Lohnfrage war wichtiger als die Wahlagitation
Das Volkseigene Gut von Uelleben kämpfte für Frieden und höhere Hektarerträge
Uelleben. „Das Volksgut Uelleben ist ein volkseigener Betrieb und befindet sich im Besitz des gesamten werktätigen Volkes. Die Erzeugung des Betriebes dient dem Aufbau einer unabhängigen deutschen Friedenswirtschaft und der Verbesserung des Lebensstandards des werktätigen Volkes“, hieß es in der Präambel des Betriebsvertrages des Volkseigenen Gutes (VEG) Uelleben. Daraus würden sich eine Reihe von Verpflichtungen für die Betriebsleitung und die Belegschaft ergeben, hieß es weiter. Ziel sei die Übererfüllung des Wirtschaftsplanes, die Steigerung der Arbeitsproduktivität, die Senkung der Selbstkosten und die Hebung der Rentabilität. Eine weitere Floskel: „Betriebsleitung und Belegschaft haben gemeinsame Interessen und arbeiten aufs engste an der Entwicklung des Betriebes zusammen, da in einem volkseigenen Betrieb die Gegensätze, wie sie zwischen privat-kapitalistischen Unternehmen und den Belegschaften bestehen, nicht vorhanden sind.“
Das Volksgut Uelleben ging hervor aus dem ehemaligen Rittergut der Familie Troch. Im September 1945 wurde die Familie enteignet und verließ den Ort. Bei der dann folgenden Bodenreform waren nur rund 25 Hektar Land, zwei Gutshäuser, zwei Pferde, vier Kühe und zwanzig Hühner ausgegliedert und an Neubauern vergeben worden. Alle anderen Ländereien und den Restviehbestand übernahm das neu entstandene Lehr- und Saatzuchtgut, dem Landwirtschaftsamt des Kreises unterstehend. Bis zum Jahre 1948 gab es das Schulgut, es wurde später dem bis 1954 existierenden Volksgut Uelleben angegliedert.
Eine Betriebsanalyse vom August 1950 besagte, dass das Gut bei der Produktionssteigerung gut entwickelt sei. Vieh und Stallungen wären in einem sauberen und gepflegten Zustand, lautete das Ergebnis der Betriebskontrolle. Leider, so beklagten die Kontrolleure, würde es zur Rentabilität keine klaren Übersichten geben. Als Ursache sahen sie, dass der 65 Jahre alte Buchhalter keine ordentliche Qualifikation nachweisen konnte.
Auf kulturellem und gewerkschaftlichem Gebiet galt die Belegschaft als fortschrittlich. Kulturveranstaltungen und größere Versammlungen der Belegschaft wurden damals gemeinsam mit anderen Landarbeitern des Dorfes durchgeführt. Im Gut gab es einen Belegschaftsraum sowie eine Berufsschule, in der 92 Schüler unterrichtet wurden. Sie stammten aus sechs Ortschaften des Gothaer Landes. Diese Berufsschule hatte ihren Ursprung in der Ausbildungsstätte des ehemaligen Rittergutbesitzers Troch, dem „Lehrgut der Landwirtschaftsschule des Kreises Gotha“. Eine Betriebsküche zählte ebenso zu den „Errungenschaften der neuen Zeit“.
In einem Rechenschaftsbericht zu den kultur- und gewerkschaftlichen Aufgaben des Volksgutes Uelleben hieß es im Jahre 1950, dass der monatliche Gewerkschaftstag mit einer Beteiligung von sechzig Prozent durchgeführt wurde, die Belegschaft zu einhundert Prozent gewerkschaftlich organisiert sei, die Betriebsgruppe der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) aus elf Mitgliedern bestehe, in der Deutsch-sowjetischen Freundschaft (DSF) 29 Belegschaftsmitglieder organisiert seien und sechs Mitarbeiter eine Gewerkschaftsschule sowie zwei Genossen die Kreisparteischule besuchten.
In einer späteren Gewerkschaftsversammlung hielt Kulturleiter Wolf ein Referat über die Vorbereitungen der Nationalen Front zur kommenden Wahl. Er wies besonders darauf hin, dass die Aufklärungs- und Agitationsgruppen verstärkt die Massen ansprechen sollten. In der anschließenden Diskussion gab es zu diesem Thema keine Wortmeldungen, hielt das Protokoll fest. Wichtiger erschien den Leuten die Lohnfrage zu sein. Dazu gab es nur eine lapidare Erklärung, dass in Kürze eine Anweisung über die Neueinstufungen der Lohngruppen erfolgen werde – eine Diskussion dazu wurde nicht zugelassen.
Die neuen Verpflegungssätze für Fleisch und Fett wurden jedoch bekannt gegeben. Auch ein wichtiges Thema für die Leute, denn sie bekamen Vollverpflegung im Gut, war es doch noch die Zeit der Lebensmittelkarten. Diese sind erst 1958 abgeschafft worden. Auch über die Vorbereitungen des bevorstehenden Erntefestes diskutierte man. Der Kulturleiter verlas das Programm und bestimmte Kollegen, die für die Verpflegung, Ausschmückung und die künstlerische Umrahmung verantwortlich sein sollten.
Ein besonderes Glückwunschschreiben des VEG hat der 2001 verstorbene Uelleber Ortschronist Günter Baumbach archiviert. Das Schreiben war adressiert an die Tageszeitung „Das Volk“in Gotha. In dem Schreiben vom 3. Januar 1951 gratulierte die Belegschaft, vor allem die Betriebsgruppe der Freien Deutschen Jugend (FDJ), dem damaligen Staatspräsidenten Wilhelm Pieck zum 75. Geburtstag: „Ihr heutiger Geburtstag ist verbunden mit dem Beginnen eines neuen Jahres und dem Anlauf des Fünfjahrplanes.“Die Belegschaft verpflichtete sich in dem Schreiben, wie damals üblich, den verstärkten Kampf um den Frieden weiterzuführen, Qualitätsarbeit zu leisten, das neue Bewusstsein zu festigen, Jugendliche zu qualifizierten Fachkräften zu erziehen und sie mit der neuen Ordnung unserer Wirtschaftsführung vertraut zu machen.
Höhere Hektarerträge wollte man mit der Bildung von „Mitschurin“-zirkeln erreichen. Iwan Wladimirowitsch Mitschurin (1855-1935) war ein russischer Botaniker und Pflanzenzüchter. Seine Ansichten wurden zur Grundlage der offiziellen Parteilehre und waren für die Sowjetunion verbindlich. Er hatte allerlei Pflanzen gekreuzt, so Kürbis und Melone, Himbeere und Erdbeere sowie Mandel und Pfirsich. Die Natur sollte sich ihm fügen. Auf der Grundlage von Mitschurins Ideen entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg in den meisten Ostblockstaaten Schulen und wissenschaftliche Einrichtungen, die seine Methoden weiterentwickeln und lehren sollten. Seine Botanik wurde kurzerhand zur Parteisache, Staatsdoktrin und Ideologie erklärt. Alles in der Hoffnung, dass man mit Mitschurin, dem großen sowjetischen Heilsbringer, die Versorgung mit Obst und Gemüse wesentlich verbessern könnte.
In der DDR brachte die „Mitschurinbewegung“besondere Blüten hervor. Eine Zeitschrift mit seinem Namen sollte den hiesigen Landwirten seine Ideen und Methoden näher bringen. Ab 1960 nannte sich das Blatt dann „Wissenschaftlich-technischer Fortschritt in der Landwirtschaft“. „Mitschurin hat festgestellt, dass Marmelade Fett enthält, drum essen wir auf jeder Reise Marmelade eimerweise“, so hieß es in einem Lied, das einst in den Ferienlagern der DDR gesungen wurde. Damals gab es für die Gemeinschaftsverpflegung Vierfruchtmarmelade in Pappeimern.
92 Schüler lernten an der Berufsschule
Glückwunsch im „Volk“an Wilhelm Pieck
Mitschurin war nach Stalins Tod in Ungnade gefallen. Später wollte man ihn und die Bewegung einfach nur vergessen, so wie die vielen anderen Methoden, Initiativen und Bewegungen, die aus der Sowjetunion kamen. Alle sind letztendlich im Laufe der Zeit verblasst, weil sie für die DDR und ihre Bürger nicht taugten.
Im Juni 1951 flatterte ein Schreiben der Vereinigung Volkseigener Güter (VVG) Erfurt auf den Schreibtisch der Veg-leitung. Darin hieß es, man solle doch ein Treffen aller Traktoristen des Kreises organisieren, damit ein Erfahrungsaustausch für die kommende Ernte zustande käme. Diese Zusammenkunft sollte im Kultursaal des VEG Sundhausen stattfinden. Für die Tagesordnung hatte man verschiedene Themen ausgesucht, wie „Tausenderbewegung“, „100-Hektar-bewegung“, Kopplung von Geräten oder die Verbrauchsermittlung. Für die Brigadiere standen Themen wie Erstellung der Feldbaubrigaden, Arbeitsgruppen oder Produktionsplan an.
Zu einem Eklat kam es im Sommer 1952, ein Zeichen dafür, dass die Nerven in jener Zeit der Kollektivierung in der Landwirtschaft blank lagen: In einem vom Gut verfassten Schreiben an den Polizeirat Keiner, Volkspolizei-bereitschaft Gotha, wurde der Polizeimeister Lawitschka aus Uelleben der Falschaussage bezichtigt. Er hatte vor einer Sitzung des Wohnungsausschusses der Gemeinde behauptet, dass das Vieh des Volksgutes am Verhungern sei, der Durchgang durch die Engengasse mit Lebensgefahr verbunden, da die Ziegeln des Daches lose und das Gut, seitdem es volkseigen ist, vollkommen heruntergewirtschaftet wäre. Der Polizist wollte diese Äußerungen aus der Unterhaltung einiger Betriebsangehöriger des Gutes anlässlich eines Renntages auf dem Boxberg gehört haben. Nach einer Gegenüberstellung der verdächtigten Betriebsangehörigen mit Lawitschka, konnte jedoch nicht herausgefunden werden, welche der Belegschaftsmitglieder diese Äußerungen getan haben sollen. Fritz Lösel, damaliger Bürgermeister der Gemeinde Uelleben, hatte sich dann persönlich davon überzeugt, dass an diesen Gerüchten nichts dran war.
Polizist sorgt für einen Eklat
Aus dem Rittergut wurde schließlich eine LPG
Am 21. Juni 1952 kam es zu einer außerordentlichen Belegschaftsversammlung. Bgl-vorsitzender Walter Köhler leitete die Versammlung. Inzwischen hatte sich der Bürgermeister nochmals davon überzeugt, dass das Vieh in bester Verfassung war, während der Polizist versuchte, sich herauszureden, alles nicht so gemeint habe. „Ein Volkspolizist sollte sich hüten, ein solches Gerede zu verbreiten“, so der Konsens der Anwesenden. „Belegschaft und Partei sind die Blamierten.“Der Bürgermeister erklärte, dass er von einem Volkspolizisten in dieser Stellung etwas anderes erwartet hätte. Er sah das alles als vom RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) inszeniert an. Er galt bei den Genossen als größter Hetzsender. Der Bürgermeister forderte für den Polizisten die strengste Bestrafung. „Einer, der dermaßen große Fehler macht, ist es nicht wert Polizeimeister zu sein.“Der Polizist versuchte nochmals sich zu entschuldigen und erklärte, dass er doch auch Mitglied der SED und FDJ sei, wurde jedoch aus dem Staatsdienst entfernt.
Von 1954 bis 1965 gehörte der Uelleber Betrieb zum Staatsgut Sundhausen: „VEG Saatzucht Sundhausen, Betriebsteil Uelleben“. Im Jahre 1966 wurde das ehemalige Rittergut, das bereits seit dem Mittelalter bestand, ausgegliedert. Die „LPG Fortschritt Uelleben“entstand daraus. Nach der politischen Wende ist der Besitz wieder privatisiert worden.