Cäsaren und Zäsuren
Wenn auch nur wenige Menschen Cäsaren sind, so steht doch jeder einmal an seinem Rubikon. Heißt: vor einer unwiderruflichen, riskanten Entscheidung. Einer Zäsur.
Karl Christian Ernst von Bentzel-sternau, der dies feststellte, war kein Sportler. Sondern Schriftsteller sowie Staatsmann – und in dieser Funktion vor 220 Jahren kurmainzischer Regierungsrat in Erfurt. Er sinnierte augenzwinkernd über Situationen, in denen sich – von niemandem geahnt und so richtig gewollt – alles zuspitzt. In der Liebe, im Beruf, im Staat. Über Phasen, in denen Menschen dem Irrglauben aufsitzen, dass die Zeit auf Stand by steht, solange sie keine Entscheidung treffen.
Samstag, 17 Uhr, Abbe-sportfeld: In Jena, wo Bentzel-sternau dereinst oft zu Gast war, fällt heute die Landespokalentscheidung, die mancher Fan wichtiger erachtet als Probleme in seiner Familie zu lösen – auch wenn nur viertklassige (Jena) und drittklassige Fußballer (Erfurt) aufeinanderprallen.
Faszinosum Derby, überreich an Episoden: Als zum Beispiel die Rot-weißreserve 2005 im Finale die hoch favorisierte Zeiss-elf spätabends in Gera im Duell vom Punkt bezwang. Jenas unwirklicher 5:0-Triumph 2014! Oder als sich 2006 Rot-weiß-kapitän Ronny Hebestreit – einem Cäsar gleich – entschied, Jenas „Brutus“Torsten Ziegner zwei Sekunden nach Anpfiff umzugrätschen, um ein rustikales Zeichen zu setzen. Zeiss gewann dennoch 1:0. . .
Meist spiegelten die Resultate nicht die Saison wider. Aber es ist eben der Tag X, der Rubikon. Es geht um das (oft schon kurz danach) trügerische Gefühl, die Nummer eins im Land zu sein. Und vor allem um die Chance, den Verein finanziell zu sanieren und ohne Unruhe die nächste Saison vorzubereiten. Sowie die Fans für manch Gegurke zuvor zu versöhnen.
Eine Zäsur anderer Art erlebte Mesut Özil. Unmittelbar vor dem Emtrainingslager unternahm der Nationalspieler
Entschieden hat sich Roman Neustädter. Der Schalker besitzt nun den russischen Pass und steht im Em-aufgebot der „Sbornaja“. Denkwürdiger Werdegang des 28-Jährigen: In der Ukraine geboren, Aussiedlerkind, Vater Peter spielte für Chemnitz, der Sohnemann 2012 und 2013 zweimal in der DFB-ELF. Schade drum! Der 1,90 Meter große Verteidiger hätte vielleicht
Apropos: Diego Maradona besinnt sich mal wieder seiner politisch linken Gesinnung und betreibt Wahlkampf. Die „Hand Gottes“, guter Freund von Kubas Revolutionsführer Fidel Castro, unterstützt eine mögliche Kandidatur vom Politiker Inazio Lula da Silva als Präsident im kriselnden Brasilien und solidarisiert sich mit der wankenden Dilma Rousseff. „Ich bin ein Soldat Lulas und Dilmas“, postete der Fußball-star bei Facebook. Dazu ein Foto von sich im Trikot des Erzrivalen Brasilien. Wenn er damit für die argentinischen Anhänger nicht mal eine rote Linie überschritten hat.
Auch Bundesligist Hertha BSC rüttelt an den Grenzen: Von Bescheidenheit ist bei den Berlinern neuerdings nichts mehr zu spüren. Geschäftsführer Michael Preetz kündigte an: Der Etat steigt erstmals auf über 100 Millionen Euro, um 14 „Mille“im Vergleich zum Vorjahr. Vorbei die Zeit, als sich der Club am Hauptstadt-slogan „Arm, aber sexy“orientierte. Als er mühevoll, aber sympathisch, Schuldenberge abtrug, die Dieter Hoeneß & Co. angehäuft hatten.
Der Verein will und muss reagieren. Der verpasste direkte Europa-leagueplatz nagt. Und mit den Sachsen von RB Leipzig spüren die Berliner, endlich mal, erstklassige Konkurrenz aus dem Osten im Nacken.
Doch egal wie man den neuen Hertha-kurs bewertet und ob ein Rückfall in die Ära der Verschwendungssucht droht – es gilt immer noch die Weisheit aus Cäsars Zeiten: Die schlimmste Entscheidung ist, keine zu treffen.