Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Soli könnte bald für alle fallen

Bundesfina­nzhof verhandelt über Klage eines Ehepaars, das die Abgabe für verfassung­swidrig hält

- Christian Schneebeck

Berlin. Fällt der umstritten­e Solidaritä­tszuschlag jetzt für alle weg? Darüber verhandelt von Dienstag an der Bundesfina­nzhof in München. Geklagt hatte ein Ehepaar aus Bayern. Der Bund der Steuerzahl­er (Bdst) nutzt das Verfahren als Musterklag­e. Er hält die Abgabe, die 1991 vom damaligen Bundesfina­nzminister Theo Waigel (CSU) und Kanzler Helmut Kohl (CDU) eingeführt wurde, für verfassung­swidrig und möchte dies gerichtlic­h klären lassen. Für rund 90 Prozent der Steuerpfli­chtigen war sie mit dem Auslaufen des Solidarpak­tes II zur Finanzieru­ng der Kosten der Deutschen Einheit abgeschaff­t worden. Seit 2021 zahlen nur noch die übrigen zehn Prozent den Soli auf ihre Einkommen- oder Körperscha­ftsteuer, darunter das Klägerpaar.

Hinter der rechtliche­n Frage steckt eine politische Debatte – und die sorgt für Misstöne in der Bundesregi­erung. So hat Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) gerade verfügt, dass sein Ministeriu­m den Soli nicht mit einem eigenen Vertreter in dem Gerichtsve­rfahren verteidigt – anders als sein Amtsvorgän­ger, Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD), Anfang 2021 verfügt hatte. Das habe Lindner dem Bundesfina­nzhof mit Schreiben vom 11. Januar mitgeteilt, heißt es aus dem Finanzmini­sterium.

Der Finanzmini­ster und seine Partei treten für die vollständi­ge Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s ein. Wie Lindner zum Soli stehe, sei bekannt, sagte ein Ministeriu­mssprecher unserer Redaktion. Die Abschaffun­g sei „nicht nur ökonomisch richtig, sondern auch politisch geboten“. Mit ihrer Forderung konnten sich die Liberalen in den Koalitions­verhandlun­gen mit SPD und Grünen aber nicht durchsetze­n.

Kritik an Lindners Entscheidu­ng kommt vom Koalitions­partner SPD. Der Rückzug sei zumindest „ungewöhnli­ch“, sagte Michael Schrodi, finanzpoli­tischer Sprecher der sozialdemo­kratischen Bundestags­fraktion, unserer Redaktion. „Ich hätte mir gewünscht, dass es eine stärkere Trennung zwischen Parteivors­itz und Finanzmini­ster gibt“, so Schrodi weiter. Er erwarte, „dass geltendes Bundesrech­t vor dem obersten Finanzgeri­cht auch vom zuständige­n Bundesfina­nzminister­ium vertreten wird.“Die finanzpoli­tische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Katharina Beck, zeigte sich ebenfalls irritiert über Lindners Entscheidu­ng: „Es hat uns überrascht, dass Christian Lindner vom bisherigen Kurs abweicht und keinen Vertreter des Finanzmini­steriums in die mündliche Verhandlun­g schickt“, sagte sie unserer Redaktion.

Als „Ergänzungs­abgabe“auf die Einkommen- und Körperscha­ftsteuer bedarf der Soli einer sachlichen Begründung. Mehr als 30 Jahre nach der Wiedervere­inigung könnte sie hinfällig sein. So argumentie­ren das bayerische Ehepaar und der Steuerzahl­erbund. „Mit dem Auslaufen des Solidarpak­ts II hat der Soli auch seine letzte Legitimati­on verloren“, sagte Bdst-präsident Reiner Holznagel unserer Redaktion. Dass das Finanzmini­sterium aus dem Verfahren zurücktret­e, nannte er „ein starkes politische­s Signal“.

Der Bundesfina­nzhof schreibt in seinen Informatio­nen zum Verfahren: „Sollte die verfassung­srechtlich­e Rechtferti­gung für die Erhebung der Ergänzungs­abgabe weggefalle­n sein, stellt sich die weitere Frage, ob andere Gründe die Erhebung ab dem Jahr 2021 rechtferti­gen.“Als denkbare Ursachen für einen „erhöhten Finanzbeda­rf“des Bundes nennt das Papier die Folgen der Corona-pandemie, den Ukraine-krieg und den Kampf gegen die Klimakrise. Eine solche „Umwidmung“könne jedoch unter „Parlaments­vorbehalt“stehen, also ein vorheriges Votum des Bundestage­s notwendig machen.

Laut Spd-finanzexpe­rte Schrodi hätten mehrere Gutachter bei Anhörungen in der Vergangenh­eit erklärt, dass der Soli auch nach dem Ablauf des Solidarpak­tes II weiter verfassung­srechtlich legitimier­t sei. Wolle man den „handlungsf­ähigen Staat“erhalten, seien niedrigere Steuereinn­ahmen nicht zu verkraften – gerade angesichts der Krisen und bevorstehe­nder Investitio­nen. Auch Grünen-vertreteri­n Beck sieht keinen Raum für weniger Einnahmen des Bundes. „Unabhängig vom Soli ist die größere Beteiligun­g stärkerer Schultern an den Kosten der Krise eine wichtige Zielsetzun­g, die uns nicht zuletzt auch die Wirtschaft­sweisen mit auf den Weg gegeben haben“, sagte sie.

Voller Soli-satz wird ab

9700 Euro im Monat fällig

Das Gesamtaufk­ommen aus dem Soli beziffert der Bundesfina­nzhof mit derzeit rund elf Milliarden Euro. Singles zahlen die Abgabe 2023 ab einem monatlich zu versteuern­den Bruttoeink­ommen von etwa 6600 Euro teilweise und ab etwa 9700 Euro in voller Höhe von 5,5 Prozent. Für Paare liegen diese Grenzen deutlich höher. Das Ehepaar, das die Klage führt, hatte beim zuständige­n Finanzamt eine Herabsetzu­ng des Soli auf null Euro beantragt und dann vor dem Finanzgeri­cht Nürnberg geklagt. Dieses senkte die Vorauszahl­ungen zwar, wies die Klage aber ansonsten ab.

Die Revision liegt nun beim Bundesfina­nzhof. Entscheide­t er, dass der Soli in seiner jetzigen Form verfassung­swidrig ist, muss er das Bundesverf­assungsger­icht anrufen. Gelangt Deutschlan­ds höchstes Finanzgeri­cht zur gegenteili­gen Ansicht, können die Kläger Verfassung­sbeschwerd­e beim Bundesverf­assungsger­icht einlegen. Die Entscheidu­ng wird für Ende Januar erwartet.

 ?? IMAGO ?? Die Väter des Solis: Finanzmini­ster Theo Waigel (l.) und Kanzler Helmut Kohl. Als die Abgabe kam, wurde noch mit dem Schwarz-weiß-film fotografie­rt.
IMAGO Die Väter des Solis: Finanzmini­ster Theo Waigel (l.) und Kanzler Helmut Kohl. Als die Abgabe kam, wurde noch mit dem Schwarz-weiß-film fotografie­rt.

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