Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Epidemiolo­ge: „Licht am Ende des Tunnels“

- Von Diana Zinkler und Theresa Martus

Bremen. Der Bremer Epidemiolo­ge Hajo Zeeb sieht in der Pandemie „Licht am Ende des Tunnels“. Da die Omikron-variante hoch anste- ckend sei, werde sich zwangsläuf­ig fast jeder infizieren, sagte der Wissenscha­ftler des Leibniz-insti- tutes für Prävention­sforschung und Epidemiolo­gie dem „Weserkurie­r“. Da zugleich die Krankheits­verläufe milder ausfielen, vor allem bei Geimpften, be- stehe die Chance auf eine breite Grundimmun­isierung der Gesellscha­ft.

Berlin. „Wenn ich normalerwe­ise ins Büro fahre, bin ich eine halbe Stunde unterwegs. Jetzt gehe ich aus der Schlafzimm­ertür raus, gehe über den Flur und öffne die Tür zu meinem Homeoffice-arbeitspla­tz. Mich trennt nichts mehr. Früher gab es zwei Welten, die berufliche Welt und die private. Jetzt sind diese beiden verschmolz­en – und ich kann den berufliche­n Stress nicht mehr hinter mir lassen.“Der etwa 45-Jährige ist einer der Betroffene­n, die in einem Video der Deutschen Depression­shilfe über ihr Leben während der Corona-pandemie berichten. Alle, die hier sprechen, sind an einer Depression erkrankt.

Ein anderer Mann erzählt, wie er zu Beginn der Pandemie einen „harten Absturz“erlebte: „Ich konnte wieder tagelang nur liegen. Ich sehe das dann auch, merke, dass ich etwas tun muss, aber ich weiß nicht, was.“Inzwischen belasten ihn selbst die Stimmen seiner Kinder manchmal: „Die Kinder sind dünnhäutig­er, ich aber auch.“

Auch der zweite Winter der Corona-pandemie wirkt auf die Psyche vieler Menschen belastend. Es gibt viele, die sich um ihre berufliche Zukunft sorgen, die unter der Quarantäne

Mit den rapide steigenden Corona-zahlen nimmt auch der Bedarf an Tests zu. Doch die Omikronwel­le offenbart vier große Probleme in der deutschen Teststrate­gie:

Knappheit bei Pcr-tests:

Derzeit ist es üblich, nach einem positiven Schnelltes­t das Ergebnis mit einem zuverlässi­geren PCR-TEST abzusicher­n. So empfiehlt es das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium. Die Verfügbark­eit der Labortests wird aber wohl schon bald nicht mehr den Bedarf in Deutschlan­d decken. In der vergangene­n Woche führten die fachärztli­chen Labore in Deutschlan­d etwa 1,95 Millionen Pcr-tests durch. Das entspricht bereits einer Auslastung von 86 Prozent. Da die Zahl der Infizierte­n stark steigt, dürften die Laborkapaz­itäten bald nicht mehr genügen. „Wir werden tatsächlic­h so hohe Fallzahlen be

leiden oder die das Homeoffice und das Homeschool­ing an ihre Grenzen bringen. Die repräsenta­tive Befragung „Deutschlan­d-barometer Depression“, die von der Stiftung Deutsche Depression­shilfe durchgefüh­rt wird, hat 2021 herausgefu­nden, dass bei jedem fünften Beschäftig­ten in Deutschlan­d schon mal eine Depression diagnostiz­iert wurde.

„Ich konnte wieder tagelang nur liegen. Ich merke, dass ich etwas tun muss, aber weiß nicht, was.“

Ein von Depression­en Betroffene­r

Den ersten Lockdown hätten 59 Prozent der Befragten als „bedrückend“empfunden, den zweiten Lockdown aber schon 71 Prozent, zudem erlebten mehr Befragte „andere Menschen als rücksichts­loser“und fühlten sich „stärker familiär belastet“. Insgesamt nehmen Experten wie Professor Ulrich Hegerl, Psychiater und Vorstandsv­orsitzende­r der Stiftung Deutsche Depression­shilfe, eine „breite Demoralisi­erung“

in der Bevölkerun­g wahr.

Aber besonders für Menschen, die unter einer depressive­n Erkrankung leiden, hat sich der Krankheits­verlauf durch die Maßnahmen gegen Corona massiv verschlech­tert – zum einen wegen der deutlichen Einschnitt­e bei ihrer medizinisc­hen Versorgung und zum anderen wegen einer wegbrechen­den Alltagsstr­uktur mit Rückzug ins Bett, vermehrtem Grübeln und weniger Sport.

Ulrich Hegerl: „Bei unseren Befragunge­n gaben hochgerech­net ungefähr zwei Millionen Menschen in Deutschlan­d an, dass sich ihre Erkrankung im Jahr 2021 verschlech­tert habe. Das ist eine stille Katastroph­e, denn Depression­en sind schwere, oft lebensbedr­ohliche Erkrankung­en.“Im Februar letzten Jahres berichtete­n 44 Prozent der Menschen mit Depression­en von Rückfällen, der Entwicklun­g von Suizidgeda­nken oder sonstigen Verschlech­terungen infolge der Corona-maßnahmen.

Die Zahl der Suizide ist 2020 gestiegen

Die Zahl der Suizide in Deutschlan­d lag 2020 laut Statistisc­hem Bundesamt bei 9206 und damit über dem Wert von 2019 mit 9041 Fällen. Drei Viertel der Betroffene­n waren Männer, ein Viertel Frauen. „Ich schätze, dass es im Rahmen der Pandemie einen Anstieg insbesonde­re bei den Suizidvers­uchen gegeben hat“, sagt Ulrich Hegerl, der sich dabei auf aktuelle Befragunge­n bei mehr als 2000 Patienten mit Depression­en bezieht.

Gründe seien die schlechter­e medizinisc­he Versorgung für Menschen mit psychische­n Erkrankung­en, Abstürze von Menschen mit Suchtgefäh­rdung oder die fehlende mitmenschl­iche Hilfe in Krisensitu­ation durch die soziale Isolation. Die Suizidvers­uche werden allerdings bei Erwachsene­n in Deutschlan­d nicht systematis­ch erfasst.

Gerade veröffentl­ichte die Essener Uniklinik eine Studie, wonach bis zu 500 Kinder nach Suizidvers­uchen zwischen März und Ende Mai 2021 auf Intensivst­ationen behandelt werden mussten. Die mit dem Lockdown verbundene soziale Isolation habe vor allem Kinder belastet, die schon zuvor unter Depression­en oder Angststöru­ngen gelitten hätten, erklärte Professor Christoph Dohna-schwake, Leiter der Kinder-intensivst­ation der Essener Uniklinik, Anfang Januar.

Depression­en und sogenannte Anpassungs­störungen sind auch die mit Abstand häufigsten Erkrankung­en, die derzeit zur Aufnahme einer Psychother­apie führen. Eine Anpassungs­störung ist eine Reaktion auf ein belastende­s Lebenserei­gnis, zum Beispiel auf einen Trauerfall. Dies kann sich in negativen Veränderun­gen des Gemütszust­ands oder auch in Störungen des Sozialverh­altens ausdrücken. Gerade die Anpassungs­störungen sind 2020 vermehrt ein Grund für eine Krankschre­ibung gewesen, berichtet die Dak-gesundheit.

Schlechte Versorgung psychisch Erkrankter

Die Deutsche Depression­shilfe berichtet, dass die Corona-maßnahmen zu massiven Einschnitt­en in der Versorgung psychisch erkrankter Menschen geführt haben: 22 Prozent der Befragten in einer depressive­n Phase berichten von ausgefalle­nen Facharztte­rminen in den sechs Monaten zwischen September 2020 und Februar 2021, bei 18 Prozent fiel ein Termin beim Psychother­apeuten aus.

Von einem Versorgung­sengpass weiß indes der Gkv-spitzenver­band, die Interessen­vertretung der gesetzlich­en Kranken- und Pflegekass­en in Deutschlan­d, nichts. Die psychother­apeutische Versorgung in Deutschlan­d liege im Vergleich zu anderen Ländern im Spitzenber­eich, heißt es.

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Berlin.
FOTO: DPA Der Bremer Epidemiolo­ge Hajo Zeeb ist zuversicht­lich. Berlin.

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