100-Meter-rekordler Julian Reus träumt vom Coup am Zuckerhut
Der schnellste Mann Deutschlands liebäugelt im Staffelrennen mit Olympia-bronze. Heute letztes Training in Erfurt
Erfurt. Leistungssport, das ist wie ein Puzzlespiel. Erst, wenn alle Teile passen und optimal ineinander greifen, ergibt sich ein perfektes Bild. Und man braucht Geduld. So wie Julian Reus (28). „In diesem Jahr hat alles gepasst. Ich bin perfekt vorbereitet“, sagt der schnellste Mann Deutschlands, der heute ein letztes Mal den Kraftraum am Erfurter Olympiastützpunkt betreten wird, bevor er am Montag zu den Olympischen Spielen nach Rio de Janeiro fliegt.
Zum großen Glück fehlt nur noch ein Puzzleteil. Mit der deutschen Staffel will er am 19. August bei den Olympischen Spielen Bronze gewinnen. „Dass wir vorn dabei sein können, haben wir ja schon bewiesen“, sagt Reus. Bei der Weltmeisterschaft 2013 in Moskau und der WM zwei Jahre später in Peking sprintete das deutsche Quartett jeweils auf Rang vier.
Oft war Julian Reus verletzt. Lange quälte ihn eine Schambeinentzündung. Ein anderes Mal warfen ihn die Folgen eines Zeckenbisses aus der Bahn. Und im vergangenen Jahr bremste eine Verletzung am Oberschenkel-beuger den Erfurter Sprinter aus. „Diesmal aber ist Julian zum Glück völlig gesund durch den Sommer gekommen“, sagt sein Heimtrainer Gerhard Jäger.
Zu ihm pflegt Julian Reus ein ganz besonderes Verhältnis. Als er 2003 als 15-Jähriger ans Erfurter Sportgymnasium kam, übernahm Jäger die Betreuung des talentierten Sprinters. „Solche Voraussetzungen wie Julian bringen viele Leichtathleten mit. Viele hören aber auch später schnell wieder auf. Dass Julian solch eine Entwicklung genommen hat, ist auch für mich eine einmalige Situation“, sagt Jäger.
Dabei gab es zwischenzeitlich eine Auszeit. 2008 und 2009 trainierte Reus beim TV Wattenscheid, dessen Trikot er trägt. Seinen Lebensmittelpunkt aber verlegte er 2010 zurück nach Thüringen – und zu Gerhard Jäger. „Inzwischen ist eine Vertrauensbasis gewachsen, die mir als Athlet eine Sicherheit gibt“, sagt Reus: „Wir diskutieren gemeinsam und manchmal gibt es auch Reibungspunkte. All das hat uns weitergebracht.“
Vertrauensbasis mit Heimtrainer Jäger
Erster Wettkampf in Rio steigt am 13. August
Nun hat Julian Reus rechtzeitig vor dem Saisonhöhepunkt in Brasilien mit dem deutschen Rekord von 10,01 Sekunden seine Leistungsstärke einmal mehr bestätigt, nachdem er schon am 24. Juni in Zeulenroda die Bestmarke auf 10,03 Sekunden gedrückt hatte. Auch der Tag in Mannheim war wie ein Puzzlespiel. Die Tagesform, die Windverhältnisse, der Rahmen im Mannheimer Stadion, die Konkurrenz – alle Teile haben gepasst.
Aber der 100-m-sprinter will sich nicht reduzieren lassen auf diese knapp zehn Sekunden. Zuversicht gibt ihm die komplette Saison, in der er bislang sieben 100-m-rennen bestritt. „Ich war in diesem Jahr nie langsamer als 10,30 Sekunden. Die Gewissheit, dass ich beständig solche Zeiten laufen kann, gibt mir Kraft und Sicherheit“, sagt Reus.
Wenn Julian Reus am Montag nach Rio fliegt, wird er dort nicht viel mitbekommen vom Flair der Olympischen Spiele. Er ist einzig und allein fokussiert auf seine Wettbewerbe, die erst am 13. August mit den 100-mvorläufen beginnen. „Das stört mich nicht. Ich lebe für meinen Sport und bin kein Pin-sammler oder Autogrammjäger“, sagt der Erfurter Sportsoldat.
Er klingt selbstbewusst und konzentriert. Reus will ins Halbfinale, zudem startet er über die 200 Meter. Aber der große Coup soll am 19. August im Staffelrennen gelingen. „Mir ist klar, dass alles passen muss“, sagt Reus.
Auch das Staffelrennen eben wie ein Puzzlespiel. ist