Das Vermächtnis des Ernst Sorge
Anfang der 30er-jahre gehörte der in Vieselbach geborene Eisforscher Ernst Sorge zur legendären Grönland-expedition, deren Leiter Alfred Wegener dabei allerdings den Tod fand. Bis heute verwalten Sorges Nachfahren Teile des Nachlasses ihres Vaters, der na
1954 schreibt die Witwe von Ernst Sorge einen Brief an den Drei Masken Verlag in München. Im November des Vorjahres war dort das Buch „Mit Flugzeug, Faltboot und Filmkamera in den Eisfjorden Grönlands“erschienen. Der Grönlandforscher Sorge beschreibt dort seine Erlebnisse mit den Expeditionskollegen Knut Rasmussen und Ernst Udet.
Da darüber hinaus auch noch eine englische Übersetzung bei Hurst & Blackett erschienen sei, fragt Sorges Witwe an, ob man wohl dafür noch Anspruch auf eine Vergütung habe?
Der Brief ist Teil des Nachlasses von Ernst Sorge, den seine Tochter Astrid mit ihrem Mann Uwe de Boer in Berlin verwaltet. Schon kurz nach Ernst Sorges Geburt waren seine Eltern mit ihm nach Berlin umgezogene, wo er Abitur machte, seine akademische Laufbahn begann und 1930 die Berlinerin Gerda Ulke heiratete. Mit ihr hatte er vier Kinder, von denen die beiden Töchter noch leben.
1954 aber ist nichts mehr so wie eswar. 1943 waren Gerda Sorge und die Kinder zu einer Freundin nach Langewiesen in Thüringen evakuiert worden.
Sorge, der in Norwegen von Briten gefangen genommen wurde, ließ sich 1945 dorthin entlassen. In Arnstadt hatte er kurze Zeit in seinem ursprünglichen Beruf als Lehrer gearbeitet, ehe man ihn im Zuge von Entnazifizierungsmaßnahmen entließ. Danach versuchte er noch, seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Spielzeug auf den umliegenden Dörfern zu bestreiten. Bereits im April 1946 starb er allerdings an Tuberkulose.
Seitdem war Gerda Sorge mit den Kindern allein gewesen. Schon damals begann die Witwe, die ihren Mann in den 30erjahren auf mehreren seiner Reisen nach Grönland und Spitzbergen begleitet hatte, mit der Bewahrung von Sorges Vermächtnis. Sie habe seit 1950 als Mitglied des Kulturbundes in Thüringen, Sachsen, Sachsenanhalt und Mecklenburg etwa 500 Film- und Lichtbildervorträge über die Polarexpeditionen gehalten, erzählt Uwe de Boer.
Erst im April 1954 zogen die Sorges zurück nach Berlin um – als Flüchtlinge, wie Ehefrau Gerda in ihrem Brief an den Drei Masken Verlag schreibt.
Vieles von dem, was Ernst Sorge hinterließ, hat heute einen festen Platz beim Alfred-wegener-institut für Polar- und Meeresforschung in Bremen. Dass sich darüber hinaus große Teile von Sorges Nachlass noch heute bei der Familie befinden, läge vor allem an der Nordlandbegeisterung seiner Schwiegermutter, sagt Uwe de Boer. Bis zu ihrem Tod habe sie Kontakt zu alten Forscherkollegen bzw. zu deren Nachfahren gehalten. Zum 50. Jahrestag der Wegenerexpedition wurde auch auf ihre Initiative hin in Uummanaq auf Grönland eine Gedenktafel für die Expedition angebracht.
Im Besitz der Angehörigen befinden sich beispielsweise Abschriften der kompletten Tagebücher sowohl von Ernst Sorge als auch von dessen Expeditionskollegen Fritz Loewe. Allein Sorges mit Schreibmaschine abgetippte Aufzeichnungen füllen einen ganzen Ordner.
Bedeutsam sind diese Aufzeichnungen nicht zuletzt deshalb, weil der wichtige Teil der Expeditionstagebücher von Alfred Wegener, in denen sich dieser auch über die ungeplante Überwinterung in „Eismitte“ausgelassen haben dürfte, mit dem Tode Wegeners verloren ging.
Uwe de Boer hat Sorges Notizen genau gelesen. So lasse sich der Polarforscher dort über die knappen Lebensmittel- und Petroleumvorräte aus. Im Zusammenhang damit gebe es aus dieser Zeit auch einen Brief Sorges mit verhängnisvoller Wirkung. Sorge schrieb nämlich, dass man, sofern kein Nachschub komme, die Expedition abbrechen und die Hilfsstation „Eismitte“verlassen werde.
De Boer vermutet, dass dies mit dazu führte, dass Wegener sich Ende 1930 noch einmal auf den Weg nach „Eismitte“machte. Dort habe er am 1. November 1930 noch seinen 50. Geburtstag gefeiert, den Rückweg dann allerdings nicht überlebt.
Gern verweisen die de Boers auf eine Stelle in Sorges Tagebüchern, in der geschildert wird, wie begeistert Wegener über die Ergebnisse seiner Kollegen und speziell über die Höhle Eismitte war. Wichtig sei dies auch deshalb, weil Ernst Sorge nach der Rückkehr um seinen wissenschaftlichen Anteil an der Expedition kämpfen musste. Zu denen, die die Schuldfrage stellten, gehörte Wegeners Bruder Kurt. Vor allem Georgi wollte Verdächtigungen nicht auf sich sitzen lassen, so traf man sich schließlich sogar vor Gericht.
1935 leitete Sorge auf eigene Faust eine Forschungsfahrt nach Spitzbergen, bei der ihn seine Frau Gerda und der Fotograf Hermann Jughenn begleiteten. Unter den Nazis habe die Grönlandforschung dann aber an Bedeutung verloren.
Die Karte der Spitzbergentour hängt heute neben vielen Fotos bei de Boers in der Wohnung. Mit den Nachfahren der Jughenns sind sie befreundet.
Als Ernst Sorge starb, war Tochter Astrid fünf Jahre alt. Nach der Wende suchte sie nach dem Grab des Vaters in Arnstadt, dass da schon aufgelöst war. Kontrakte bestehen noch nach Bösleben, wo man sich an Ernst Sorge aus dessen Zeit als Spielzeugverkäufer erinnert.