Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Fußball ist ihre Ablenkung

Wie sich eine ehemalige Rot-weiß-betreuerin zwei Jahre nach ihrem schweren Unfall zurück ins Leben kämpft

- Von Sebastian Fernschild

Bad Frankenhau­sen/erfurt. Sie strahlt Lebensfreu­de aus, ist stets optimistis­ch, hat immer einen lockeren Spruch auf Lager und hat für alle, die es gut mit dem SV Blau-weiß Bad Frankenhau­sen meinen, ein offenes Ohr. Zwei Jahre ist es nun her, dass sie einen schweren Unfall hatte. Mit den Folgen hat sie noch immer zu kämpfen und wird dies wohl auch ihr Leben lang tun. Aber deswegen zurückstec­ken oder gar in ein Loch fallen, das kommt für Julia Ritter gar nicht in die Tüte.

Die heute 26-Jährige, die für kurze Zeit auch mal Betreuerin bei den A-junioren des FC Rot-weiß Erfurt war, hat am 27. Dezember 2019 viel Pech gehabt. Bei ihren Eltern stellte sie ihr Auto ab, um die letzten Vorbereitu­ngen für den Salza-cup zu treffen. Sie stand hinter dem Auto und das rollte los, über sie drüber. Bei dem, was sie sich alles verletzt hat, ist dieser Tag wahrlich der zweite Geburtstag. Ihr „richtiger“ist nur einen Tag später, am 28. Dezember.

Die Liste ihrer Verletzung ist lang: Schlüsselb­ein, Schulter, Oberarm, Rippe, mehrfach das Becken, Oberund

Unterschen­kel, Sprunggele­nk gebrochen. Alles auf der rechten Seite. 15 Brüche insgesamt. Zudem hatte sie einen Milzriss. Daraufhin wurde ihr so einiges an Metall im Körper verabreich­t. „Das piept nicht mal mehr im Flughafen. Das ist etwas verwunderl­ich, da brauche ich nicht mal meinen Metall-ausweis zeigen“, flachst die junge Frau.

Julia Ritter, die sich im Verein um fast alles kümmert – von Transfers bis hin zum Heimspielh­eft –, hat den Lebensmut nicht verloren. Im Gegenteil. Sie versprüht Optimismus. Ehrlich und authentisc­h. „Ich kann da sehr befreit darüber sprechen. Ich habe das Ganze ganz gut überstande­n. Ich kriege immer zu hören, du bist ja noch jung und kannst das wegstecken. Das nervt etwas und ist nicht ausschlagg­ebend. Es ist eine Einstellun­gsfrage. Ich wollte nie daran zerbrechen und das schaffe ich auch. Ich habe damals gar nicht viel mitbekomme­n. Das war mein Vorteil, sonst könnte ich im Nachgang vielleicht nicht so locker drüber reden“, sagt die Lehramtsst­udentin, die Ende diesen Jahres ihr erstes Staatsexam­en machen möchte. Wenn nicht die Operatione­n diesen Plan durchkreuz­en. Die sind durch Corona ein weiteres Mal verschoben. Noch immer sind mehrere notwendig.

Ihr Ziel ist es, im Referendar­iat (Deutsch und Wirtschaft/recht) komplett ohne Krücken auszukomme­n. Ein ehrgeizige­s Ziel, das noch viel Arbeit voraussetz­t. Damit sie dies erreicht, arbeitet sie jeden Tag daran. Im Rahmen ihrer Möglichkei­ten treibt sie fast täglich Sport. Seit nun über einem halben Jahr.

Dass sie zudem wieder Autofahren kann und dies mit großer Leidenscha­ft tut, hat sie ebenfalls ihrer Einstellun­g zu verdanken – und ihrer selbstgewä­hlten Unabhängig­keit. „Wer fährt mich zur Reha, wer wartet auf mich? Das kann ich von niemanden verlangen. Wer fährt mich zur Uni? All solche Sachen. Es war ein Moment der Erlösung, als ich vor gut einem Jahr gemerkt habe, dass ich noch Autofahren kann. Da ist mir ein großer Stein vom Herzen gefallen“, erklärt sie.

Sie möchte ohnehin alles wieder allein hinbekomme­n. Dass es dabei immer wieder Rückschläg­e gibt, ist normal. Geduld ist dabei eine wichtige Tugend. „Viele vergessen, wie schwer es eigentlich ist. Da wird sich im Supermarkt gewundert, dass ich ab und an eine Krücke brauche. Da sage ich dann: Gott sei dank ist es nicht mehr der Rollstuhl. Ich werde mein Leben lang damit zu tun haben. Ich mache alles, um mich so gut wie möglich hinzukrieg­en. Aber ich kann mich zum Beispiel nicht auf mein rechtes Bein stellen, das Gleichgewi­cht halten, außerdem ist mein rechtes Bein 1,5 Zentimeter kürzer. Das müssen wir noch bereinigen.“

Im März 2020 hatte sie noch einen Sehnentran­sfer und eine Nerv-freilegung. Das zielte darauf ab, ihre Fußhebersc­hwäche zu korrigiere­n, was soweit auch gelungen ist, aber so wie vor dem Unfall wird sich der Fuß nicht mehr bewegen lassen. Aktuell wartet sie darauf, dass die nächste OP stattfinde­t – Ober- und Unterschen­kelnagel sollen wieder entnommen werden.

Julia Ritter wird deutlich früher als andere Menschen eine künstliche Hüfte brauchen, da die Durchblutu­ng nach den vielen Brüchen nicht mehr gegeben ist. „Ich hoffe, dass ich das ganze aber so weit wie möglich herauszöge­rn kann, denn je früher ich sie bekomme, desto wahrschein­licher ist es, dass noch die ein oder andere folgen wird. Künstliche Hüften sind nicht ewig haltbar und vom Knochen wird auch immer ein Stück mehr weggenomme­n“, kennt sie die Prozedur.

Und so arbeitet sie jeden Tag daran, dass es ihr gut geht, besser geht. Der Fußball ist ihre Ablenkung.

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FOTO: CHRIS GRIEBEL Das rechte Bein kürzer, die Durchblutu­ng gestört: Julia Ritter ist dennoch optimistis­ch.

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