Ohne Booster keine Lohnfortzahlung?
Wer keine dritte Impfung gegen Corona hat und in Quarantäne muss, könnte den Anspruch verlieren
Berlin. Wer keine Schutzimpfung gegen das Coronavirus hat, der bekommt bei einer Quarantäne schon seit November des vergangenen Jahres keine Lohnfortzahlung mehr vom Staat. Jetzt könnten die Regeln drastisch verschärft werden. Womöglich drohen solche Einbußen nun auch mehreren Millionen Bundesbürgern und -bürgerinnen, die bislang nur eine oder zwei Impfungen bekommen haben. Denn auch wer sich nicht boostern lässt und als Kontaktperson eines Infizierten in Quarantäne muss, setzt künftig womöglich seinen Anspruch auf Lohnfortzahlung aufs Spiel. Betroffen sind Arbeitnehmende als auch Selbstständige.
Dies legt jedenfalls ein neues juristisches Kurzgutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages nahe. Das Parlament hat das Papier soeben im Internet veröffentlicht. Eigentlich gewährt das Infektionsschutzgesetz Personen, die infiziert sind oder unter Infektionsverdacht stehen und denen deshalb eine Ausübung ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit verboten ist, einen Entschädigungsanspruch in Geld.
Booster-impfung hätte Arbeitsausfall verhindert
Die Begründung für die mögliche Sanktion laut den Bundestagsdiensten: Die Betroffenen hätten den Arbeitsausfall mit einer „öffentlich empfohlenen“dritten Impfung verhindern können. Bislang gehen nur Ungeimpfte bei Quarantäne finanziell leer aus. Wer bereits geboostert ist, muss als Kontaktperson nach den aktuellen Regeln hingegen nicht mal in Quarantäne gehen und kann auch weiterhin arbeiten.
Die Unionsopposition forderte die Ampel-regierung in der „Bild“auf, bei dem Thema schnell für Klarheit zu sorgen. Der Appell richtet sich in erster Linie an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
Der deutsche Mittelstand sieht in dem drohenden Wegfall der Lohnfortzahlung einen wirkungsvollen Anreiz, um die Booster-impfungen voranzutreiben. „Wir plädieren für eine Reduzierung der Lohnfortzahlung für Beschäftigte in Quarantäne, die ohne medizinischen Grund eine Impfung verweigern und dadurch die Betriebsgesundheit gefährden“, sagte Markus Jerger, Bundesgeschäftsführer
des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), unserer Redaktion. Bereits jetzt verlören viele Unternehmen Aufträge, weil Mitarbeiter fehlten. Ein erhöhter Ausfall von Mitarbeitern bei bleibenden Lohnkosten könne das wirtschaftliche Aus bedeuten.
Über 62 Millionen Bundesbürger haben im Rahmen der seit Ende Dezember 2020 laufenden Impfkampagne inzwischen eine Erstimpfung gegen Covid-19 erhalten. Aber nur 40 Millionen haben auch schon die Auffrischung, den sogenannten Booster, hinter sich. Die Differenz beträgt immerhin über 20 Millionen
Personen. Die Berufstätigen unter ihnen wären der Kreis der potenziell Betroffenen, wenn die Lohnfortzahlung im Quarantänefall für sie eingeschränkt wird.
Ob der Verdienstausfall ersetzt wird, ist Ländersache
Die Lohnfortzahlung bei Corona ist im Infektionsschutzgesetz geregelt. Für die Juristen ist entscheidend, wann eine öffentliche Empfehlung vorliegt. Die ständige Impfkommission (Stiko) hatte allen Personen ab dem 18. Lebensjahr Ende November 2021 die Auffrischungsimpfung empfohlen. Kürzlich stellte das Fachgremium eine solche Empfehlung
auch für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren in Aussicht.
Allerdings kommt es laut der „Kurzinformation“beim Thema Lohnfortzahlung auf die Länder an: Erst wenn die obersten Landesgesundheitsbehörden auf Grundlage der Empfehlung der Impfkommission eine öffentliche Empfehlung zur Auffrischimpfung aussprechen, „handelt es sich dabei um eine öffentlich empfohlene Schutzimpfung im Sinne des Paragrafen 56 Abs. 1 S. 4 IFSG (Infektionsschutzgesetz, Anm. d. Red.)“, heißt es im Gutachten. Eine Übersicht über die Empfehlungen der Landesgesundheitsbehörden oder die Zahl möglicher Betroffener enthält die zweiseitige Expertise nicht.
Wer die nötige Covid-19-auffrischimpfung nicht vorweisen kann, so die Juristen, muss mit einem Verdienstausfall rechnen. Zuletzt hatten die Ministerpräsidenten der Länder am 7. Januar neue Regeln vereinbart: Geboosterte werden von den Quarantänepflichten ausgenommen. Für sie stellt sich die Frage der Lohnfortzahlung nicht. Für Personen mit einer zweimaligen Impfung gelten Ausnahmen von der Quarantänepflicht bis zum 90. Tag nach der Impfung.
Das Bundesgesundheitsministerium verweist auf Nachfrage auf die Zuständigkeit der Länder. Demnach hätten sich bereits etliche Landesregierungen der Stiko-empfehlung zum Boostern angeschlossen. Wer in Quarantäne muss, „hätte bei entsprechender Landesempfehlung in der Tat keinen Anspruch mehr auf Lohnfortzahlung“, heißt es. Vollziehen müssen das die Landesbehörden, die gegebenenfalls auch Übergangsfristen vorsehen können.