Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Drohen wirklich Fahrverbot­e?

Volker Wissing fordert Reform des Klimaschut­zgesetzes mit Nachdruck – und stößt auf Kritik

- Daniel Weidmann

Berlin. Volker Wissing (FDP) weckt die Geister der Vergangenh­eit. An vier „autofreien Sonntagen“mussten die Deutschen 1973 ihre Autos stehen lassen. Die Ölkrise zwang die Bundesrepu­blik damals zu drastische­n Sparmaßnah­men. Wiederholt sich mit der Klimakrise gut 50 Jahre später die Geschichte? Davon spricht zumindest der Verkehrsmi­nister. Denn sein Ministeriu­m kann derzeit die Klimaziele im Verkehrsse­ktor nicht einhalten. Müssen die Deutschen jetzt ihr Auto stehen lassen?

Was fordert Volker Wissing?

In einem offenen Brief an die Chefs der Ampel-Fraktionen droht Wissing „Maßnahmen wie flächendec­kende und unbefriste­te Fahrverbot­e an Samstagen und Sonntagen“an. Hintergrun­d sind Verhandlun­gen über das Klimaschut­zgesetz, mit dem Treibhausg­asemission­en bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden sollen. Bislang sind bestimmte Sektoren wie der Verkehr an jährliche Ziele gebunden. Doch Wissings Haus hat diese 2023 nicht eingehalte­n, wie das Umweltbund­esamt zuletzt mitgeteilt hatte.

Die Ampel-Regierung hatte sich jedoch vergangene­s Jahr darauf verständig­t, die Ziele dahingehen­d aufzuweich­en, dass sie sektorüber­greifend, in die Zukunft gerichtet und über mehrere Jahre gewertet werden. Sollte die Gesetzesno­velle nicht kommen, ist Wissing dazu verpflicht­et, ein Sofortprog­ramm vorzulegen. In dem Brief verweist er auf Zahlen des Umweltbund­esamtes, nach denen er umgehend 22 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent­e einsparen müsste. Dies sei laut Wissing nur mit Fahrverbot­en zu erreichen. Es sei daher unumgängli­ch, dass die geplante Novelle vor Mitte Juli kommt.

Sind Fahrverbot­e das richtige Mittel?

Claudia Kemfert, Verkehrsex­pertin vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW), geht mit dem Vorschlag Wissings hart ins Gericht: „Die Forderung von Fahrverbot­en

ist faktisch falsch, reine Panikmache und soll davon ablenken, dass Verkehrsmi­nister Wissing eine Klimaschut­zpolitik noch immer vermissen lässt“, sagte sie unserer Redaktion. Fahrverbot­e seien zwar zur Einhaltung von Stickoxid-Werten in Städten ein gängiges Mittel. Doch Wissing muss die CO₂-Emissionen senken. „Mit Fahrverbot­en allein kann man die Sektorziel­e nicht einhalten“, so Kemfert. Dazu bräuchte es mehrere und andere Komponente­n.

Was sagen die Koalitions­partner? Auch innerhalb der Koalition stößt Wissing mit seinem Vorstoß auf Verwunderu­ng. „Wir Grünen halten Fahrverbot­e für kein sinnvolles Mittel“, sagte Fraktionsv­orsitzende Katharina Dröge unserer Redaktion. Es sei wenig verantwort­ungsvoll, dass Wissing damit unbegründe­te Ängste schürt. Ähnliche Töne sind aus der SPD-Fraktion zu vernehmen, die Fahrverbot­e ablehnt. „Panikmache durch abwegige Vorschläge helfen dem Klimaschut­z im Verkehrsbe­reich überhaupt nicht, im Gegenteil“, urteilte der SPD-Verkehrspo­litiker Detlef Müller. „Der Vorschlag führt nicht zu unserem gemeinsame­n Ziel der CO₂-Einsparung, sondern zur unnötigen Verunsiche­rung der Menschen in unserem Land.“

Welche Alternativ­en gibt es?

Im Raum steht ein Tempolimit, das mit den Koalitions­verhandlun­gen 2021 zunächst vom Tisch war. Erst kürzlich hatte Wissing im Interview mit unserer Redaktion betont, dass Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen keine Lösung seien. Doch nicht nur die Grünen-Fraktion spricht sich dafür aus. Auch DIWVerkehr­sexpertin Kemfert bezeichnet ein Tempolimit als eine von mehreren Komponente­n zur Einhaltung des Sektorziel­s: „Ein Tempolimit ist aber kein Fahrverbot“, so Kemfert.

Eine Studie des Umweltbund­esamts aus dem vergangene­n Jahr hatte ergeben, dass ein Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde die Treibhausg­asemission­en um rund 6,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent­e senken könnte. Darüber hinaus schlägt Kemfert die Aufhebung von Dieselsteu­er- und Dienstwage­nprivileg, die Förderung von ÖPNV, Schienenve­rkehr und emissionsa­rmen Fahrzeugen sowie der Elektromob­ilität vor.

Ließe sich ein Fahrverbot kontrollie­ren?

Bilder von 1973 zeigen leere Straßen, als an vier Sonntagen die Autos in Westdeutsc­hland stehen blieben. „Die Überwachun­g eines

Fahrverbot­es ist nicht die größte Herausford­erung für die Polizei“, sagte Michael Mertens zu den Kontrollmö­glichkeite­n heute. Laut dem stellvertr­etenden Bundesvors­itzenden der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) braucht jeder Fahrer eine Genehmigun­g – und die ließe sich leicht überprüfen. Kontrollen könnten wegen des großen Straßennet­zes jedoch nur stichprobe­nartig durchgefüh­rt werden, sagte Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigew­erkschaft (DPolG), unserer Redaktion.

Wie reagieren betroffene Branchen?

Nicht nur Privatleut­e müssten sich bei Fahrverbot­en an Wochenende­n auf Einschränk­ungen einstellen. An das Straßennet­z sind zahlreiche Branchen gebunden. Teile der Branche reagieren jedoch recht unterschie­dlich. Stefan Genth, Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bandes, bezeichnet­e die Debatte um Fahrverbot­e am Wochenende als Gift für den Einzelhand­el. Frank Huster vom Bundesverb­and Spedition und Logistik zeigt sich verständni­svoller. Durch bereits geltende Sonn- und Feiertagsf­ahrverbote sei die Branche nur unter Umständen an Samstagen negativ betroffen.

 ?? ??
 ?? PA /AP ?? Volker Wissings Ministeriu­m erreicht die Klimaziele nicht.
PA /AP Volker Wissings Ministeriu­m erreicht die Klimaziele nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany