Theater Erfurt muss sich neu erfinden
Kultur 2022: Kolonialismus im Volkskundemuseum. Rückkehr des Krämerbrückenfests geplant
Erfurt. „Es wird ein gutes Jahr“, blickt Erfurts Kulturbeigeordneter Tobias Knoblich auf 2022 voraus. Denn obwohl 2021 pandemiebedingt von kulturellem Verzicht geprägt gewesen sei, habe es dennoch immer wieder Lichtblicke gegeben auf dem breiten Feld der Kultur – das soll auch 2022 so bleiben, kündigte er auf der Jahrespressekonferenz der Kulturdirektion an.
Das Krämerbrückenfest soll in neuer Form zurückkehren, das Naturkundemuseum seinen 100. Geburtstag mit einer großen Ausstellung in der Kunsthalle feiern und der Tag der Deutschen Einheit mit der zentralen Feier in Erfurt zu einer großen Sause werden.
Noch einmal ein Blick zurück: Trotz Pandemie hatten kreative Köpfe der Freien Szene im „Kultursommer 2021“für Highlights gesorgt, mit Hebebühnenkonzerten und anderen kreativen Ideen. Auf den Weg gebracht wurde im vergangenen Jahr der Unesco-welterbeantrag. Es wurde das Museumskonzept vorgestellt, das im Ergebnis wohl das Volkskunde- und das Stadtmuseum in der Defensionskaserne auf dem Petersberg zusammenführen und der Erfurter Museumslandschaft neue Perspektiven eröffnen könnte. Überhaupt: Immer wieder fallen zum Gespräch in der Kunsthalle Worte wie Wandel und Transformation, wird von Neufassungen und wichtigen Prozessen gesprochen, die angestoßen seien oder 2022 darauf warteten.
Eine Million Euro mehr und ein Gastspiel in Monaco
Das Theater Erfurt bekommt eine Million Euro mehr aus dem Stadthaushalt, zur Tarifanpassung und zur Sanierung der Rohre und Abwasserleitungen. Generalintendant Guy Montavon kann – nach Antibes und Nizza in den Vorjahren – mit einem für 2022 geplanten Gastspiel in Monaco sein Faible für die französische Riviera weiter ausleben. Aber: Der bis 2027 vertraglich verlängerte Intendant bekommt im Haus extern engagierte Experten zur Seite, die den von Knoblich und vom Stadtrat eingeforderten „Transformationsprozess Theater“begleiten und voranbringen sollen. Finanziert aus Montavons millionenschwerem Theater-etat.
Fest steht für Knoblich: Mit der Öffnung der Studiobühne für Gastspiele von Akteuren der Freien Szene ist es nicht getan, eine Verzahnung des Theaters in andere Kulturbereiche der Stadt sehe anders aus.
Aktuell ist das Theater coronabedingt geschlossen, beschränkt sich auf Probenbetrieb. Was es dort an Plänen gibt, soll einer eigenen Pressekonferenz vorbehalten sein.
Kulturbeigeordneter hat große Lust, das Schauspiel neu zu beleben
Ziel sei eine Finanzierungsvereinbarung mit dem Land, die ab 2025 greift und womöglich auch die Rückkehr des Schauspiels und eine Weiterentwicklung des Opernhausbetriebs ermöglicht: „Ich hätte große Lust, das Schauspiel neu zu beleben“, sagt Knoblich. Ziel sei auch eine neue Führungskultur, ein „künstlerischer, struktureller und finanzieller Wandel“, den Knoblich in Angriff genommen wissen will und so erneut auf Montavon zielt.
Vergleichsweise schmal kommt die Förderung 2022 der Freien Szene daher: Nach Vorgaben der städtischen Finanzverwaltung auf Vorjahresniveau gestutzt, ist es nun Aufgabe des Stadtrats, die Mittel im Stadthaushalt umzuschichten und von 175.000 wieder auf knapp 300.000 Euro zu erhöhen. Knoblich hofft darauf, schließlich sei es die Freie Szene gewesen, die den „Kultursommer 2021“mit mehr als 200 Terminen kreativ gestaltet hatte.
Zufällig sind 300.000 Euro genau die Summe, die für die 100-Jahrausstellung des Naturkundemuseums zur Verfügung stehen. Geld, mit der sich bestens auf den 600 Quadratmetern Ausstellungsfläche arbeiten ließe, wie Museumsdirektor Matthias Hartmann bekräftigt.
Mit den etwa 35.000 Euro, die für ein Jahr voller Ausstellungen in den Kunstmuseen zur Verfügung stünden, würde manches Haus im Westen Deutschlands nicht eine einzige auf die Beine stellen, merkte dazu Kai Uwe Schierz, Direktor der Kunstmuseen und Hausherr der gastgebenden Kunsthalle, an.
Etwa 30 Ausstellungen – über alle Häuser hinweg – werden 2022 in Erfurt ihr Publikum erwarten. Die Finanzausstattung der Museen sei zu gering bemessen, pflichtet dem Knoblich bei – vieles sei in Erfurt nur aufgrund der stabilen Förderkulisse möglich, beispielsweise der Sparkassenstiftung.
Volksfeste und Märkte auf dem Domplatz und in der Altstadt soll es nach coronabedingten Ausfällen wieder geben, kündigt Knoblich an, ebenso die Denkmalwoche und den Tag der Museen. Wie im Detail dabei das Ziel erfüllt werden soll, Infektionszahlen zu verhindern, ließ Knoblich offen.
Volksfeste sollen sich den jeweils aktuellen Bedingungen anpassen
Es sei dabei eine stets neu zu überlegende Reaktion auf die Gegebenheiten notwendig – einen generellen Plan B könne es nicht geben. Sollte nach dem Willen der Kulturdirektion beispielsweise beim Krämerbrückenfest konzeptionell auf kleinere Bühnen und mehr Charme im unmittelbaren Umfeld des städtischen Wahrzeichens gesetzt werden, zwingt die Pandemie nun in die Gegenrichtung: Weiter auseinander, großräumiger, entzerrt über das ganze Stadtgebiet und unter Nutzung möglichst vieler Plätze soll es nun über die Bühne gehen.
Eine Bühne für den Diskurs über Kolonialismus und die in Museen ausgestellten Kunstschätze soll Mitte des Jahres das Volkskundemuseum bieten: Hier wird unter dem Titel „decolonize your tattoo“ein Tatauierset aus Samoa aus der Erfurter Südseesammlung gezeigt. Eine Seltenheit in Museumssammlungen und eine Möglichkeit, den Standpunkt von Museen in der aktuellen Debatte aufzuzeigen, wie die amtierende Museumsdirektorin Andrea Steiner-sohn ankündigt – und damit ein Thema mehr, zu dem es 2022 einen Anstoß geben soll.