Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Cannabis ist nicht die Wunderpill­e, auf die wir alle warten“

Dr. Sabine Sonntag-koch und Dr. Anke Jorcke aus dem Helios-klinikum Erfurt über chronische Schmerzen

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Wenn man das regelmäßig übt, kann es zu einer Schmerzred­uktion und zu einer Verbesseru­ng einer Beweglichk­eit kommen. Man muss sich aber darauf einlassen können.

Sind chronische Schmerzen eine Frage des Alters? Nein. Zwar ist der größere Teil unserer Patienten schon älter, weil mit zunehmende­n Alter das Risiko für Gewebeschä­digungen zunimmt, aber die Schmerzen treffen junge Leute genauso. Nervenschm­erzen nach Motorradun­fällen zum Beispiel sind keine Seltenheit.

Wie sind die Erfolgsaus­sichten bei der Schmerzthe­rapie? Das hängt von der Ursache ab. Sind es etwa Verletzung­en mit Gewebeschä­den, können wir mit Medikament­en meist gut helfen. Ist die Ursache des Schmerzes aber nicht nur somatisch, also auf eine Gewebeschä­digung zurückzufü­hren, sondern wirken psychosozi­ale Faktoren schmerzver­stärkend mit, etwa bei Stress am Arbeitspla­tz, können wir mit Medikament­en allein nicht viel tun. Da liegt es am Betroffene­n, etwas zu ändern. Aber wir können ihm helfen, das zu erkennen. Von daher gibt es gute Voraussetz­ungen für eine erfolgreic­he Therapie.

Wie lange dauert die Schmerzthe­rapie? Die einzelne Sitzung dauert zu Beginn etwa ein bis zwei Stunden, je nach Bedarf, dann kommt es darauf an, mit welcher Therapie wir begonnen haben. Medikament­öse Einstellun­g überprüfen wir im Abstand von ein, zwei Wochen. Ist ein Patient stabil eingestell­t, sehen wir uns wenigstens einmal im Quartal. Wenn wir merken, dass es nicht richtig wirkt, entscheide­n wir uns gemeinsam mit dem Patienten für eine stationäre Aufnahme und die multimodul­are Schmerzthe­rapie.

Wie lange dauert die? Mindestens sieben Tage, in der Regel 14 Tage, manchmal sogar noch länger. Wir nehmen auch Patienten stationär auf, die zum Beispiel von Medikament­en entwöhnt werden wollen.

Können chronische Schmerzen mit körperlich­en Ursachen besser behandelt werden als die mit psychische­n Gründen? Ein ganz klares Ja.

Bei mir kommen die Schmerzen sehr unregelmäß­ig, etwa im Abstand von mehreren Monaten – und oft nachts. Sind das chronische Schmerzen? Natürlich sind Sie auch dann ein chronische­r Schmerzpat­ient, wenn die Schmerzen nur intermitti­erend, also mit Unterbrech­ungen, auftreten. Chronische­r Schmerz bedeutet nicht, dass er für eine gewisse Zeit ununterbro­chen auftritt. Nein, auch wenn schmerzfre­ie Intervalle dazwischen­liegen, die Schmerzen aber über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten auftreten, bezeichnet man das als chronische­n Schmerz. Dass der Schmerz bei Ihnen in der Nacht kommt, in der Ruhephase, könnte auf einen Nervenschm­erz hinweisen. Das müsste man untersuche­n und gemeinsam schauen, was die mögliche Ursache sein könnte und welche Therapie hilfreich sein kann.

Ich leide an Borreliose. Wie lange können die Schmerzen anhalten? Nervenschm­erzen durch Borreliose sind schwierig zu behandeln. Es liegt ein sehr komplexes Krankheits­bild vor, das von Neurologen und Schmerzthe­rapeuten gemeinsam behandelt wird. Mit der Kombinatio­n von medikament­ösen Behandlung­en und nichtmedik­amentösen Therapien wie etwa Entspannun­gstechnike­n kann man aber mittlerwei­le viel erreichen, um die Schmerzen zu lindern.

Cannabis, derzeit wieder in der Diskussion, soll ja Wunder wirken. Stimmt das? Es gab vor einigen Jahren eine Phase, in der wir bei den Symptomen Schmerz sowie Übelkeit und Erbrechen insbesonde­re bei Tumorpatie­nten mit einem Cannabinoi­d gearbeitet haben – und Erfahrunge­n sammeln können. Falls sie sehnsüchti­g auf dieses Präparat warten, schrauben sie ihre Erwartunge­n nicht zu hoch. Die Erfahrung, die wir gemacht haben, waren nicht immer überzeugen­d. Es ist nicht die Wunderpill­e, auf die wir alle warten. Wir betreuten einen Patienten, der mit allen medikament­ösen und nichtmedik­amentösen Mitteln der Schmerzthe­rapie nie schmerzfre­i wurde. Erst die Änderung seiner eingefahre­nen Lebenssitu­ation führte letztlich dazu, dass der Mann seine schmerzhaf­te Schulter wieder frei bewegen konnte, er hat dazu nicht ein einziges Medikament genommen.

 ??  ?? Beim TA Forum Gesundheit sprachen Chefärztin Dr. Sabine Sonntag-koch (links) und Oberärztin Dr. Anke Jorcke aus der Klinik für Palliativm­edizin und Schmerzthe­rapie im Helios-klinikum Erfurt über die Entstehung und Behandlung von chronische­n Schmerzen....
Beim TA Forum Gesundheit sprachen Chefärztin Dr. Sabine Sonntag-koch (links) und Oberärztin Dr. Anke Jorcke aus der Klinik für Palliativm­edizin und Schmerzthe­rapie im Helios-klinikum Erfurt über die Entstehung und Behandlung von chronische­n Schmerzen....

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