„Der Ton im Landtag ist rauer geworden“
Der Thüringer Landtagspräsident Christian Carius wirbt für mehr Dialog im Parlament – aber vor allem mit den Bürgern
Es ist Tradition: Wie immer im Spätfrühling lädt der Landtag am 11. Juni zum Tag der offenen Tür. Premiere hat jedoch die Veranstaltung „Landtag im Dialog“. Wir sprachen mit dem Parlamentspräsidenten darüber.
Herr Carius, Sie haben das Forum „Landtag im Dialog“gestartet: Sollte dieser Dialog nicht der Normalzustand sein? Das ist der Normalzustand. Der Landtag ist offen und transparent. In der Vergangenheit haben uns jährlich rund 15 000 Bürger besucht und dieses Jahr erwarten wir so viele Besucher wie noch nie. Mit unserem neuen Format „Landtag im Dialog“wollen wir den Kontakt zu den Bürgern noch stärker machen. Wir wollen den Dialog vor Ort, damit Bürger und Abgeordnete über aktuelle Themen ins Gespräch kommen.
Wie erklären Sie sich, dass viele Bürger die Politik als Establishment begreifen? Es gibt Entwicklungen, die mir Sorgen machen. Einer aktuellen Forsa-umfrage zufolge glauben 65 Prozent der Deutschen, die Politik höre der Bevölkerung nicht mehr zu. Das ist natürlich ein Alarmsignal. Es hat sicherlich damit zu tun, dass politische Themen oft kompliziert klingen und Politiker nicht immer verständlich sprechen. Politik so zu vermitteln, dass die Bürger es verstehen, ist eine ständige Herausforderung. Aber Politik ist kein Elitenklub. Jeder Bürger kann sich politisch engagieren und für politische Ämter kandidieren. Mitmachen kann man nicht nur in Parteien, sondern auch auf kommunaler Ebene, in Bürgerbewegungen oder in den sozialen Netzwerken. Ich werbe dafür, dass sich die Thüringer noch stärker in unser Gemeinwesen einbringen.
Wie sollen Politiker mit dem Menschen ins Gespräch kommen, wenn Sie nicht einmal untereinander einen vernünftigen Dialog führen können? Oder hat die Debattenkultur im Landtag nicht gelitten? Wir haben fünf Fraktionen im Thüringer Landtag, die unterschiedliche politische Ziele verfolgen. Diese Unterschiede prallen immer wieder auch rhetorisch aufeinander. Doch das gehört zum Parlament, dafür ist die Debatte der richtige Ort. Leider ist aber der Ton in den letzten Monaten – nicht nur im Landtag – lauter und auch rauer geworden. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn sich Abgeordnete im Landtag oder auch außerhalb beschimpfen oder beleidigen. Diese Entwicklung sehe ich wie die Mehrheit meiner Kollegen mit Sorge. Aber man muss auch festhalten: Die überwiegende Mehrheit der Parlamentarier pflegt in der politischen Auseinandersetzung eine angemessene Debattenkultur und kommt mit den Menschen ganz problemlos ins Gespräch.
Die Debatten werde ins Netz übertragen: Wie hoch ist da eigentlich das Interesse? Wir haben in jeder Landtagssitzung mehrere Hundert Besucher auf der Tribüne. Etwas weniger verfolgen die Debatte per Videostream. Aber bei besonderen Ereignissen hatten wir auch schon über tausend Zuschauer. Am wichtigsten für die Wahrnehmung der Landtagsarbeit sind und bleiben deshalb die Medien. Wir brauchen Zeitungen, Radio und Fernsehen, die über die Arbeit der Abgeordneten berichten, und zwar nicht nur dann, wenn es im Plenum hoch her ging. Zudem geben wir 10mal im Jahr den Landtagskurier in einer Printauflage von 1500 Exemplaren heraus.
Es werden ja auch Gesetzentwürfe online diskutiert. Wie stark ist da die Beteiligung? Da gibt es sehr große Unterschiede. Bei den aktuell diskutierten Gesetzesentwürfen liegt die Zahl der Beiträge zwischen 7 und 33. Spitzenreiter ist bisher das Forum über die Abschaffung des Landeserziehungsgeldes mit über 130 Beiträgen und 578 Bewertungen. Ich finde es wichtig, dass die Bürger sich in aktuelle Debatten direkt einschalten. Am 11. Juni ist Tag der offenen Tür: Müsste der nicht jeden Tag im Jahr sein? Im Prinzip ist das doch auch so. Der Landtag ist nur an Feiertagen geschlossen. Tausende Besucher kommen zu den Veranstaltungen des Parlaments, der Fraktionen, der Beauftragten. Auch parlamentarische Abende oder Ausstellungen bieten immer wieder Gelegenheit zum Austausch. Aber der Tag der offenen Tür ist eben etwas Besonders, denn an diesem Tag kann man hinter die Kulissen schauen und Fragen direkt mit den Abgeordneten diskutieren. Außerdem werden wir Diskussionsrunden veranstalten und ausführlich über die Arbeit des Parlaments informieren. Deshalb freue ich mich schon darauf, am 11. Juni wieder viele Menschen im Thüringer Landtag begrüßen zu dürfen. Am Tag der offenen Tür sind wir ein Parlament zum Anfassen.