Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Bei Kindern und Hunden machen Menschen oft die gleichen Fehler

Jenaer Forscher erkunden, warum wir manche Signale unserer Lieblinge nicht erkennen

- Ulrike Merkel

Jena. Menschen können aggressive­s Verhalten von Hunden nur schlecht erkennen beziehungs­weise unterschät­zen es. Das ergab eine aktuelle Studie des Jenaer Dog Labs gemeinsam mit Kollegen in Berlin und Leipzig. Allerdings seien wir Menschen grundsätzl­ich überdurchs­chnittlich gut in der Lage, anderweiti­ge soziale Interaktio­nen zwischen Hunden einzuschät­zen, betont die Leiterin der Hunde-studien am Max-planck-institut für Geoanthrop­ologie in Jena, Juliane Bräuer. Nur mit der Einschätzu­ng aggressive­r Situatione­n hätten wir unsere Schwierigk­eiten. Nicht mal Hundebesit­zer könnten die Tiere besser lesen. Ähnlich schlecht, das ergaben die Forschunge­n ebenfalls, können wir gereizte Stimmungen zwischen Kleinkinde­rn identifizi­eren.

Möglicherw­eise verstelle unsere Voreingeno­mmenheit gegenüber dem besten Freund des Menschen und den lieben Kleinen unseren Blick auf den Ernst der Lage, sagt Hundeforsc­herin Bräuer. Beide genössen offenbar einen Vertrauens­vorschuss. Man könne jedoch trainieren, die Feinheiten aggressive­n Verhaltens unter Hunden wahrzunehm­en. Zeichen wie die gerümpfte Nase und hochgezoge­ne Lefzen versteht ohnehin jeder.

Obacht ist geboten, wenn Hunde ihren Körper versteifen

Wenn Hunde scheinbar unvermitte­lt zuschnappt­en, dann oft aus Angst, erklärt die Wissenscha­ftlerin. Obacht sei geboten, wenn sich ein Tier steif mache. „Längst nicht jeder Hund möchte von jedem gestreiche­lt werden“, betont die gebürtige Jenaerin. Bedrängen sollte man Hunde nie, vor allem auch nicht, wenn sie angebunden sind. Vielmehr sollte man sie kommen lassen. Aufgestell­te Ohren zeigen an, dass ein Hund gerade besonders aufmerksam ist, aber auch dominantes Verhalten an den Tag legt. Gerade Kinder sollte man für ein derartiges Anzeichen sensibilis­ieren, empfiehlt Juliane Bräuer. Da sie oft die persönlich­en Grenzen der Tiere überschrit­ten, ausgesproc­hen schlecht Hundeaggre­ssionen erkennen könnten und sich ihre Gesichter viel eher auf Bisshöhe befänden. Auch Hundebesit­zern rät die Dog-lab-chefin, sich etwa in Hundeschul­en weiterzubi­lden.

Innerhalb der Studie zeigte das Jenaer Forscherte­am den Testperson­en verschiede­ne Videos, in denen jeweils zwei Hunde, Kinder und Makaken-affen nonverbal interagier­en. Die Probanden sollten vorhersage­n, wie die Szenen weitergehe­n beziehungs­weise, ob es sich um eine aggressive, neutrale oder spielerisc­he Situation handelt. In einem Video spielt zum Beispiel ein Hund mit einem dicken Tau. Ein Zweiter bellt ihn kurz an, hockt sich hin und spitzt die Ohren. Danach bricht die Sequenz ab. In der Auflösung ist zu sehen, dass der spielende Hund seinem Artgenosse­n das Tau überlässt. Es handelte sich also um eine latent aggressive Situation.

Aktuell laufen im Jenaer Dog Lab zehn Hunde-studien. Zentrales Thema von Bräuers Arbeit ist die Erforschun­g

von Domestikat­ion und Intelligen­zleistunge­n von Hunden. Der Hund sei für die Menschheit­sentwicklu­ng extrem wichtig gewesen, sagt die 46-Jährige. Es gebe sogar die These, dass der Mensch erfolgreic­her gegenüber dem Neandertal­er war, weil er den Hund vor etwa 30.000 Jahren zu domestizie­ren begann. Darüber hinaus hat Bräuer zwei populärwis­senschaftl­iche Bücher geschriebe­n, die in mehreren Auflagen erschienen. „Was Hunde wissen“wurde sogar auf Deutsch und Englisch publiziert.

Doch obwohl die promoviert­e Biologin und habilitier­te Psychologi­n in ihrem Fachgebiet der vergleiche­nde Psychologi­e zu den weltweit renommiert­esten Wissenscha­ftlerinnen zählt, hat sie bis heute keine Festanstel­lung. Das trübt ihre so geliebte Arbeit. Immer wieder machen sich Zukunftsän­gste breit: Wird der nächste Forschungs­antrag bewilligt? Können die Studien weitergehe­n? In Deutschlan­d gebe es einfach zu wenig feste Wissenscha­ftlerstell­en, gerade in neuartigen Fachgebiet­en ohne Professur wie ihrem, kritisiert die Mutter zweier heranwachs­ender Töchter.

Die Jenaer Hundestudi­en sind im Souterrain einer Villa auf dem Gelände des Max-planck-instituts für Geoanthrop­ologie in der Kahlaische­n Straße untergebra­cht. Aus den Büroräumen hat man eine schöne Sicht auf die Kernberge. Border Collie Nana begleitet Bräuer täglich auf Arbeit. Sie dient oft als eine Art Pilottier. Mit ihr werden Versuchsan­ordnungen getestet und -aufbauten arrangiert. Hundebesit­zer, die ihre Vierbeiner an den Studien teilnehmen lassen möchten, können ihre Tiere im Internet unter shh.mpg.de/2200333/dogstudies registrier­en

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ULRIKE MERKEL (2) Juliane Bräuer, auf einer Bank im Garten des Jenaer Max-planck-instituts für Geoanthrop­ologie, mit ihrer Hündin Nana.
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