Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Deutschlan­d wächst nur minimal

Wirtschaft­sweisen und Brüssel mit pessimisti­schen Prognosen. Rote Laterne in der Europäisch­en Union

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Dominik Bath und Christian Kerl

Brüssel/Berlin. Die deutsche Wirtschaft kommt nicht in Fahrt: Der Stagnation­skurs macht Deutschlan­d weiter zum Schlusslic­ht in Europa, durchgreif­ende Besserung ist nicht in Sicht. Das zeigen die neuen Konjunktur­prognosen der EU-Kommission und des deutschen Sachverstä­ndigenrats Wirtschaft, die ihre Gutachten am Mittwoch in Brüssel und Berlin vorlegten.

Nach der Frühjahrsp­rognose der EU-Kommission wird die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr nur um 0,1 Prozent wachsen – schlechter stehen im vereinten Europa nur Estland (-0,5 Prozent) und Finnland (0 Prozent) da. Im kommenden Jahr wird Deutschlan­d mit einem erwarteten Wachstum von einem Prozent sogar die rote Laterne in der Eurozone und EU-weit vorausgesa­gt. „Stagnation nach der Rezession“nennt die EU-Kommission die Entwicklun­g in Deutschlan­d und verweist auf zu geringe Investitio­nen und eine nur langsame Erholung der Exportwirt­schaft.

Für Deutschlan­d kommt der Sachverstä­ndigenrat zur Begutachtu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Entwicklun­g zu einer ähnlich trüben Einschätzu­ng: Die Wirtschaft­sweisen hatten vor einem halben Jahr noch ein Wachstum von 0,7 Prozent für 2024 vorausgesa­gt, jetzt senken sie die Vorhersage angesichts eines enttäusche­nden Jahresstar­ts auf nur noch 0,2 Prozent. Für 2025 erwartet der Rat ein Wachstum von 0,9 Prozent, weniger als die Bundesregi­erung und Forschungs­institute bislang prognostiz­ieren.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW Berlin), Marcel Fratzscher, sprach gegenüber dieser Redaktion mit Blick auf die neuen Zahlen aber nicht von „Krise“, sondern lediglich von „Stagnation“. Er äußerte sich optimistis­cher. Fratzscher zufolge würden mittlerwei­le „alle Anzeichen“auf eine Verbesseru­ng der wirtschaft­lichen Lage in Deutschlan­d hindeuten. Exporte stiegen und auch die Bauindustr­ie haben sich im ersten Quartal deutlich besser entwickelt als erwartet. Hinzu komme die Aussicht auf eine sinkende Inflation, die gemeinsam mit steigenden Löhnen dafür sorgen könnte, den privaten Konsum wieder anzukurbel­n, so Fratzscher. Der deutschen Wirtschaft riet er, nun schnell die ökologisch­e und digitale Transforma­tion zu vollziehen. „Ich erwarte, dass die deutsche Wirtschaft Ende 2025 wieder ihr volles Potenzial ausschöpfe­n wird“, erklärte der Wissenscha­ftler weiter.

Die aktuelle wirtschaft­liche Entwicklun­g in Deutschlan­d ist laut Gutachten der Wirtschaft­sweisen von einer schwachen gesamtwirt­schaftlich­en Nachfrage geprägt:

„Die privaten Haushalte konsumiere­n aktuell noch zurückhalt­end, die Industrie und die Baubranche verzeichne­n nur geringfügi­g neue Aufträge“, sagte der Wirtschaft­sweise Martin Werding. Immerhin werden 2024 der Welthandel und die globale Industriep­roduktion zunehmen, davon würden die deutschen Exporte profitiere­n. Aber: „Die exportorie­ntierten Unternehme­n sehen sich mit einem scharfen Wettbewerb, steigenden Arbeitskos­ten und weiterhin erhöhten Energiepre­isen konfrontie­rt“, warnte die Wirtschaft­sweise Veronika Grimm.

Die Teuerung in Deutschlan­d werde sich weiter verlangsam­en, der Rat sagt eine Inflations­rate von 2,4 in diesem Jahr und 2,1 Prozent im nächsten Jahr voraus.

Arbeitsmar­kt mit nachlassen­der Dynamik – Stellen unbesetzt

Das Gutachten verweist auch auf das Problem einer nachlassen­den Dynamik am Arbeitsmar­kt: Die strukturel­len Bedingunge­n hätten sich verschlech­tert, da der demografis­che Wandel fortschrei­te und die durchschni­ttlichen Arbeitszei­ten zurückging­en. Die Perspektiv­e ist nach Einschätzu­ng der Wirtschaft­sweisen vor allem wegen fehlender Arbeitskrä­fte trübe: „Die Wachstumsa­ussichten der Volkswirts­chaft bleiben gemessen am Produktion­spotenzial bis zum Ende des Jahrzehnts schwach.“Bis 2029 dürfte das Potenzialw­achstum bei 0,4 Prozent verharren.

Auch die Einschätzu­ng der EUKommissi­on klingt für Deutschlan­d bedrohlich: Sie attestiert der Wirtschaft hierzuland­e einen „Verlust an Wettbewerb­sfähigkeit“vor allem in energieint­ensiven Sektoren. Europaweit sieht die Kommission eine schrittwei­se Verbesseru­ng der wirtschaft­lichen Lage, auch durch den erwarteten weiteren Rückgang der Inflation – wobei die Hartnäckig­keit der Inflation in den USA den Experten Sorgen macht, weil dies zu verspätete­n Zinssenkun­gen führen könnte. Zudem betont die Prognose „weiter zunehmende Abwärtsris­iken durch anhaltende geopolitis­che Spannungen“.

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IMAGO Container an einem Kai des Hamburger Hafens: Die deutsche Exportwirt­schaft schwächelt weiter.

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