Musikalische Erinnerungen: Das Genie war in Gotha
Vocalkreis Gotha und das Ensemble „Thüringen Barock“interpretieren Werke von Christian Friedrich Witt und Johann Sebastian Bach
Gotha. Es war Karfreitag, der 26. März 1717. Die traditionelle Passionsmusik in der Schlosskirche stand an, doch Hofkapellmeister Christian Friedrich Witt lag todsterbenskrank darnieder. Für ihn sprang der 32-jährige Weimarer Konzertmeister Johann Sebastian Bach ein – und führte seine erste Passionskantate auf.
Zwar ist die nicht mehr auffindbar, doch das ist noch lange kein Grund, Bachs zufälligen Wirkens in Gotha nicht zu gedenken. Genau auf den Tag 300 Jahre später, am Sonntag Laetare, musizierte das Vocalkreis Gotha (Einstudierung: Andreas Pawella) zusammen mit dem Ensemble „Thüringen Barock“in der Margarethenkirche. Die Leitung hatte Kirchenmusikdirektor Jens Goldhardt. Es erklangen Werke von Witt und Bach – von Letzterem solche, die etwa um die Zeit seines Einspringens in Gotha entstanden sein müssen.
Im Mittelpunkt standen drei Kantaten: „Es ging ein Sämann zu säen“und „Sehet, wir gehen hinauf nach Jerusalem“von Witt sowie „Widerstehe doch der Sünde“von Johann Sebastian Bach. Die Chorkantate „Es ging ein Sämann“ist kurz, aber prägnant in ihrer Wirkung; in ihr wechseln Zitate aus dem Lukasevangelium und Choräle einander ab. Wieder einmal bewies der Vocalkreis, dass die Gothaer Kirchenmusik neben dem Bachchor, der große oratorische Werke aufführt, auch über einen nahezu professionell agierenden Kammerchor verfügt.
In der Kantate „Sehet, wir gehen“, ursprünglich komponiert für Alt, Bass, Tenor, vierstimmigen gemischten Chor, Streicher und Basso continuo, sang der den Gothaern eigentlich als Altus wohlbekannte Thomas Riede mit angenehmem Timbre die Basspartie, während die übrigen Soli von mehreren Chorstimmen übernommen wurden – mit einem insgesamt hörenswerten Ergebnis.
In Bachs Solokantate „Widerstehe doch“– zwei Da-capoarien, verbunden durch ein Rezitativ – war Riede mit seinem einschmeichelnden Altus zu hören. Da er weit hinten im Altarraum stand, verwässerte der kräftige Nachhall die Konturen leider ein wenig.
Sehr schöne Instrumentalmusik servierte „Thüringen Barock“zu Beginn und zwischendurch mit einer Sonate in C, einer Intrada in G und einer Suite in F von Witt, wobei sich die Musiker auf der Höhe der „historisch informierten Aufführungspraxis“ zeigten. In der Suite stach besonders die Gavotte hervor im Spannungsfeld zwischen leichtfüßig und urwüchsig.
Auch die große Schuke-orgel kam zu Wort: Jens Goldhardt spielte als vorletztes Werk des Konzerts Bachs Partita über „Sei gegrüßet, Jesu gütig“– einen Choral, der auch anschließend in Witts Kantate „Sehet, wir gehen“eine Rolle spielen sollte. In diesem Variationszyklus zog Jens Goldhardt wie stets „alle Register“seiner Klangfarbenkunst, erreichte durch den Kontrast sehr individuell gefärbter Stimmen wunderbar durchsichtige Klangstrukturen und verlieh den einzelnen Variationen damit einen je sehr individuellen Charakter.