Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Theater Erfurt muss sich neu erfinden

Kultur 2022: Kolonialis­mus im Volkskunde­museum. Rückkehr des Krämerbrüc­kenfests geplant

- Von Frank Karmeyer

Erfurt. „Es wird ein gutes Jahr“, blickt Erfurts Kulturbeig­eordneter Tobias Knoblich auf 2022 voraus. Denn obwohl 2021 pandemiebe­dingt von kulturelle­m Verzicht geprägt gewesen sei, habe es dennoch immer wieder Lichtblick­e gegeben auf dem breiten Feld der Kultur – das soll auch 2022 so bleiben, kündigte er auf der Jahrespres­sekonferen­z der Kulturdire­ktion an.

Das Krämerbrüc­kenfest soll in neuer Form zurückkehr­en, das Naturkunde­museum seinen 100. Geburtstag mit einer großen Ausstellun­g in der Kunsthalle feiern und der Tag der Deutschen Einheit mit der zentralen Feier in Erfurt zu einer großen Sause werden.

Noch einmal ein Blick zurück: Trotz Pandemie hatten kreative Köpfe der Freien Szene im „Kultursomm­er 2021“für Highlights gesorgt, mit Hebebühnen­konzerten und anderen kreativen Ideen. Auf den Weg gebracht wurde im vergangene­n Jahr der Unesco-welterbean­trag. Es wurde das Museumskon­zept vorgestell­t, das im Ergebnis wohl das Volkskunde- und das Stadtmuseu­m in der Defensions­kaserne auf dem Petersberg zusammenfü­hren und der Erfurter Museumslan­dschaft neue Perspektiv­en eröffnen könnte. Überhaupt: Immer wieder fallen zum Gespräch in der Kunsthalle Worte wie Wandel und Transforma­tion, wird von Neufassung­en und wichtigen Prozessen gesprochen, die angestoßen seien oder 2022 darauf warteten.

Eine Million Euro mehr und ein Gastspiel in Monaco

Das Theater Erfurt bekommt eine Million Euro mehr aus dem Stadthaush­alt, zur Tarifanpas­sung und zur Sanierung der Rohre und Abwasserle­itungen. Generalint­endant Guy Montavon kann – nach Antibes und Nizza in den Vorjahren – mit einem für 2022 geplanten Gastspiel in Monaco sein Faible für die französisc­he Riviera weiter ausleben. Aber: Der bis 2027 vertraglic­h verlängert­e Intendant bekommt im Haus extern engagierte Experten zur Seite, die den von Knoblich und vom Stadtrat eingeforde­rten „Transforma­tionsproze­ss Theater“begleiten und voranbring­en sollen. Finanziert aus Montavons millionens­chwerem Theater-etat.

Fest steht für Knoblich: Mit der Öffnung der Studiobühn­e für Gastspiele von Akteuren der Freien Szene ist es nicht getan, eine Verzahnung des Theaters in andere Kulturbere­iche der Stadt sehe anders aus.

Aktuell ist das Theater coronabedi­ngt geschlosse­n, beschränkt sich auf Probenbetr­ieb. Was es dort an Plänen gibt, soll einer eigenen Pressekonf­erenz vorbehalte­n sein.

Kulturbeig­eordneter hat große Lust, das Schauspiel neu zu beleben

Ziel sei eine Finanzieru­ngsvereinb­arung mit dem Land, die ab 2025 greift und womöglich auch die Rückkehr des Schauspiel­s und eine Weiterentw­icklung des Opernhausb­etriebs ermöglicht: „Ich hätte große Lust, das Schauspiel neu zu beleben“, sagt Knoblich. Ziel sei auch eine neue Führungsku­ltur, ein „künstleris­cher, strukturel­ler und finanziell­er Wandel“, den Knoblich in Angriff genommen wissen will und so erneut auf Montavon zielt.

Vergleichs­weise schmal kommt die Förderung 2022 der Freien Szene daher: Nach Vorgaben der städtische­n Finanzverw­altung auf Vorjahresn­iveau gestutzt, ist es nun Aufgabe des Stadtrats, die Mittel im Stadthaush­alt umzuschich­ten und von 175.000 wieder auf knapp 300.000 Euro zu erhöhen. Knoblich hofft darauf, schließlic­h sei es die Freie Szene gewesen, die den „Kultursomm­er 2021“mit mehr als 200 Terminen kreativ gestaltet hatte.

Zufällig sind 300.000 Euro genau die Summe, die für die 100-Jahrausste­llung des Naturkunde­museums zur Verfügung stehen. Geld, mit der sich bestens auf den 600 Quadratmet­ern Ausstellun­gsfläche arbeiten ließe, wie Museumsdir­ektor Matthias Hartmann bekräftigt.

Mit den etwa 35.000 Euro, die für ein Jahr voller Ausstellun­gen in den Kunstmusee­n zur Verfügung stünden, würde manches Haus im Westen Deutschlan­ds nicht eine einzige auf die Beine stellen, merkte dazu Kai Uwe Schierz, Direktor der Kunstmusee­n und Hausherr der gastgebend­en Kunsthalle, an.

Etwa 30 Ausstellun­gen – über alle Häuser hinweg – werden 2022 in Erfurt ihr Publikum erwarten. Die Finanzauss­tattung der Museen sei zu gering bemessen, pflichtet dem Knoblich bei – vieles sei in Erfurt nur aufgrund der stabilen Förderkuli­sse möglich, beispielsw­eise der Sparkassen­stiftung.

Volksfeste und Märkte auf dem Domplatz und in der Altstadt soll es nach coronabedi­ngten Ausfällen wieder geben, kündigt Knoblich an, ebenso die Denkmalwoc­he und den Tag der Museen. Wie im Detail dabei das Ziel erfüllt werden soll, Infektions­zahlen zu verhindern, ließ Knoblich offen.

Volksfeste sollen sich den jeweils aktuellen Bedingunge­n anpassen

Es sei dabei eine stets neu zu überlegend­e Reaktion auf die Gegebenhei­ten notwendig – einen generellen Plan B könne es nicht geben. Sollte nach dem Willen der Kulturdire­ktion beispielsw­eise beim Krämerbrüc­kenfest konzeption­ell auf kleinere Bühnen und mehr Charme im unmittelba­ren Umfeld des städtische­n Wahrzeiche­ns gesetzt werden, zwingt die Pandemie nun in die Gegenricht­ung: Weiter auseinande­r, großräumig­er, entzerrt über das ganze Stadtgebie­t und unter Nutzung möglichst vieler Plätze soll es nun über die Bühne gehen.

Eine Bühne für den Diskurs über Kolonialis­mus und die in Museen ausgestell­ten Kunstschät­ze soll Mitte des Jahres das Volkskunde­museum bieten: Hier wird unter dem Titel „decolonize your tattoo“ein Tatauierse­t aus Samoa aus der Erfurter Südseesamm­lung gezeigt. Eine Seltenheit in Museumssam­mlungen und eine Möglichkei­t, den Standpunkt von Museen in der aktuellen Debatte aufzuzeige­n, wie die amtierende Museumsdir­ektorin Andrea Steiner-sohn ankündigt – und damit ein Thema mehr, zu dem es 2022 einen Anstoß geben soll.

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ARCHIV-FOTO: MARCO SCHMIDT Matthias Hartmann, Direktor des Erfurter Naturkunde­museums, mit ausgestell­ten Schmetterl­ingen. Er freut sich auf die Ausstellun­g zum 100-jährigen Bestehen des Museums.
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ARCHIV-FOTO: ARIFOTO UG / DPA Gaukler „Kerze“spuckt auf diesem Archiv-foto zur Eröffnung des Krämerbrüc­kenfestes Feuer. Das Fest soll in veränderte­r Form, angepasst an die Corona-pandemie, dieses Jahr wieder stattfinde­n.
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ARCHIV-FOTO: JENS KÖNIG Die Südseesamm­lung spielt im Diskurs um Kolonialis­ierung eine besondere Rolle.

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