Epidemiologe: „Licht am Ende des Tunnels“
Bremen. Der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb sieht in der Pandemie „Licht am Ende des Tunnels“. Da die Omikron-variante hoch anste- ckend sei, werde sich zwangsläufig fast jeder infizieren, sagte der Wissenschaftler des Leibniz-insti- tutes für Präventionsforschung und Epidemiologie dem „Weserkurier“. Da zugleich die Krankheitsverläufe milder ausfielen, vor allem bei Geimpften, be- stehe die Chance auf eine breite Grundimmunisierung der Gesellschaft.
Berlin. „Wenn ich normalerweise ins Büro fahre, bin ich eine halbe Stunde unterwegs. Jetzt gehe ich aus der Schlafzimmertür raus, gehe über den Flur und öffne die Tür zu meinem Homeoffice-arbeitsplatz. Mich trennt nichts mehr. Früher gab es zwei Welten, die berufliche Welt und die private. Jetzt sind diese beiden verschmolzen – und ich kann den beruflichen Stress nicht mehr hinter mir lassen.“Der etwa 45-Jährige ist einer der Betroffenen, die in einem Video der Deutschen Depressionshilfe über ihr Leben während der Corona-pandemie berichten. Alle, die hier sprechen, sind an einer Depression erkrankt.
Ein anderer Mann erzählt, wie er zu Beginn der Pandemie einen „harten Absturz“erlebte: „Ich konnte wieder tagelang nur liegen. Ich sehe das dann auch, merke, dass ich etwas tun muss, aber ich weiß nicht, was.“Inzwischen belasten ihn selbst die Stimmen seiner Kinder manchmal: „Die Kinder sind dünnhäutiger, ich aber auch.“
Auch der zweite Winter der Corona-pandemie wirkt auf die Psyche vieler Menschen belastend. Es gibt viele, die sich um ihre berufliche Zukunft sorgen, die unter der Quarantäne
Mit den rapide steigenden Corona-zahlen nimmt auch der Bedarf an Tests zu. Doch die Omikronwelle offenbart vier große Probleme in der deutschen Teststrategie:
Knappheit bei Pcr-tests:
Derzeit ist es üblich, nach einem positiven Schnelltest das Ergebnis mit einem zuverlässigeren PCR-TEST abzusichern. So empfiehlt es das Bundesgesundheitsministerium. Die Verfügbarkeit der Labortests wird aber wohl schon bald nicht mehr den Bedarf in Deutschland decken. In der vergangenen Woche führten die fachärztlichen Labore in Deutschland etwa 1,95 Millionen Pcr-tests durch. Das entspricht bereits einer Auslastung von 86 Prozent. Da die Zahl der Infizierten stark steigt, dürften die Laborkapazitäten bald nicht mehr genügen. „Wir werden tatsächlich so hohe Fallzahlen be
leiden oder die das Homeoffice und das Homeschooling an ihre Grenzen bringen. Die repräsentative Befragung „Deutschland-barometer Depression“, die von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe durchgeführt wird, hat 2021 herausgefunden, dass bei jedem fünften Beschäftigten in Deutschland schon mal eine Depression diagnostiziert wurde.
„Ich konnte wieder tagelang nur liegen. Ich merke, dass ich etwas tun muss, aber weiß nicht, was.“
Ein von Depressionen Betroffener
Den ersten Lockdown hätten 59 Prozent der Befragten als „bedrückend“empfunden, den zweiten Lockdown aber schon 71 Prozent, zudem erlebten mehr Befragte „andere Menschen als rücksichtsloser“und fühlten sich „stärker familiär belastet“. Insgesamt nehmen Experten wie Professor Ulrich Hegerl, Psychiater und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, eine „breite Demoralisierung“
in der Bevölkerung wahr.
Aber besonders für Menschen, die unter einer depressiven Erkrankung leiden, hat sich der Krankheitsverlauf durch die Maßnahmen gegen Corona massiv verschlechtert – zum einen wegen der deutlichen Einschnitte bei ihrer medizinischen Versorgung und zum anderen wegen einer wegbrechenden Alltagsstruktur mit Rückzug ins Bett, vermehrtem Grübeln und weniger Sport.
Ulrich Hegerl: „Bei unseren Befragungen gaben hochgerechnet ungefähr zwei Millionen Menschen in Deutschland an, dass sich ihre Erkrankung im Jahr 2021 verschlechtert habe. Das ist eine stille Katastrophe, denn Depressionen sind schwere, oft lebensbedrohliche Erkrankungen.“Im Februar letzten Jahres berichteten 44 Prozent der Menschen mit Depressionen von Rückfällen, der Entwicklung von Suizidgedanken oder sonstigen Verschlechterungen infolge der Corona-maßnahmen.
Die Zahl der Suizide ist 2020 gestiegen
Die Zahl der Suizide in Deutschland lag 2020 laut Statistischem Bundesamt bei 9206 und damit über dem Wert von 2019 mit 9041 Fällen. Drei Viertel der Betroffenen waren Männer, ein Viertel Frauen. „Ich schätze, dass es im Rahmen der Pandemie einen Anstieg insbesondere bei den Suizidversuchen gegeben hat“, sagt Ulrich Hegerl, der sich dabei auf aktuelle Befragungen bei mehr als 2000 Patienten mit Depressionen bezieht.
Gründe seien die schlechtere medizinische Versorgung für Menschen mit psychischen Erkrankungen, Abstürze von Menschen mit Suchtgefährdung oder die fehlende mitmenschliche Hilfe in Krisensituation durch die soziale Isolation. Die Suizidversuche werden allerdings bei Erwachsenen in Deutschland nicht systematisch erfasst.
Gerade veröffentlichte die Essener Uniklinik eine Studie, wonach bis zu 500 Kinder nach Suizidversuchen zwischen März und Ende Mai 2021 auf Intensivstationen behandelt werden mussten. Die mit dem Lockdown verbundene soziale Isolation habe vor allem Kinder belastet, die schon zuvor unter Depressionen oder Angststörungen gelitten hätten, erklärte Professor Christoph Dohna-schwake, Leiter der Kinder-intensivstation der Essener Uniklinik, Anfang Januar.
Depressionen und sogenannte Anpassungsstörungen sind auch die mit Abstand häufigsten Erkrankungen, die derzeit zur Aufnahme einer Psychotherapie führen. Eine Anpassungsstörung ist eine Reaktion auf ein belastendes Lebensereignis, zum Beispiel auf einen Trauerfall. Dies kann sich in negativen Veränderungen des Gemütszustands oder auch in Störungen des Sozialverhaltens ausdrücken. Gerade die Anpassungsstörungen sind 2020 vermehrt ein Grund für eine Krankschreibung gewesen, berichtet die Dak-gesundheit.
Schlechte Versorgung psychisch Erkrankter
Die Deutsche Depressionshilfe berichtet, dass die Corona-maßnahmen zu massiven Einschnitten in der Versorgung psychisch erkrankter Menschen geführt haben: 22 Prozent der Befragten in einer depressiven Phase berichten von ausgefallenen Facharztterminen in den sechs Monaten zwischen September 2020 und Februar 2021, bei 18 Prozent fiel ein Termin beim Psychotherapeuten aus.
Von einem Versorgungsengpass weiß indes der Gkv-spitzenverband, die Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland, nichts. Die psychotherapeutische Versorgung in Deutschland liege im Vergleich zu anderen Ländern im Spitzenbereich, heißt es.