 Euro. Die „Welt“zitierte damals einen Grünen, der vom „Selbstbedi­enungslade­n Bundesgesc­häftsstell­e“gesprochen haben soll.

Zudem wäre es laut Bericht besser gewesen, wenn der Bundesfina­nzrat der Partei, dem neben dem Bundesscha­tzmeister auch Delegierte der Landesverb­ände angehören, die Zahlungen genehmigt hätte, „da eine finanziell­e Regelung nicht allein von den begünstigt­en Personen getroffen werden sollte“.

Baerbock hatte Einkünfte von 25.000 Euro nicht gemeldet

Der Bundesvors­tand der Partei beschloss als Reaktion auf die Kritik der Prüfer damals, Sonderzahl­ungen für Vorstandsm­itglieder abzuschaff­en – bereits für das laufende Haushaltsj­ahr. Schatzmeis­ter Urbatsch erklärte zudem, die Vorstandsm­itglieder

würden den Bonus an die Partei zurückzahl­en.

Schon im Wahlkampf waren Sonderzahl­ungen zum Problem für die Partei geworden: Annalena Baerbock, damals Kanzlerkan­didatin der Grünen, stand in der Kritik, weil sie 25.000 Euro an Einkünften nicht direkt dem Bundestag gemeldet hatte. Neben dem Corona-bonus ging es damals um Weihnachts­geld der Partei.

Unangenehm sind die Ermittlung­en für die Partei vor allem, weil die damalige Parteispit­ze aus Annalena Baerbock und Robert Habeck inzwischen ins Kabinett aufgerückt ist. Das Verfahren betrifft also die amtierende Außenminis­terin und den Minister für Wirtschaft und Klimaschut­z.

Und auch die neue Parteispit­ze, die die Grünen in der kommenden Woche auf einem digitalen Parteitag wählen wollen, ist wohl betroffen: Ricarda Lang, die als sehr wahrschein­liche nächste Parteichef­in gilt, ist als stellvertr­etende Parteichef­in bereits Teil des Bundesvors­tands, gegen den ermittelt wird. Weder Lang noch Omid Nouripour, der ebenfalls als Co-parteichef als gesetzt gilt, äußerten sich am Mittwoch auf Anfrage zu den Ermittlung­en.

Die Partei erklärte in einer Stellungna­hme nach Bekanntwer­den des Verfahrens, dass die betroffene­n Mitglieder des Vorstands und die Bundesgesc­häftsstell­e „vollumfäng­lich“mit der Staatsanwa­ltschaft kooperiere­n würden, „um den Sachverhal­t schnell und vollständi­g aufzukläre­n“.

„Gegenstand des Verfahrens ist die Bewilligun­g eines Corona-bonus durch die Mitglieder des Bundesvors­tands an sich selbst.“

Martin Steltner, Sprecher der Generalsta­atsanwalts­chaft Berlin

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FOTO: IMAGO Der grüne Bundesvors­tand (v. l.): Marc Urbatsch, Ricarda Lang, Robert Habeck, Annalena Baerbock, Michael Kellner und Jamila Schäfer.

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