Wie Otto Dix das Trauma der Kriegsgefangenschaft verarbeitete
In Colmar war der Maler 1945/46 in Haft. Im Herbst wird der Thüringer hier mit einer großen Ausstellung geehrt
Gera. Drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs malte Otto Dix einen Christus, der gemartert und gedemütigt wird. Sein Rücken ist mit Striemen übersät. Ein Mann in Häftlingskleidung schwingt die Peitsche.
Das Bild erzählt ein Erlebnis Dix‘ aus der Zeit seiner Kriegsgefangenschaft im elsässischen Colmar. Einer der Inhaftierten hatte Brot gestohlen und musste daraufhin zum Spießrutenlauf antreten. Die anderen Gefangenen prügelten beim Appell solange auf ihn ein, bis er in seinem Blut zu liegen kam.
Jetzt kehrt Dix posthum an den Ort des Leidens zurück. Das „Musée Unterlinden“widmet dem 1891 in Gera geborenen Künstler eine Ausstellung. Über 100 Werke versammelt die Schau. Sie werden von 44 Leihgebern aus Europa und den USA bereitgestellt. Immerhin 10 Bilder stammen aus den Geraer Kunstsammlungen.
Im Fokus der Ausstellung steht nicht allein Dix‘ Gefangenschaft, sondern zugleich der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald. Der als ein Hauptwerk der Renaissance geltende Altar gehört ohnehin zur Sammlung des Museums – und er war für den Expressionisten Dix bereits lange vor seiner Kriegsgefangenschaft eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration.
Bis heute ist unklar, wann Dix den Isenheimer Altar erstmals gesehen hat. Unzweifelhaft fest steht: Bereits vor dem 1. Weltkrieg zitierte er Motive dieses Altars. Spätestens als Dix den Ersten Weltkrieg im Gemälde der „Der Schützengraben“und im Triptychon „Der Krieg“verarbeitete, nannte man ihn den neuen Grünewald.
Die Begeisterung für diesen Altar hat ihn zeitlebens nicht losgelassen. „Es ist kaum möglich für mich, über Grünewaldeinflüsse hinauszukommen“, räumte Dix 1943 ein. Zwei Jahre darauf schrieb er aus der Gefangenschaft: „Den Isenheimer Altar sah ich 2x, ein gewaltiges Werk von unerhörter Kühnheit und Freiheit abseits aller Komposition oder Konstruktion, und unerklärlich geheimnisvoll in seinen Zusammenhängen.“Für die 60er Jahre ist verbürgt, dass Dix eine Detailaufnahme des Altars in seinem Atelier aufgehängt hatte.
Dix war in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs zum Volkssturm eingezogen worden – im Alter von 54. Später wird er darüber schreiben: „Nachdem die Schweine mich 12 Jahre nicht ausstellen ließen und mich zuletzt noch an Stelle eines hiesigen Saubauern, der den Ortsgruppenleiter mit Speck bestochen hatte, ins Feld schickten, war ich ein Jahr in französischer Gefangenschaft“. Er kam ins Lager von Colmar. Bis zu 6000 Häftlinge lebten hier; es fehlte an allem, vor allem an Essen. Jeden Tag gab es Tote.
In seinen Briefen deutete er die teils schrecklichen Zustände im Lager nur an. „Freiheitsberaubung ist das Schlimmste, was ich kenne.“
Dabei hatte Otto Dix noch Glück. Nach kurzer Zeit im Lager wurde er von den Franzosen als berühmter Maler erkannt und durfte als Künstler arbeiten. Sogar Freigang in ziviler Kleidung wurde im gewährt.
Einer seiner ersten Aufträge: Er soll ein Bild zeichnen, dass die Zustände im Lager darstellt. Diese Zeichnung will der Kommandant ans Rote Kreuz in Genf schicken, um so die Bitte um regelmäßige Lebensmittellieferungen zu bekräftigen. Ob es diese Zeichnung noch immer gibt, ist unklar. Die Geschichte ist nur mündlich überliefert.
Damalige Zeitgenossen beschreiben Dix als wortkarg, teils als verschlossen. Die Tochter eines Colmarer Malers, in dessen Atelier der Gefangene arbeitete, nannte ihn rückblickend ein Raubein. Allerdings hielt sie ebenso fest, Dix sei „ein kultivierter Mensch, der gerne gut aß, gern Wein trank und rauchte“.
Zahlreiche Bilder entstanden in der bis Februar 1946 währenden Gefangenschaft. Landschaften gehören dazu, vor allem aber das Triptychon „Madonna vor Stacheldraht und Trümmern“. Ursprünglich war dieses Werk für die Lagerkappelle gedacht; es gelangte in die private Sammlung des Lagerkommandanten. 1987 wurde das Triptychon versteigert. Seitdem ist es in einer Berliner Kirche zu sehen.
Zurück aus der Gefangenschaft, malte Dix weitere Bilder, die das Grauen des Lagers widerspiegeln. Dazu gehören „Hiob“und „Drei Kriegsgefangene“. Beide Gemälde befinden sich in den Kunstsammlungen Gera und werden jetzt nach Colmar verliehen.
Vier Jahre vor seinem Tod (1969) gab Otto Dix zu Protokoll: „Alles, was man malt, ist Selbstdarstellung.“
Knapper und präziser kann man sein Credo kaum fassen.
„Die Schweine schickten mich ins Feld...“
Die Ausstellung „Otto Dix – Isenheimer Altar“ist in Colmar vom . Oktober bis . Januar zu sehen.
!