Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Die Schiffscre­w funkte noch „Mayday“

Containerf­rachter bringt 2,6 Kilometer lange Brücke in den USA zum Einsturz. Mehrere Autos fallen in die Tiefe

- Jessica Hock

Berlin. Die Auffahrt zur Key Bridge endet im Nichts. Bis in der Nacht zu Dienstag überspannt­e die 2,6 Kilometer lange Brücke mit ihren vier Fahrspuren den Patapsco River nahe der US-Metropole Baltimore. Nun ragen nur noch ihre Stahlgerüs­te aus dem Wasser. Videos in den sozialen Medien zeigen den Moment des Einsturzes: Vor den blinkenden Lichtern des Hafens verliert die Brücke plötzlich ihre Form und stürzt zusammen. Bei Tagesanbru­ch hängen Teile davon noch immer quer über dem Bug des Containers­chiffes, das sie zu Fall brachte.

Die Besatzung des Containers­chiffes hat offizielle­n Angaben zufolge kurz vor dem Zusammenst­oß ein Notsignal abgesetzt. Der Gouverneur von Maryland, Wes Moore, sagte bei einer Pressekonf­erenz, die Schiffscre­w habe noch „Mayday“gefunkt. So seien Menschenle­ben gerettet worden, da die Behörden einen Teil des Straßenver­kehrs über die Brücke stoppten, so Moore. „Diese Leute sind Helden. Sie haben letzte Nacht Leben gerettet.“

Das Schiff habe sich mit einer „schnellen“Geschwindi­gkeit von acht Knoten (rund 14,5 Stundenkil­ometer) fortbewegt, als die Besatzung die Behörden informiert­e, dass es keinen Strom mehr habe, fuhr Moore fort. Daraufhin hätten die Behörden sich beeilt, Autos von der Francis-Scott-Key-Brücke südöstlich des Stadtzentr­ums von Baltimore fernzuhalt­en. Das unter der Flagge Singapurs fahrende Containers­chiff „Dali“hatte in der Nacht einen Brückenpfe­iler gerammt, was den Einsturz der Brücke nach sich zog.

Mit Booten und Hubschraub­ern nach Vermissten gesucht

Um 1.35 Uhr Ortszeit erhielt die Polizei in Baltimore nach eigenen Angaben die ersten Notrufe. Was folgte, war die aufwendige Suche nach Vermissten, die im Wasser vermutet wurden. Wie Paul Wiedefeld, Senator im US-Bundesstaa­t Maryland mitteilte, handelt es sich zunächst um acht Personen. Sie alle waren Teil eines Arbeitstru­pps, der zur Zeit des Einsturzes Schäden an der Fahrbahn reparierte. Zwei von ihnen konnten bereits am späten Vormittag deutscher Zeit gerettet werden. Eine Person sei unverletzt, die andere „in sehr ernstem Zustand“in ein Krankenhau­s eingeliefe­rt worden, hieß es. Den Behörden zufolge wurden am Abend noch sechs Menschen vermisst.

Baltimore

Bei einer Wassertemp­eratur von rund neun Grad und schlechter Sicht gestaltete sich der Einsatz für die angeforder­ten Taucher denkbar schwierig. Solche Temperatur­en können für Menschen nach etwa drei Stunden tödliche Folgen haben, berichtete CNN. Auch die nahende Flut machte die Suche zu einer Herausford­erung. Boote und Hubschraub­er waren ebenfalls im Einsatz.

Das Schiff trieb unweit der Einsturzst­elle im Wasser. Der 290 Meter

lange Frachter war auf dem Weg nach Colombo in Sri Lanka. Das von der Charterges­ellschaft Synergy Group betriebene Schiff sei von Maersk auf Zeit gechartert worden, hieß es in einer Mitteilung des dänischen Reedereiun­ternehmens Maersk, dass hinter der französisc­hen MSC die weltweit zweitgrößt­e Containerr­eederei ist. Auf dem Schiff selbst gebe es keine Verletzten, berichtete die „New York Times“.

Gouverneur Moore rief den Notstand aus. Man arbeite teamübergr­eifend zusammen, um nun schnell auch von der US-Regierung Hilfe anfordern zu können, hieß es in einer Stellungna­hme auf X. Das Weiße Haus bot seine Unterstütz­ung an. Man sei in Gedanken „bei den Familien der Vermissten nach diesem furchtbare­n Vorfall“. Anwohner zeigten sich schockiert. Wie ein vorbeiraus­chender Zug habe es geklungen, als die Brücke zusammenbr­ach, berichtete ein CaféInhabe­r der BBC. Eine andere Anwohnerin sprach unter Tränen von einer „katastroph­alen“Erschütter­ung, die durchs ganze Haus ging. Über den Verlust der Key Bridge zeigte sich die Frau untröstlic­h: „Es war die Brücke der Brücken.“

Die Francis Scott Key Bridge führte als Teil der Autobahn Interstate 695 über den Patapsco-Fluss und den Hafen der Metropole Baltimore im Nordosten der USA. Eröffnet wurde sie im Jahr 1977 nach fünfjährig­er Bauphase. Wie die Regierung im Bundesstaa­t Maryland in einem Bericht mitteilte, passierten allein im vergangene­n Jahr 12,4 Millionen Fahrzeuge die wichtige Verkehrsac­hse.

Gouverneur Moore betonte, es deute nichts darauf hin, dass strukturel­le Mängel zum Einsturz geführt haben könnten. „Die vorläufige Untersuchu­ng deutet auf einen Unfall hin.“Es gebe auch keine Hinweise auf einen Terroransc­hlag. Ein Ermittler der Bundespoli­zei FBI äußerte sich ähnlich.

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DPA Das Schiff, das die Katastroph­e verursacht­e, fuhr unter der Flagge Singapurs von Baltimore aus nach Sri Lanka.

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