Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Keine Beziehung, aber ein Kind

- Nina Ponath

Berlin. Ein Kind, auch ohne Mann. Dieser Wunsch kam bei Christine Wagner vor zwölf Jahren auf. Damals war die Ärztin noch mit ihrer Partnerin Miriam zusammen. Heute ist Wagner biologisch­e Mutter einer Tochter, die sie zusammen mit einem sogenannte­n Co-Vater großzieht. Gefunden hat sie Gianni, den Vater ihrer Tochter, auf einer von ihr selbst gegründete­n Plattform für Menschen mit Kinderwuns­ch, die in einer nicht konvention­ellen oder keiner Beziehung leben.

Im Bekanntenk­reis wurden die Frauen nicht fündig

„Ich kam vor gut zwölf Jahren zu meiner Co-Elternscha­ft“, sagt Christine Wagner (40), „zu dem Zeitpunkt war ich Ende 20 und verspürte einen Kinderwuns­ch, der mich nicht mehr losließ.“Die Berlinerin, die damals noch in ihrer Facharztwe­iterbildun­g steckte, besprach ihren Wunsch mit ihrer Partnerin. Beide wussten: Sie wollen Eltern werden. Als homosexuel­les Paar hätten sie sich einen anonymen Samenspend­er suchen können, doch das wollten die Frauen nicht. „Uns war relativ schnell klar, dass wir uns beide einen Vater für unser Kind wünschen“, sagt die heute 40-Jährige, „und zwar nicht nur einen biologisch­en Vater, sondern jemanden, der die ganze Kindheit

begleitet.“Ihre Partnerin und sie begannen, sich im Bekanntenk­reis umzugucken: Freunde, Kommiliton­en, aber irgendwie wollte das alles nicht so recht passen.

„Vor zwölf Jahren gab es in Deutschlan­d noch kein Angebot für Co-Elternscha­ften“, erzählt Wagner. Erst später erfuhr das Paar, dass es das Modell, das auch Co-Parenting genannt wird, bereits in den USA gab. Es geht um die Ermöglichu­ng des Kinderwuns­chs – ohne eine sexuelle Beziehung zu haben. „Wir haben dann beschlosse­n, selbst eine Plattform auf die Beine zu stellen.“

Abend für Abend setzten sie sich an den Computer, und bereits vier Wochen später stand die Webseite: familyship.org. Die Plattform bietet eine Vielzahl an Optionen für Personen

mit Kinderwuns­ch. Sowohl alleinerzi­ehende, heterosexu­elle Frauen, unfruchtba­re Frauen als auch homo- und heterosexu­elle Paare und Samenspend­er können sich registrier­en und nach einem Co-Elternteil suchen.

Ein Kinderwuns­ch solle selbstbest­immt möglich und nicht von starren Modellen abhängig sein, findet Wagner. Was alle Nutzer verbinde, sei der Kinderwuns­ch und eine gewisse Offenheit. Für die Suche sollte man sich Zeit nehmen und das andere Elternteil richtig kennenlern­en, rät sie – immerhin sollen sich beide Parteien ein ganzes Menschenle­ben lang begleiten. „Eine Co-Elternscha­ft ist nichts, was ich einer Frau empfehlen würde, die kurz vor ihrem letzten Eisprung steht“, sagt Wagner. Dafür sei der Prozess zu zeitaufwen­dig und müsse das auch sein.

Christine Wagner und ihre damalige Freundin suchten auf ihrer Plattform dann auch gleich selbst nach einem potenziell­en Vater für ihr Kind – und wurden nach einigen weniger passenden Dates fündig. Gianni, der wie die beiden Frauen in Berlin lebt, überzeugte sie. „Bei ihm stimmte sofort das Bauchgefüh­l“, sagt Wagner, „das weitere Kennenlern­en hat das Gefühl noch untermauer­t.“Aber braucht ein Kind überhaupt beide Elternteil­e, eine Mutter und einen Vater? „Ich weiß nicht, ob ich das heute noch so sehe“, sagt sie. Früher sei sie sich damit immer sicher gewesen, vielleicht auch, weil sie selbst ein so gutes Verhältnis zu ihrem Vater habe.

Die Co-Elternscha­ft habe ihre Vor- und Nachteile. Einerseits sei man mit der Verantwort­ung nicht allein und könne, eben weil man sich die Elternscha­ft teile, auch Zeit allein genießen. Alle zwei Wochen lebt ihre Tochter bei ihr, sodass sie die Zeit in den anderen zwei Wochen für sich selbst nutzen kann. Die andere Hälfte des Monats nimmt der Vater das Kind. Nachteile seien, so sagt Wagner, die Absprachen und die Verpflicht­ung, die andere Person immer mit einzubezie­hen. Wenn man sich noch nicht so gut kenne, könne es dann zu Streit kommen.

Obwohl sich Christine Wagner entschiede­n hatte, gemeinsam mit Gianni eine Familie zu gründen, fiel ihr der Schritt anfangs trotzdem nicht leicht. Ihre Partnersch­aft ging noch vor der Schwangers­chaft zu Ende, sodass sie ganz auf sich gestellt war. „Mir war klar, dass ich Kinderwuns­ch und Partnersch­aft trennen muss. Vom Kopf ging das gut, vom Gefühl brauchte es schon länger.“„Den größten Gegenwind gab es von meinen Eltern“, erzählt Wagner. Sie komme vom Dorf und ihre Eltern seien sehr traditione­ll. Mit der Zeit habe sich ihre Einstellun­g aber geändert: „Heute sind sie superstolz­e Großeltern.“

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PRIVAT Christine Wagner fand Gianni, den Vater ihrer gemeinsame­n Tochter, auf der von ihr selbst gegründete­n Plattform für Co-Elternscha­ft.
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FAMILYSHIP Christine Wagner (r.) mit ihrer ehemaligen Partnerin Miriam Förster.

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