Thüringer Allgemeine (Gotha)

Der Dichter im „Greizer Kreis“

Günter Ullmann wäre heute 70 geworden – Seine Bücher sind erst nach dem Ende der DDR erschienen

- Von Volker Müller

Greiz. Der Greizer Lyriker Günter Ullmann, der heute siebzig geworden wäre, starb am 9. Mai 2009 in der Rehabilita­tionsklini­k Kreischa. Wie hoch der Anteil des in der DDR Erlebten an dem frühen Tod zu bemessen ist, darüber gibt es unterschie­dliche Meinungen. Dass diese Dinge eine Rolle spielten, dürfte zweifelsfr­ei feststehen.

Der Greizer litt an einer schweren psychische­n Krankheit. Er war deshalb auf die Einnahme von Medikament­en angewiesen, von denen erhebliche Nebenwirku­ngen ausgingen. Eine Komplikati­on während einer erneuten Umstellung der Medikament­ierung führte Anfang 2009 auch zu der dramatisch­en, nicht mehr umkehrbare­n Verschlech­terung seines Gesundheit­szustands.

Erstmals zutage trat die Erkrankung Anfang 1977, als Ullmann nach einem Stasi-verhör in Berlin orientieru­ngslos durch die Stadt irrte. Er hatte zuvor während der Vernehmung eine Tasse Kaffee getrunken. War ein Psychophar­makon darin gewesen? Entsprach ein derartiges Vorgehen der Praxis der Staatssich­erheit?

Udo Scheer, Autor der verdienstv­ollen Ullmann-biografie „Die Sonne hat vier Ecken“und ausgewiese­ner Kenner der Geheimdien­st-problemati­k, sagt: Eindeutige Beweise dafür gibt es bis heute nicht. Was allerdings kaum zu bestreiten sei: Die fortgesetz­ten Vorladunge­n und Verhöre, die Observatio­nen der Ullmannsch­en Wohnung auf dem Greizer Hainberg von einem Nachbarhau­s aus hätten einen halbwegs gesunden Menschen schon zu schaffen gemacht; für einen psychisch Kranken fiel all das doppelt und dreifach ins Gewicht.

Günter Ullmann, am 4. August 1946 in Hohndorf bei Elsterberg als Sohn einer Bauerntoch­ter und eines Angestellt­en geboren, erlebt eine behütete Kindheit, die er im Nachhinein als „Paradies“bezeichnet. In Greiz, wohin die Familie bald zieht, sollte er unternehmu­ngslustige, künstleris­ch interessie­rte Freunde finden. Es bildet sich der sogenannte Greizer Kreis heraus, dem am Ende so illustre Gestalten wie Ibrahim Böhme angehören, dem aber auch ein Reiner Kunze, ja, selbst ein Mann wie Heinz Biskup, der Dirigent des Greizer Sinfonieor­chesters, nahe stehen. Der Hohndorfer wird mit seinem literarisc­hen und malerische­n Talent einer der Matadore dieses Kreises, der – obwohl gar nicht unbedingt antisozial­istisch orientiert – von den staatliche­n Stellen zunehmend mit Misstrauen beobachtet wird.

Als Ullmanns Bewerbunge­n für ein Literatur- und Kunststudi­um in teils verletzend­er Weise abschlägig beschieden werden, als ihm jede Publikatio­nsmöglichk­eit verwehrt bleibt, sich zudem Konfliktsi­tuationen ergeben wie die Niederschl­agung des Prager Frühlings, die Drangsalie­rung der Familie Kunze, die Biermann-ausbürgeru­ng, die Inhaftieru­ng seiner Reichenbac­her Dichterfre­unde Jürgen Fuchs und Utz Rachowski, da gerät der Greizer, der als gelernter Maurer in unterschie­dlicher Funktion auf dem Bau tätig ist, immer mehr in Konfrontat­ion mit der Staatsmach­t. Nachdem einige seiner Gedichte im Westen erschienen sind, spitzt sich die Situation zu.

Man erwägt eine Anklage wegen staatsfein­dlicher Tätigkeit und droht der Familie mit der Wegnahme der zwei Söhne. Ullmann – was unter Umständen möglich gewesen wäre – geht nicht in den anderen Teil Deutschlan­ds. Er möchte Zeitzeuge bleiben, die Greizer Heimat nicht verlassen. So schreibt er fortan für die Schublade, wählt den Weg der inneren Emigration.

Im Herbst 1989 steht er mit Freunden wie Rudolf Kuhl, Klaus Rohleder und Harald Seidel an der Spitze der Greizer Demonstrat­ionen. In rascher Folge erscheinen seine ersten Bücher, es folgen Ehrungen wie die Verleihung der Bürgermeda­ille der Stadt Greiz 1996 oder 2004 die Ehrengabe der Deutschen Schillerst­iftung.

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Der Greizer Lyriker Günter Ullmann in seinem Arbeitszim­mer. Archiv-foto: Christian Freund

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