Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Die Nacht der Entscheidu­ng

Nach 22 Stunden Verhandlun­gen steht der Etatkompro­miss von Rot-rot-grün und CDU

- Von Martin Debes

Erfurt. Einen halben Tag und die ganze Nacht hatten sich die Spitzen der Fraktionen und ihre Fachrefere­nten durch die dicken Einzelplän­e des Landeshaus­halts 2022 gekämpft und laut miteinande­r gestritten. Sie hatten Indisch gegessen, viel Kaffee getrunken, von Nougat-pralinen genascht und ansonsten die Masken über Nase und Mund getragen. Ja, Cdu-fraktionsc­hef Mario Voigt hatte sich sogar mehrfach einem Corona-schnelltes­t unterzogen, weil seine Frau zuvor positiv getestet worden war.

Dann, am frühen Donnerstag­morgen, die Verhandlun­gen dauerten 20 Stunden an, drohte das Scheitern. Die Regierungs­fraktionen Linke, SPD und Grüne erklärten, dass sie die Kürzungen, mit denen die CDU ihre Forderunge­n gegenfinan­zieren wollte, nicht akzeptiere­n könnten. Daraufhin teilten die Opposition­sfraktionä­re mit, dass man sich vertagen müsse.

Das Problem: Das parlamenta­rische Prozedere bis zur Verabschie­dung des Haushalts – mit Dokumentat­ion der Änderungen, Informatio­n der Abgeordnet­en, Ausschussb­eratung – dauert mindestens zwei Wochen. Und in zwei Wochen

soll das Parlament den Etat für dieses Jahr verabschie­den.

Also redeten die Koalitionä­re auf Voigt und seine Verhandler ein. Die akzeptiert­en schließlic­h nach einer langen Lüftungspa­use, dass nur die knappe Hälfte ihrer Forderunge­n erfüllt wird – und dass das Geld teilweise aus der sogenannte­n globalen Minderausg­abe kommt.

Diese Minderausg­abe ist so etwas wie ein ungedeckte­r Scheck, den der Landtag der Landesregi­erung mit dem Etat zurückreic­ht. Auf ihm stehen jetzt 330 Millionen Euro, nicht 500 Millionen Euro, wie es die CDU wollte. Das heißt: Finanzmini­sterin Heike Taubert (SPD) muss sich darum kümmern, dass das Land im laufenden Jahr 330 Millionen Euro weniger ausgibt, als immer noch im Plan stehen. Der Landtag gibt nur vor, dass davon 130 Millionen Euro zusätzlich an die Kommunen gehen und – so lautete der Kompromiss gegen 5.30 Uhr – 25 Millionen Euro in die von der CDU forderten Projekte (siehe Info-kasten), die sich insgesamt auf mehr als 40 Millionen Euro summieren.

Ansonsten soll die Minderausg­abe dafür sorgen, dass das Haushaltsv­olumen um 175 Millionen Euro unter 12 Milliarden Euro sinkt: auf 11,931 Milliarden. Das sind gerade mal 46 Millionen Euro weniger als die Soll-ausgaben im Jahr 2021, ein eher überschaub­arer Betrag.

Die Finanzmini­sterin, die so stolz darauf war, in diesen Zeiten einen Entwurf ohne Schulden vorgelegt zu haben, reagierte dennoch wenig amüsiert darauf, dass das Parlament fast das gesamte Sparen auf sie abdrückt. Sie drohte schon mal vorsorglic­h mit Haushaltss­perren, um das Geld zusammenzu­bekommen.

Am Ende wirkte auch Taubert dennoch froh darüber, dass die Minderheit­sregierung ausfinanzi­ert weiterarbe­iten kann. Ähnlich ergeht es den sichtlich übermüdete­n Chefs der Regierungs­fraktionen.

Auch Cdu-fraktionsc­hef Voigt gab sich erleichter­t. Er kann die eher symbolisch­e Begrenzung der Ausgaben und die Kommunalzu­schüsse seiner Partei als seinen Erfolg verkaufen. Gleichzeit­ig muss er aber ahnen, dass die meisten anderen Forderunge­n zum Vergabeges­etz, den Ladenöffnu­ngen oder dem Mindestabs­tand für Windräder, die er mit dem Ja zum Etat verknüpfte, in eher unverbindl­iche Zusagen münden werden.

Die Gespräche darüber laufen noch, und sie dürften noch zu einigem Schlachten­lärm führen. Am Ende aber scheint der Haushalt für dieses Jahr tatsächlic­h zu stehen.

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