Ärzteaufstand gegen die Impfpflicht
Kassenärztliche Bundesvereinigung lehnt „Zwangsimpfung in den Praxen“ab – und facht die Debatte an
Berlin. Kommt sie oder kommt sie nicht? Die Bundesregierung und vor allem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dringen weiterhin auf die Einführung einer allgemeinen Corona-impfpflicht. Doch je länger die Diskussion über eine mögliche Pflicht andauert, umso lauter werden die Gegenstimmen.
Jüngstes Beispiel: Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung: „Wir werden unseren Ärzten nicht zumuten, eine Impfpflicht gegen den Willen der Patienten zu exekutieren“, sagte Gassen der „Bild“-zeitung. Die Praxen seien kein Ort, um staatliche Maßnahmen durchzusetzen, sondern würden vom Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient leben. Auch eine Art Pflicht-beratung, bei der sich Impf-unwillige bemüht zeigen und so von Bußgeldern frei machen könnten, komme nicht infrage.
Die Äußerung fachten die laufenden Diskussionen neu an – und warfen die Frage auf, ob die Impfpflicht am Ende daran scheitern könnte, dass sich niemand findet, der die Spritze setzen will. So weit wird es nicht kommen, glaubt Elke Brunsphilipps. „Hausärzte wie auch Kinderärzte sehen das Impfen als ihre ureigene und wichtige Aufgabe an“, sagt sie. Als stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdiensts vertritt sie die Amtsärzte – jene Gruppe also, die einspringen müsste, wenn die Kassenärzte nicht impfen wollen.
Impfpflicht ist nicht gleich Impfzwang
Ganz ersetzen könnten die Amtsärzte diesen Ausfall nicht, sagt sie. Denn die bessere Voraussetzung für eine Impfung sei das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Hausarzt oder Hausärztin. Sie betonte auch den Unterschied zwischen einem Impfzwang und einer Impfpflicht: „Niemand wird und darf Menschen gegen ihren erklärten Willen impfen“, sagte Bruns-philipps. „Das gibt das Gesetz wie es jetzt diskutiert wird nicht her, so ist es auch nicht intendiert.“
Ähnlich formulierte es Bundesärztekammer-präsident Klaus Reinhardt gegenüber unserer Redaktion:
Eine verfassungsrechtlich gut abgesicherte und gesellschaftlich tragfähige allgemeine Impfpflicht könne als „Ultima Ratio“eine Option sein, sagte er. Wichtig sei aber, dass es um eine Impfnachweispflicht geht. „Einen Impfzwang darf es jedoch nicht geben.“Dies würde auch dem ärztlichen Berufsethos fundamental widersprechen.
Doch Pläne für einen Impfzwang gibt es nicht. Das Bundesgesundheitsministerium zeigte sich am Mittwoch verwundert über die scharfe Stellungnahme von KBVCHEF Gassen. „Die Äußerungen von Herrn Gassen sind zumindest unverständlich, um es vorsichtig zu formulieren“, sagte Ministeriumssprecher Hanno Kautz. „Von Zwangsimpfungen in Praxen habe ich jedenfalls noch nichts gehört.“Zum anderen sei es nicht so, dass ein Arzt sich Patienten für eine Impfung suche, sondern umgekehrt, erklärte der Sprecher von Gesundheitsminister Lauterbach (SPD).
Mit den Äußerungen von KBVCHEF Gassen ist die Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht nicht einfacher geworden, vermutet Frank Ulrich Montgomery, Präsident des Weltärztebunds. „Die Aussage war nicht hilfreich“, sagte Montgomery unserer Redaktion. „Das erweckt den Eindruck, die Ärzte seien gegen das Impfen. Dabei sehen wir ja täglich, dass das nicht so ist, die Ärzte impfen so viel es geht.“Montgomery, der lange Chef der Bundesärztekammer war, geht davon aus, dass Gassen gemeint habe, dass die Ärzte niemanden gegen seinen Willen impfen würden. „Aber so, wie die Aussage gemacht wurde, ist sie missverständlich und gießt Wasser auf die Mühlen der Impfgegner.“
Die Absage der Kassenärzte kommt in einer Lage, in der die Pläne der Regierung für eine Impfpflicht von verschiedenen Seiten infrage gestellt werden. So äußerten mit Hans-jürgen Papier und Udo di Fabio zwei renommierte ehemalige Verfassungsrichter Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Pflicht. Teile der FDP lehnen eine Pflicht ab, und selbst beim Ethikrat, der noch Ende Dezember die Impfpflicht befürwortet hatte, gibt es Absetzbewegungen: So betonte Ethikrat-vorsitzende Alena Buyx kürzlich die „Revisionsoffenheit unseres Papiers – man muss die Faktenlage kontinuierlich beobachten“.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte vor Weihnachten auf eine Einführung
der Impfpflicht gedrängt, doch danach sieht es derzeit nicht aus. In der kommenden Woche wollen die Bundestagsabgeordneten diskutieren. In den folgenden Tagen soll dann ein Antrag für eine Impfpflicht für alle Erwachsenen vorliegen. Dieses Modell unterstützen Bundeskanzler Scholz und Gesundheitsminister Lauterbach (beide SPD). Diskutiert wird zudem eine Regelung, die nur Menschen ab einem bestimmten Alter betrifft. Eine Gruppe von Parlamentariern um den Fdp-politiker Wolfgang Kubicki lehnt eine Impfpflicht ab.
Dass überhaupt darüber diskutiert wird, Corona-impfungen verpflichtend zu machen, liegt an der zu niedrigen Impfquote in Deutschland. Laut RKI sind 75,2 Prozent der Bevölkerung zumindest einmal geimpft, 72,9 Prozent haben die Grundimmunisierung für die (außer beim Impfstoff von Johnson & Johnson) meist zwei Dosen nötig sind. Die für den Schutz vor der Omikron-variante wichtige dritte Impfung haben erst 48,3 Prozent der Bevölkerung erhalten.