Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Im Kampf gegen das Klischee

Am Staatsthea­ter Meiningen hatte eine neue „Madama Butterfly“von Puccini Premiere

- Joachim Lange

Meiningen. Das Staatsthea­ter Meiningen rückt Puccinis „Madama Butterfly“im vollen musikalisc­hen Ornat auf die Pelle. Wäre der Tenor für die Rolle des nicht sehr sympathisc­hen Pinkerton nicht erkrankt, dann wäre es eine reine Hausbesetz­ung gewesen! Einspringe­r Nenad Čiča sang aber nicht nur (sehr respektabe­l), sondern legte sich mit seiner barbieblon­den Perücke im albern gestreifte­n Anzug auch szenisch nach Kräften ins Zeug.

Nach Japan kommt der bei Hendrik Müller (Regie), Marc Weeger (Bühne) und Katharina Heistinger (Kostüme) aber nicht als Marineoffi­zier übers Meer, sondern schwebt von ganz oben ein. Aus dem All, im Raumanzug. So landet er in der Welt von Cio-Cio San. Ihr Vater musste auf Befehl des Kaisers rituellen Selbstmord begehen, sie muss sich mit Dienerin Suzuki als Geisha durchschla­gen und träumt ihren ganz eigenen, amerikanis­chen Traum. Dass die „Ehe auf Zeit“, bei der jungen Japanerinn­en von einem Kuppler an Amerikaner vermittelt werden, nur eine Form ist, die es ihnen ermöglicht, bei einer Kurzbezieh­ung den Schein von Rest-Anstand zu wahren, will sie nicht sehen. Beim Aufmarsch ihrer Verwandtsc­haft unter Führung ihres Priester-Onkels Bonzo wird klar, dass hier eine überholte Gesellscha­ft selbst verzweifel­t gegen ihren Untergang, sprich ihren Übergang in die Moderne kämpft. Das deutet die Bühne unübersehb­ar an. Ein

Haus mit fernöstlic­her Anmutung, schon fast versunken, mit schräger Dachterras­se. Auf die (wie auf dem Mond) das Sternenban­ner gepflanzt wird. Wirklich erhellend ist das aber nicht.

Ebenso wenig wie die Kostüme, die sich auf halbem Weg zwischen Folklorepa­rodie und Bloßstellu­ng ihrer Träger bewegen. Vom klassische­n Kimonolook mal abgesehen, würde man selbst gegen die bei Dekonstruk­tionen gerne genommene Secondhand Mode in dem Falle mal nichts haben.

Aufkeimend­es Mitgefühl wird veralbert

Überhaupt verfestigt sich der Eindruck, dass die Regie mit der szenischen Brech(t)stange einen Abstand zum Inszenieru­ngsklische­e dieser 1904 uraufgefüh­rten Oper schaffen will. Jedes aufkeimend­e Mitgefühl wird hier gleich im Ansatz so durch Übertreibu­ng veralbert, dass alle für den Notfall mitgeführt­en Taschentüc­her unbenutzt bleiben können. Hier nimmt man sogar den mit großer Geste ausgeführt­en Selbstmord am Ende halt einfach nur zur Kenntnis. So wie den Puppenersa­tz für den gemeinsame­n Sohn von Butterly und Pinkerton, den die Mutter freilich ohne sonderlich­e Skrupel als Waffe im Kampf um die Verwirklic­hung ihrer Lebensplan­ung einsetzt. So selbstbewu­sst und mit vokaler Durchschla­gskraft und stimmliche­r Verve wie Deniz Yetim ihre Cio-Cio Sun ins Turandotfo­rmat aufrüstet, ist sie weniger ein junges Opfer, als vielmehr ein pathologis­cher Fall von Realitätsv­erweigerun­g. Ein etwas schräger, aber durchaus bedenkensw­erter Ansatz.

Zum Glück war mit Tamta Tarielashv­ili eine standfest eloquente Suzuki an ihrer Seite – so wie Johannes Mooser als Konsul (erfolglos) auf seinen Landsmann einwirkte.

Im Graben sorgten Chin-Chao Lin und die Hofkapelle für den Puccinikla­ng, der den Abend immerhin musikalisc­h zum Genuss machte.

Die nächsten Vorstellun­gen: am Freitag, 17. Mai, 19.30 Uhr; Sonntag, 26. Mai, 15 Uhr; Samstag, 8. Juni, 19.30 Uhr; jeweils Großes Haus Staatsthea­ter Meiningen

 ?? CHRISTINA IBERL (2) / STAATSTHEA­TER MEININGEN ?? Szene mit Nenad Cica, Deniz Yetim, Johannes Mooser und Chormitgli­edern in „Madama Butterfly“.
CHRISTINA IBERL (2) / STAATSTHEA­TER MEININGEN Szene mit Nenad Cica, Deniz Yetim, Johannes Mooser und Chormitgli­edern in „Madama Butterfly“.
 ?? ?? Deniz Yetim (vorne) als Cio-Cio San und Tamta Tarielashv­ili als Suzuki.
Deniz Yetim (vorne) als Cio-Cio San und Tamta Tarielashv­ili als Suzuki.

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