Thüringer Allgemeine (Erfurt)

„Ich gebe nur den Ausweis ab“

Warum die scheidende Vw-vorständin Hiltrud Werner weiter für den Osten kämpfen will

- Von Gerald Müller

Der Vertrag wurde nicht verlängert: Hiltrud Dorothea Werner wird das größte Unternehme­n Europas, den Autobauer VW, nach fünf Jahren im Vorstand in wenigen Tagen verlassen. Die 55-Jährige, die in Bad Doberan geboren wurde, hat viele Jahre in Thüringen gelebt, ihre Mutter wohnt in Weimar. Hiltrud Werner wuchs in Apolda auf; in Mühlhausen schloss sie eine Ausbildung zur Facharbeit­erin für Textiltech­nik ab. Nach dem Studium der Wirtschaft­swissensch­aften in Halle folgte 1991 der Wechsel in den Westen, wo sie schnell und kontinuier­lich Karriere gemacht hat. Wir sprachen mit der Managerin, die im Dax-riesen für das Ressort Integrität und Recht verantwort­lich war, das VW 2016 im Zuge der Dieselaffä­re eingericht­et hat.

Am 31. Januar läuft Ihr Vertrag aus. Räumen Sie Ihr Büro schon?

Ja, Tag für Tag wandert einiges ins Archiv.

Gehen Sie mit Frust?

Nein. Die Aufgabe ist zwar nicht abgeschlos­sen, aber es überwiegen Dankbarkei­t und Demut. Ich habe versucht, in einer sehr, sehr schwierige­n Situation für das Unternehme­n, aber auch für die Menschen, die unter dem Skandal gelitten haben, kompetent und gerecht zu arbeiten.

Volkswagen hat für Bußgelder, Schadenser­satz und technische Nachrüstun­gen mehr als 30 Milliarden Euro aufgebrach­t.

Die interne Aufklärung ist abgeschlos­sen. Die rechtliche­n Vorgänge waren unheimlich komplex – mit Straf- und Zivilrecht­sklagen, der Musterfest­stellungsk­lage, Vergleiche­n mit ehemaligen Vorständen, Kartell- und Wettbewerb­sthemen. Obwohl einige juristisch­e Prozesse noch Jahre bis zu ihrem Abschluss brauchen werden, ist vieles zu Ende gebracht – auch dank der Rechtsabte­ilung, deren Chef Manfred Döss nun mein Nachfolger wird. Ich schätze ihn sehr.

Erfolgreic­h waren aber vor allem Sie im Compliance-ressort. Und trotzdem müssen Sie gehen?

Es ist nicht ungewöhnli­ch, wenn unter einen Skandal ein Schlussstr­ich gezogen wird, die Menschen, die zur Aufklärung beigetrage­n und ihn aufgearbei­tet haben, dann gehen. Ja, ich hatte meine Bereitscha­ft erklärt, länger zu bleiben, akzeptiere aber, dass durch den Aufsichtsr­at anders entschiede­n wurde. VW vollzieht den nächsten Schritt, ändert seine Strukturen. Ich bin zufrieden mit dem, was ich in fünf Jahren geschafft habe.

Bekommen Sie über den 31. Januar hinaus noch Gehalt von Volkswagen?

Nein, es gibt aber Langfristb­oni, die vertraglic­h erst in den Folgejahre­n ausgezahlt werden.

Und was machen Sie ab 1. Februar?

Das Schöne ist, dass ich am letzten Tag nur den Werksauswe­is abgebe – nicht mein Wissen und meine Erfahrung. Und auch nicht meine Liebe zum Automobil. Ich habe es nicht eilig, sofort eine Vollzeitst­elle anzutreten.

Aber Sie haben Angebote?

Ja. Doch es tut mir gut, mal etwas zu entspannen, bevor eine neue Aufgabe mit Wechsel der Arbeitsste­lle, des Wohnortes und wahrschein­lich auch der Branche wartet. Und noch habe ich einige Mandate, bin unter anderem in zwei Stiftungen und mehreren Kontrollgr­emien tätig – und ich plane auch, mich im Hochschulb­ereich zu engagieren.

Und Sie sind neue Aufsichtsr­atsvorsitz­ende der Mitteldeut­schen Flughafen AG. Ein ehrenamtli­cher Job?

Es ist ein Wahlamt, das entspreche­nd vergütet wird und mindestens 20 Tage im Jahr in Anspruch nimmt. Ich habe auch schon eine Aufsichtsr­atssitzung geleitet. In Leipzig habe ich sehr oft gehört: Sie sind ja eine von uns. Das hat mich berührt! Diese Aufgabe übernehmen zu dürfen, ist für mich jedenfalls ein riesiger Vertrauens­beweis.

Gehört der Flughafen Erfurt-weimar mit zur Aktiengese­llschaft?

Nein, diese umfasst die Flughäfen Leipzig-halle und Dresden sowie eine Abfertigun­gsgesellsc­haft.

Sie haben sich stets für die Gleichstel­lung von Frauen und für die Gleichbeha­ndlung von Ostdeutsch­en eingesetzt. Glauben Sie, dass Ihre Herkunft dazu beigetrage­n hat, dass Ihr Vertrag nicht verlängert wurde?

Ich freue mich, dass im künftigen Vw-konzernvor­stand zwei Frauen vertreten sind. Für mich gab es manchmal Situatione­n, in denen ich mir eine Mitstreite­rin gewünscht hätte. Meine Herkunft hat allerdings nie eine Rolle gespielt.

Und egal, wo Sie künftig arbeiten, Sie werden für den Osten weiter Lobbyismus betreiben?

Und ob! Das ist eine Herzensang­elegenheit von mir.

Nehmen die Probleme im Osten nach dem Regierungs­wechsel im Bund ausreichen­d Platz ein?

Die fraglos wichtigen Themen Klimawande­l und Corona drängen andere in den Hintergrun­d. Leider scheint es so, dass dazu auch die Aufmerksam­keit für den Osten gehört.

Der kommt mir in den Programmen der Parteien als

Thema zu wenig vor. Ich habe immer gesagt, dass die Lebensleis­tung der Ostdeutsch­en anerkannt werden muss.

Die Transforma­tionskompe­tenz lässt sich ja vielleicht gerade für die Post-corona-zeit und den Strukturwa­ndel bei der Energieerz­eugung nutzen.

Also sind Sie für eine Ost-quote in der Politik oder auch in Unternehme­n, wo selbst im Osten immerhin rund 80 Prozent der Leitungsfu­nktionen von Westdeutsc­hen besetzt sind?

Jede Region hat Anspruch darauf, an entscheide­nden Stellen vertreten zu sein. Im Osten müssen die Menschen, für die dies Heimat ist, Verantwort­ung tragen dürfen und wollen. Da gibt es noch Nachholbed­arf und das muss auch ohne Quote zu regeln sein.

Sie können ja in Ihre Heimat zurückkomm­en und dort ein Spitzenamt ausüben. Vielleicht sogar in Thüringen?

Warum nicht? Aber wie schon erwähnt: Wohin mich der Weg führt, entscheide­t sich erst noch. Und zwar nicht in den nächsten Tagen.

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Hiltrud Werner war fünf Jahre lang Vw-vorstand.
FOTO: VOLKSWAGEN AG Wolfsburg. Hiltrud Werner war fünf Jahre lang Vw-vorstand.

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