Panikschlösser, Notfallordner, spezielle Trainings
Wie sich Verwaltung und Polizei darauf vorbereiten, wenn Gefahr in Schulen droht
Erfurt. Es war, so bezeichnet es später die Polizei, ein Schülerstreich. Ein Streich am 7. Dezember 2022, dessen Tragweite sich die verursachende Person nicht bewusst war. Erfurtern, all jenen der 26. April auf der Seele liegt, kamen sofort die Erinnerungen an die Amoktat 2002 ins Gedächtnis.
Die Bilder ähneln sich: Ein Großaufgebot an Polizei und Rettung rund um eine Schule, verunsicherte Schüler, Lehrer, Eltern. Sicherlich, es konnte recht schnell keine akute Gefahr für die Schüler- und Lehrerschaft festgestellt werden. Doch der Schrecken sitzt tief.
Mancher fragte sich nach dem Tag, welche Sicherheit in den Schulen besteht. Gibt es Schließsysteme, Paniktüren? Wie war das Vorgehen der Polizisten, wurde sofort eingegriffen?
Panikschlösser funktionieren auch ohne Schlüssel
Wir fragten nach bei der Erfurter Verwaltung und der Polizei. „Automatisch schließende Türen existieren nicht, also zumindest keine, die für den Amokfall vorgesehen sind“, sagt Arne Ott, der Leiter des Amtes für Gebäudemanagement. Selbstverständlich seien automatisch schließende Rauch-/brandschutztüren vorhanden, die aber in erster Linie der Abhaltung von Feuer dienen und zugleich den Fluchtweg weiterhin gewährleisten müssen.
Dennoch können bei Gefahr Türen verschlossen werden – mit Hilfe eines sogenannten Panikverschlusses. „Dieser kann von innen ohne Schlüssel verriegelt werden, da nicht immer garantiert werden kann, dass im Amokfall ein Lehrer mit Schlüssel anwesend ist“, erklärt Arne Ott.
Bei allen Neubauten sind diese Standard. „Alle anderen Objekte rüsten wir sukzessive nach. Ein solcher Zylinder kostet im Einkauf pro Tür circa 250 Euro. Pro Objekt, etwa eine Typenbauschule, werden somit bis zu 30.000 Euro fällig.“In Erfurt haben mehr als 50 Prozent der Schulen eine solche Verriegelung, vor allem die weiterführenden Schulen sind damit ausgestattet.
Mit der Sicherheit an Schulen befasst sich auch seit 2009 eine ständige Landesarbeitsgruppe mit selbigem Titel. In ihr wirken Vertreter des Thüringer Bildungsministeriums, des Innenministeriums, des Landeskriminalamtes, der Feuerwehr
Erfurt, des Schulamtes Erfurt und des Polizeipsychologischen Dienstes mit. Diese Arbeitsgruppe trifft sich regelmäßig. Schwerpunkt der zurückliegenden Tätigkeit war die Erarbeitung eines umfangreichen Notfallordners, der mittlerweile den Schulämtern, Schulen und Lehrerkollegien vorliegt.
Seit 2003 trainiertes Vorgehen im Dezember angewandt
„Ziel dieser Notfallordner ist es, Schulen im Umgang mit speziellen Problemlagen, wie Amokläufen, Handlungssicherheit durch übersichtliche Materialien zu vermitteln“, sagt Daniel Baumbach, Sprecher des Innenministeriums. Im Ordner enthaltene Handlungsempfehlungen seien bewusst einfach gehalten worden. „So soll erreicht werden“, erklärt er, „insbesondere in der mit einer konkreten Amoklage verbundenen enormen Stresssituation“schnell und angemessen zu reagieren.
Auf polizeilicher Ebene bilden Checklisten für Schulsicherheit, Beratung hinsichtlich baulicher und technischer Sicherungsmöglichkeiten sowie Schulungs- und Informationsangebote für Lehrer weitere wichtige Maßnahmen im Rahmen
der Zusammenarbeit Schulen.
Bei der angenommenen Bedrohungslage im Dezember an der Gemeinschaftsschule am Nordpark wandte die Polizei das seit 2003 speziell trainierte Einsatzvorgehen an. Das bestätigt Erfurts Polizeisprecherin Julia Neumann auf Anfrage unserer Zeitung.
Damit Situationen dieser Art professionell bewältigt werden können, müssen Polizisten über eine gewisse Einsatzkompetenz verfügen. Durch spezielle Trainings werden erforderliche Verhaltensmuster so eingeübt, damit diese im Ernstfall sofort abrufbar sind.
Daniel Baumbach erläutert das Prinzip: „Das neu entwickelte taktische Konzept stellte einen Paradigmenwechsel dar. Das Risiko für Streifenpolizisten, verletzt oder getötet zu werden, wurde höher. Denn sie sind es fast immer, die zuerst und erst einmal auch allein am Tatort sind“, sagt er.
„Ziel ist immer Rettung und Schutz von Menschenleben. Unter einem hohen, aber kalkulierbaren Eigenrisiko müssen die ersten Polizeikräfte vor Ort nun sofort konsequent eingreifen. Sie dürfen nicht mehr auf Spezialeinheiten warten.“ mit