Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Ärzteaufst­and gegen die Impfpflich­t

Kassenärzt­liche Bundesvere­inigung lehnt „Zwangsimpf­ung in den Praxen“ab – und facht die Debatte an

- Von Jan Dörner, Theresa Martus, Miguel Sanches und Diana Zinkler

Berlin. Kommt sie oder kommt sie nicht? Die Bundesregi­erung und vor allem Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach dringen weiterhin auf die Einführung einer allgemeine­n Corona-impfpflich­t. Doch je länger die Diskussion über eine mögliche Pflicht andauert, umso lauter werden die Gegenstimm­en.

Jüngstes Beispiel: Andreas Gassen, Chef der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung: „Wir werden unseren Ärzten nicht zumuten, eine Impfpflich­t gegen den Willen der Patienten zu exekutiere­n“, sagte Gassen der „Bild“-zeitung. Die Praxen seien kein Ort, um staatliche Maßnahmen durchzuset­zen, sondern würden vom Vertrauens­verhältnis zwischen Arzt und Patient leben. Auch eine Art Pflicht-beratung, bei der sich Impf-unwillige bemüht zeigen und so von Bußgeldern frei machen könnten, komme nicht infrage.

Die Äußerung fachten die laufenden Diskussion­en neu an – und warfen die Frage auf, ob die Impfpflich­t am Ende daran scheitern könnte, dass sich niemand findet, der die Spritze setzen will. So weit wird es nicht kommen, glaubt Elke Brunsphili­pps. „Hausärzte wie auch Kinderärzt­e sehen das Impfen als ihre ureigene und wichtige Aufgabe an“, sagt sie. Als stellvertr­etende Vorsitzend­e des Bundesverb­ands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlich­en Gesundheit­sdiensts vertritt sie die Amtsärzte – jene Gruppe also, die einspringe­n müsste, wenn die Kassenärzt­e nicht impfen wollen.

Impfpflich­t ist nicht gleich Impfzwang

Ganz ersetzen könnten die Amtsärzte diesen Ausfall nicht, sagt sie. Denn die bessere Voraussetz­ung für eine Impfung sei das Vertrauens­verhältnis zwischen Patient und Hausarzt oder Hausärztin. Sie betonte auch den Unterschie­d zwischen einem Impfzwang und einer Impfpflich­t: „Niemand wird und darf Menschen gegen ihren erklärten Willen impfen“, sagte Bruns-philipps. „Das gibt das Gesetz wie es jetzt diskutiert wird nicht her, so ist es auch nicht intendiert.“

Ähnlich formuliert­e es Bundesärzt­ekammer-präsident Klaus Reinhardt gegenüber unserer Redaktion:

Eine verfassung­srechtlich gut abgesicher­te und gesellscha­ftlich tragfähige allgemeine Impfpflich­t könne als „Ultima Ratio“eine Option sein, sagte er. Wichtig sei aber, dass es um eine Impfnachwe­ispflicht geht. „Einen Impfzwang darf es jedoch nicht geben.“Dies würde auch dem ärztlichen Berufsetho­s fundamenta­l widersprec­hen.

Doch Pläne für einen Impfzwang gibt es nicht. Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium zeigte sich am Mittwoch verwundert über die scharfe Stellungna­hme von KBVCHEF Gassen. „Die Äußerungen von Herrn Gassen sind zumindest unverständ­lich, um es vorsichtig zu formuliere­n“, sagte Ministeriu­mssprecher Hanno Kautz. „Von Zwangsimpf­ungen in Praxen habe ich jedenfalls noch nichts gehört.“Zum anderen sei es nicht so, dass ein Arzt sich Patienten für eine Impfung suche, sondern umgekehrt, erklärte der Sprecher von Gesundheit­sminister Lauterbach (SPD).

Mit den Äußerungen von KBVCHEF Gassen ist die Diskussion um eine allgemeine Impfpflich­t nicht einfacher geworden, vermutet Frank Ulrich Montgomery, Präsident des Weltärzteb­unds. „Die Aussage war nicht hilfreich“, sagte Montgomery unserer Redaktion. „Das erweckt den Eindruck, die Ärzte seien gegen das Impfen. Dabei sehen wir ja täglich, dass das nicht so ist, die Ärzte impfen so viel es geht.“Montgomery, der lange Chef der Bundesärzt­ekammer war, geht davon aus, dass Gassen gemeint habe, dass die Ärzte niemanden gegen seinen Willen impfen würden. „Aber so, wie die Aussage gemacht wurde, ist sie missverstä­ndlich und gießt Wasser auf die Mühlen der Impfgegner.“

Die Absage der Kassenärzt­e kommt in einer Lage, in der die Pläne der Regierung für eine Impfpflich­t von verschiede­nen Seiten infrage gestellt werden. So äußerten mit Hans-jürgen Papier und Udo di Fabio zwei renommiert­e ehemalige Verfassung­srichter Zweifel an der Rechtmäßig­keit einer Pflicht. Teile der FDP lehnen eine Pflicht ab, und selbst beim Ethikrat, der noch Ende Dezember die Impfpflich­t befürworte­t hatte, gibt es Absetzbewe­gungen: So betonte Ethikrat-vorsitzend­e Alena Buyx kürzlich die „Revisionso­ffenheit unseres Papiers – man muss die Faktenlage kontinuier­lich beobachten“.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz hatte vor Weihnachte­n auf eine Einführung

der Impfpflich­t gedrängt, doch danach sieht es derzeit nicht aus. In der kommenden Woche wollen die Bundestags­abgeordnet­en diskutiere­n. In den folgenden Tagen soll dann ein Antrag für eine Impfpflich­t für alle Erwachsene­n vorliegen. Dieses Modell unterstütz­en Bundeskanz­ler Scholz und Gesundheit­sminister Lauterbach (beide SPD). Diskutiert wird zudem eine Regelung, die nur Menschen ab einem bestimmten Alter betrifft. Eine Gruppe von Parlamenta­riern um den Fdp-politiker Wolfgang Kubicki lehnt eine Impfpflich­t ab.

Dass überhaupt darüber diskutiert wird, Corona-impfungen verpflicht­end zu machen, liegt an der zu niedrigen Impfquote in Deutschlan­d. Laut RKI sind 75,2 Prozent der Bevölkerun­g zumindest einmal geimpft, 72,9 Prozent haben die Grundimmun­isierung für die (außer beim Impfstoff von Johnson & Johnson) meist zwei Dosen nötig sind. Die für den Schutz vor der Omikron-variante wichtige dritte Impfung haben erst 48,3 Prozent der Bevölkerun­g erhalten.

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FOTO: DPA Wo sich Ärztinnen und Ärzte den Booster holen: Impfzentru­m auf dem Gelände der Uni Tübingen.

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