Verband spricht von Täter-Opfer-Umkehr
Der Arbeitsgerichtsprozess zur Entlassung von Mary-Ellen Witzmann steht in Kürze an. Die Bundes-AG der Gleichstellungsbeauftragten reagiert auf Knoblich-Schreiben
Erfurt. In gut zwei Wochen soll das Arbeitsgericht entscheiden, ob die fristlose Kündigung der Gleichstellungsbeauftragten Mary-Ellen Witzmann durch die Stadt rechtens ist. Witzmann hatte im Oktober bestätigt, dass es Vorwürfe sexueller Übergriffe und des Machtmissbrauchs am Theater gebe. Die Stadt hatte ihr daraufhin gekündigt, weil sie Anweisungen nicht befolgt hätte und vor allem, weil sie sensible Personendaten preisgegeben habe.
Im Vorfeld kocht das Thema nun in einer Korrespondenz hoch, in der Erfurts Kulturdezernent Tobias Knoblich und die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen (BAG), Katrin Brüninghold, stehen. Unter dem Strich wirft Brüninghold der Stadt im Geschehen um das Theater und Generalintendanten Guy Montavon eine Täter-Opfer-Umkehr vor. Knoblich kritisiert die in Hattingen arbeitende Gleichstellungsbeauftragte, dass sie urteile, ohne die nötigen Details des Falles zu kennen.
Korrespondenz um den Status der Gleichstellungsbeauftragten Zunächst einmal geben sich beide Briefschreiber überrascht, dass es diese Korrespondenz gibt. Katrin Brüninghold hatte dem MDR für einen Beitrag anlässlich des Frauentages Statements gegeben, was Knoblich dazu bewog zur Feder zu greifen. „Sie stellen sich leider in keinem mir verfügbaren Statement die differenzierte Frage, was überhaupt vorgefallen sein muss, dass arbeitsrechtliche Konsequenzen notwendig wurden. Sie insinuieren stattdessen, dass Gleichstellungsbeauftragte das Recht haben, immer, direkt und unmittelbar mit jedem Thema und allen Daten an die Öffentlichkeit gehen zu können – und setzen das mit der Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen des dienstlichen Auftrags gleich“, schreibt Knoblich. Wobei der gesamte Brief sich stark um Auftrag und Rolle von Gleichstellungsbeauftragten dreht.
„Das habe ich noch nicht erlebt, solche Post zu bekommen“, zeigt sich Brüninghold im Gespräch mit dieser Zeitung immer noch überrascht, auf einen Medienbeitrag hin ein Schreiben aus dem Erfurter Rathaus zu bekommen. Aber überhaupt seien die Vorgänge um die Aufklärung der Vorwürfe sexueller Übergriffe und des Machtmissbrauchs am Theater Erfurt „einzigartig“. Sie kenne schon Fälle, „dass Gleichstellungsbeauftragte unter Druck gesetzt werden oder versucht wird, etwas unter den Teppich zu kehren, aber eine fristlose Kündigung, so was hat es noch nie gegeben.“
Inhalt des Disputs ist Gegenstand des Arbeitsgerichtsverfahrens Inzwischen ist der Briefwechsel in die zweite Runde gegangen. Nach dem Knoblich-Schreiben und einer als Medienmitteilung durch Brüninghold veröffentlichten Antwort, gibt es nun die Rückantwort durch Tobias Knoblich, die unserer Redaktion vorliegt. Darin nennt Knoblich es unangemessen, dass sein „Bemühen um Klärung von Fragen für agitatorische Zwecke“benützt würde. Im Übrigen folgt in den beiderseitigen Schreiben eine weitere Auseinandersetzung um die Frage, welches Recht zur Öffentlichkeitsarbeit Gleichstellungsbeauftragte in Thüringen besitzen. Wie Knoblich selbst anmerkt, werde das Thema im Detail aber Gegenstand der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht sein. Daher könne er dies im Brief „nicht weiter diskutieren.“
Während in den beiden langen Schreiben Knoblichs an die Sprecherin der BAG nicht ein einziges Mal der Name Witzmann fällt, nimmt Katrin Brüninghold noch einmal klar Bezug zum Umgang mit dem Fall. „Kommunale Gleichstellungsbeauftragte wie Frau Witzmann spielen eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung von Diskriminierung und sexueller Belästigung. Ihr Handeln sollte aus diesem Grunde nicht infrage gestellt und öffentlich diskreditiert, sondern vielmehr unterstützt und gefördert werden“, so Brüninghold. Die BAG könne nicht nachvollziehen, wie Knoblich vor diesem Hintergrund von einem „Opfernarrativ“sprechen könne, das von Frau Witzmann medial konstruiert werde. „Dem treten wir entschieden entgegen und sehen darin eine TäterOpfer-Umkehr.“
Die „extreme Diskrepanz“zwischen der Behandlung des Intendanten Guy Montavon und der ehemaligen kommunalen Gleichstellungsbeauftragten zeige aus Sicht der BAG eindeutig, dass es „der Stadt Erfurt in diesem Falle nicht um die Belange und den Schutz der Betroffenen von sexueller Belästigung, sondern um andere Interessen geht. Es liegt die Vermutung nahe, dass es der Stadt wichtiger ist, den Intendanten zu schützen und das positive Image der Stadt zu wahren.“Nur so sei zu erklären, dass Mary-Ellen Witzmann durch die fristlose Kündigung von einem Tag auf den anderen ihre finanzielle Lebensgrundlage entzogen wurde, während Montavon bis zum Ende seiner Vertragslaufzeit unter Zahlung seiner vollen Bezüge von der Arbeit freigestellt wurde. „Dies ist eine strukturelle Ungerechtigkeit, die die Machtverhältnisse in Erfurt deutlich zutage treten lässt“, schätzt Brüninghold ein.