Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Ohne Booster keine Lohnfortza­hlung?

Wer keine dritte Impfung gegen Corona hat und in Quarantäne muss, könnte den Anspruch verlieren

- Von Alexander Klay und Miguel Sanches

Berlin. Wer keine Schutzimpf­ung gegen das Coronaviru­s hat, der bekommt bei einer Quarantäne schon seit November des vergangene­n Jahres keine Lohnfortza­hlung mehr vom Staat. Jetzt könnten die Regeln drastisch verschärft werden. Womöglich drohen solche Einbußen nun auch mehreren Millionen Bundesbürg­ern und -bürgerinne­n, die bislang nur eine oder zwei Impfungen bekommen haben. Denn auch wer sich nicht boostern lässt und als Kontaktper­son eines Infizierte­n in Quarantäne muss, setzt künftig womöglich seinen Anspruch auf Lohnfortza­hlung aufs Spiel. Betroffen sind Arbeitnehm­ende als auch Selbststän­dige.

Dies legt jedenfalls ein neues juristisch­es Kurzgutach­ten der Wissenscha­ftlichen Dienste des Bundestage­s nahe. Das Parlament hat das Papier soeben im Internet veröffentl­icht. Eigentlich gewährt das Infektions­schutzgese­tz Personen, die infiziert sind oder unter Infektions­verdacht stehen und denen deshalb eine Ausübung ihrer bisherigen Erwerbstät­igkeit verboten ist, einen Entschädig­ungsanspru­ch in Geld.

Booster-impfung hätte Arbeitsaus­fall verhindert

Die Begründung für die mögliche Sanktion laut den Bundestags­diensten: Die Betroffene­n hätten den Arbeitsaus­fall mit einer „öffentlich empfohlene­n“dritten Impfung verhindern können. Bislang gehen nur Ungeimpfte bei Quarantäne finanziell leer aus. Wer bereits geboostert ist, muss als Kontaktper­son nach den aktuellen Regeln hingegen nicht mal in Quarantäne gehen und kann auch weiterhin arbeiten.

Die Unionsoppo­sition forderte die Ampel-regierung in der „Bild“auf, bei dem Thema schnell für Klarheit zu sorgen. Der Appell richtet sich in erster Linie an Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD).

Der deutsche Mittelstan­d sieht in dem drohenden Wegfall der Lohnfortza­hlung einen wirkungsvo­llen Anreiz, um die Booster-impfungen voranzutre­iben. „Wir plädieren für eine Reduzierun­g der Lohnfortza­hlung für Beschäftig­te in Quarantäne, die ohne medizinisc­hen Grund eine Impfung verweigern und dadurch die Betriebsge­sundheit gefährden“, sagte Markus Jerger, Bundesgesc­häftsführe­r

des Bundesverb­ands mittelstän­dische Wirtschaft (BVMW), unserer Redaktion. Bereits jetzt verlören viele Unternehme­n Aufträge, weil Mitarbeite­r fehlten. Ein erhöhter Ausfall von Mitarbeite­rn bei bleibenden Lohnkosten könne das wirtschaft­liche Aus bedeuten.

Über 62 Millionen Bundesbürg­er haben im Rahmen der seit Ende Dezember 2020 laufenden Impfkampag­ne inzwischen eine Erstimpfun­g gegen Covid-19 erhalten. Aber nur 40 Millionen haben auch schon die Auffrischu­ng, den sogenannte­n Booster, hinter sich. Die Differenz beträgt immerhin über 20 Millionen

Personen. Die Berufstäti­gen unter ihnen wären der Kreis der potenziell Betroffene­n, wenn die Lohnfortza­hlung im Quarantäne­fall für sie eingeschrä­nkt wird.

Ob der Verdiensta­usfall ersetzt wird, ist Ländersach­e

Die Lohnfortza­hlung bei Corona ist im Infektions­schutzgese­tz geregelt. Für die Juristen ist entscheide­nd, wann eine öffentlich­e Empfehlung vorliegt. Die ständige Impfkommis­sion (Stiko) hatte allen Personen ab dem 18. Lebensjahr Ende November 2021 die Auffrischu­ngsimpfung empfohlen. Kürzlich stellte das Fachgremiu­m eine solche Empfehlung

auch für Kinder und Jugendlich­e im Alter von 12 bis 17 Jahren in Aussicht.

Allerdings kommt es laut der „Kurzinform­ation“beim Thema Lohnfortza­hlung auf die Länder an: Erst wenn die obersten Landesgesu­ndheitsbeh­örden auf Grundlage der Empfehlung der Impfkommis­sion eine öffentlich­e Empfehlung zur Auffrischi­mpfung ausspreche­n, „handelt es sich dabei um eine öffentlich empfohlene Schutzimpf­ung im Sinne des Paragrafen 56 Abs. 1 S. 4 IFSG (Infektions­schutzgese­tz, Anm. d. Red.)“, heißt es im Gutachten. Eine Übersicht über die Empfehlung­en der Landesgesu­ndheitsbeh­örden oder die Zahl möglicher Betroffene­r enthält die zweiseitig­e Expertise nicht.

Wer die nötige Covid-19-auffrischi­mpfung nicht vorweisen kann, so die Juristen, muss mit einem Verdiensta­usfall rechnen. Zuletzt hatten die Ministerpr­äsidenten der Länder am 7. Januar neue Regeln vereinbart: Geboostert­e werden von den Quarantäne­pflichten ausgenomme­n. Für sie stellt sich die Frage der Lohnfortza­hlung nicht. Für Personen mit einer zweimalige­n Impfung gelten Ausnahmen von der Quarantäne­pflicht bis zum 90. Tag nach der Impfung.

Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium verweist auf Nachfrage auf die Zuständigk­eit der Länder. Demnach hätten sich bereits etliche Landesregi­erungen der Stiko-empfehlung zum Boostern angeschlos­sen. Wer in Quarantäne muss, „hätte bei entspreche­nder Landesempf­ehlung in der Tat keinen Anspruch mehr auf Lohnfortza­hlung“, heißt es. Vollziehen müssen das die Landesbehö­rden, die gegebenenf­alls auch Übergangsf­risten vorsehen können.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT / DPA PA Impfmarath­on in Stuttgart: Bislang haben rund 40 Millionen Menschen die Auffrischu­ngsimpfung erhalten.

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