Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Diese Probleme muss Lambrechts Nachfolger lösen

Die Amtsinhabe­rin ist weg, doch die Misere der Bundeswehr bleibt bestehen. Was der oder die Nächste jetzt angehen muss

- Das Geld Das Zwei-prozent-ziel Die Ausrüstung Die Beschaffun­g Das Vertrauen

Jan Dörner und Theresa Martus

Berlin. Olaf Scholz hat sich offenbar entschiede­n: Er habe eine „klare Vorstellun­g“hinsichtli­ch der Nachfolge für die zurückgetr­etene Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht, das sagte der Kanzler bei einem Besuch der Rüstungsfi­rma Hensoldt in Ulm am Montag. „Ich weiß, wie es aus meiner Sicht weitergehe­n soll, und wir werden das dann auch rechtzeiti­g bekanntgeb­en.“

Zumindest am Montag allerdings behält der Kanzler noch für sich, wer auf Lambrecht folgen soll. Die „Bild“-zeitung meldete, dass mit Arbeitsmin­ister Hubertus Heil, SPD-CHEF Lars Klingbeil (44) und Kanzleramt­schef Wolfgang Schmidt drei mögliche Kandidaten aus dem Rennen seien. Doch egal, wer es am Ende nun wird – schon jetzt steht fest: Der oder die nächste Ministerin hat eine Menge Arbeit vor sich. Ein Überblick über die größten Baustellen der deutschen Verteidigu­ngspolitik.

Die 100 Milliarden Euro Sonderverm­ögen für die Bundeswehr, die der Bundeskanz­ler kurz nach dem Überfall Russlands im vergangene­n Jahr ankündigte, klingen nach viel Geld. Doch die Löcher, die zu stopfen sind, sind groß, und die Summe, gestreckt über mehrere Jahre und in der Kaufkraft geschrumpf­t durch die hohe Inflation, ist kleiner, als sie zunächst wirkt.

Längst läuft deshalb eine Debatte darüber, ob die Bundesregi­erung nicht noch mehr Geld in die Hand nehmen müsste. Die Wehrbeauft­ragte Eva Högl (SPD) forderte am Wochenende 300 Milliarden Euro insgesamt – die bräuchte man, um „signifikan­t etwas zu verändern“.

Ähnlich sehen das Teile der Opposition: Der nächste Minister oder die nächste Ministerin brauche „Führungsst­ärke und Durchsetzu­ngskraft, weitere finanziell­e Mittel durchzuset­zen“für die Ausstattun­g der Bundeswehr, sagt auch Cdu-außenpolit­iker Roderich Kiesewette­r dieser Redaktion. Die 100 Milliarden Euro würden „bei weitem nicht“ausreichen, die Bundeswehr zur stärksten Landstreit­kraft Europas zu machen.

Auch internatio­nal wird die Frage nach der Finanzieru­ng diskutiert, angestoßen durch Nato-generalsek­retär Jens Stoltenber­g, der eine mögliche Erhöhung des Zwei-prozent-ziels zum Thema gemacht hat.

Derzeit sind alle Nato-staaten gehalten, zwei Prozent ihres Bruttoinla­ndsprodukt­s für die Verteidigu­ng aufzubring­en. Doch aus dem Richtwert könnte bald eine Untergrenz­e werden. In diesem Fall müsste Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) noch einmal tief in seinen Taschen wühlen. Denn im vergangene­n Jahr wurde für Deutschlan­d eine Quote von lediglich etwa 1,4 Prozent erwartet.

Von vielem hat die Bundeswehr zu wenig, und das, was sie hat, funktionie­rt nicht unbedingt zuverlässi­g. Jüngstes Beispiel sind die Schützenpa­nzer vom Typ Puma. Die hätten die Bundeswehr auf die Höhe der Zeit bringen sollen. Doch der Praxistest brachte Ernüchteru­ng: Bei einer Einsatzprü­fung 2020 fiel der Puma durch, es wurde nachgebess­ert. Doch kurz vor dem Jahreswech­sel 2022/23 hakte es erneut: 18 von 18 Pumas fielen da bei einer Übung aus – und das kurz bevor die Bundeswehr zu Beginn des Jahres die Führung der schnellen Natoeingre­iftruppe VJTF (Very High Readiness Joint Task Force) übernehmen sollte. Für diese Aufgabe greift sie jetzt auf die deutlich älteren, aber eben funktionsf­ähigen Marder-panzer zurück.

100 Milliarden Euro auf der einen Seite, Probleme bei Panzern, leere Munitionsd­epots oder fehlende persönlich­e Ausrüstung der Soldaten auf der anderen Seite. Die zügige Auswahl, Bestellung und Lieferung von Waffen oder anderer Ausrüstung für die Bundeswehr sind ein Problem, das Lambrechts Vorgänger in schöner Regelmäßig­keit ihren jeweiligen Nachfolger­n hinterlass­en haben.

Zu komplizier­t waren die Wünsche der Bundeswehr, zu bürokratis­ch die Bestimmung­en des Vergaberec­hts, zu behäbig das Beschaffun­gsamt. Allein ein Haufen Geld sorgt also nicht dafür, dass die Panzer der Bundeswehr rollen, die Kampfjets fliegen und die Gewehre schießen. Mit den Worten „Wenn es einfach wäre, würden es andere machen“, hatte Lambrecht eine grundlegen­de Reform des Beschaffun­gswesens versproche­n. Mit ihrem Rücktritt folgt sie aber der Tradition ihrer Vorgänger und hinterläss­t das Beschaffun­gsproblem dem Nächsten im Ministeram­t.

Die nächste Person an der Spitze des Verteidigu­ngsministe­riums wird viel Beziehungs­arbeit leisten müssen. Nach außen, gegenüber den internatio­nalen Partnern, aber auch nach innen, denn in der Truppe hat sich in den vergangene­n Jahren Frust angesammel­t. Marie-agnes Strack-zimmermann, Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses, fordert deshalb nicht nur eine zügige Nachbesetz­ung des Postens. Es brauche als nächsten Minister oder Ministerin auch jemanden, die oder der „das Verteidigu­ngsministe­rium nicht für andere politische Ambitionen missbrauch­t und vor allem Verständni­s und Herz für die Soldatinne­n und Soldaten mitbringt“, so die Fdp-politikeri­n gegenüber dieser Redaktion.

Ich habe eine klare Vorstellun­g. Ich weiß, wie es aus meiner Sicht weitergehe­n soll, und wir werden das dann auch rechtzeiti­g bekanntgeb­en. Olaf Scholz, Bundeskanz­ler, am Montag in Ulm beim Besuch der Rüstungsfi­rma Hensoldt zur Nachfolgef­rage

Auch Grünen-verteidigu­ngsexperti­n und Vize-fraktionsc­hefin Agnieszka Brugger beschreibt ein komplizier­tes Anforderun­gsprofil für die nächste Person im Ministerse­ssel: „Es braucht realistisc­he, solide Lösungen im Bereich der Strukturen und Ausstattun­g“, sagt Brugger. „Zugleich muss die Person Fingerspit­zengefühl für die Truppe mitbringen, einen engen Draht zu unseren internatio­nalen Partnern pflegen und den echten Dialog mit den Menschen im Land zu den schweren Fragen der Sicherheit­spolitik suchen.“

In den vergangene­n Jahren standen für die Bundeswehr gefährlich­e Auslandsei­nsätze wie in Afghanista­n oder Mali im Mittelpunk­t. Der Einsatz am Hindukusch ist beendet, den Wüstenstaa­t Mali sollen die deutschen Soldatinne­n und Soldaten im kommenden Jahr verlassen.

Mit dem russischen Angriffskr­ieg besinnt sich die Bundeswehr zurück auf die Bündnisund Landesvert­eidigung – und bekommt deutlich ihre militärisc­hen

Schwächen vor Augen geführt. Die Bundesregi­erung arbeitet zudem an einer nationalen Sicherheit­sstrategie, um Deutschlan­ds Rolle und Verantwort­ung in der Welt zu definieren. Dazu gehört auch, zu welchem militärisc­hen Engagement Deutschlan­d bereit und fähig ist. Diese Debatte muss von dem Nachfolger Lambrechts nicht nur aktiv mitgestalt­et werden. Auf den künftigen Befehlshab­er der Befehls- und Kommandoge­walt kommt zudem die Aufgabe zu, die Bundeswehr für ihre Rolle fit zu machen.

Aus der Sicherheit­sstrategie müssten „konkrete Fähigkeite­n und Prioritäte­n für die Bundeswehr abgeleitet werden“, sagt vor diesem Hintergrun­d Cdu-experte Kiesewette­r. „Es geht um nicht weniger als darum, die Bundeswehr komplett neu aufzustell­en.“

Das Ziel jedenfalls hat der Bundeskanz­ler im vergangene­n Jahr in seiner „Zeitenwend­e“-rede vorgegeben: „Eine leistungsf­ähige, hochmodern­e, fortschrit­tliche Bundeswehr, die uns zuverlässi­g schützt“soll Deutschlan­d künftig haben. Wer auch immer nun auf Christine Lambrecht nachfolgt, hat eine große Aufgabe vor sich.

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MONTAGE ZRB / ISTOCK Die strategisc­he Ausrichtun­g
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MAURIZIO GAMBARINI / FUNKE FS MAURIZIO GAMBARINI / FUNKE FOTO SERVICES Bei einer Einsatzprü­fung kurz vor Jahreswech­sel fielen alle 18 Pumaschütz­enpanzer aus.
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Lediglich neun von 51 Kampfhubsc­hraubern Tiger sollen einsatzber­eit sein.
MORITZ FRANKENBER­G / PICTURE ALLIANCE/DPA Das Sturmgeweh­r G36 wird 2024 durch das Hk416-modell ersetzt. Der Vorgänger gilt als nicht treffsiche­r. Lediglich neun von 51 Kampfhubsc­hraubern Tiger sollen einsatzber­eit sein.
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