Klimagesetz: Thüringen muss jetzt zu einer Entscheidung finden
G Viktor Wesselak ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule Nordhausen
Theresa Schödensack
Oh, du herrliche Sommerzeit, beehrst du uns endlich mit deiner Anwesenheit?
Die Sonne strahlt, die Vöglein singen, jetzt ist die Zeit, in der mir Pollen in die Nase springen. Der Gesichtserker läuft und die Augen tränen, man kann sich gegen den feinen Blütenstaub nicht wirklich wehren. Und auch von der erblühenden und bunten Natur kann ich leider nur schemenhaft etwas erkennen, die Pollen scheinen mir Löcher in meine Hornhaut zu brennen.
Oh, du herrliche Sommerzeit, beehrst du uns endlich mit deiner Anwesenheit?
Ja er ist‘s, der Sommer, ich kann ihn förmlich riechen. Ich kenne viele, die sich deshalb in ihr Kämmerchen verkriechen. Aber nicht mit mir mein sommerlicher Freund, das sag ich dir, du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich gegen dich und deine Pollen verlier. Denn es gibt da eine ganz bestimmte Sache, die ich im Sonnenschein einfach viel zu gerne mache.
Oh, du herrliche Sommerzeit, beehrst du uns endlich mit deiner Anwesenheit?
Was ist‘s wohl, was kann es sein, meine verquollenen Augen mögen es mir verzeihn. Es ist der Anblick von glühender Kohle, den ich mir in meinen Garten hole. Es ist der Geruch der Thüringer Rostbratwurst, da ist mir meine laufende Nase ganz herzlich schnurz.
Oh, du herrliche Sommerzeit, beehrst du uns endlich mit deiner Anwesenheit?
Doch Thüringer Grillfreunde wissen es besser, denn braten, bräteln, rosten und grillen kann man bei jedem Wetter. Nordhausen. Vor wenigen Monaten ist das auf der Un-klimakonferenz in Paris beschlossene Weltklimaabkommen in Kraft getreten. Das Abkommen verfolgt das Ziel, die Erderwärmung bis zum Jahr 2050 auf unter zwei Grad zu begrenzen. Dazu sollen die Netto-treibhausgasemissionen zwischen 2045 und 2060 auf null zurückgefahren werden. Das heißt: nur noch die Menge an Treibhausgasen darf freigesetzt werden, wie in dem selben Zeitraum über natürliche Prozesse wieder eingebunden wird. Damit endet das Zeitalter der fossilen Energien.
Deutschland hat sich in seinem jüngst veröffentlichten Klimaschutzplan verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen 2030 um mindestens 55 Prozent, 2040 um mindestens 70 Prozent und 2050 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren, jeweils bezogen auf das Vergleichsjahr 1990. Derzeit liegt Deutschland bei knapp 30 Prozent Reduktion.
An dieser Stelle der Diskussion lehnen sich viele Politiker und Verbandsvertreter in Thüringen entspannt zurück und erklären: hier ist Thüringen ja schon viel weiter.
Und tatsächlich, betrachtet man die Treibhausgasemissionen aus Thüringen, so liegen diese heute gut 55 Prozent unter den Werten von 1990. Hat Thüringen seinen Beitrag zu den bundesdeutschen Zielen für das Jahr 2030 also heute schon erbracht? Hat Thüringen gar einen komparativen Vorteil gegenüber anderen Bundesländern durch eine besonders effiziente oder emissionsarme Wirtschaft?
So richtig die Entwicklung der absoluten Emissionszahlen für Thüringen ist, so falsch wären die genannten Schlüsse. Für eine differenzierte Betrachtung sind drei weitere Faktoren zu berücksichtigen: Zunächst fällt auf, dass der Großteil der Emissionsminderung auf den Zeitraum zwischen 1990 und 1995 fällt, seither stagniert die Entwicklung. Zweitens erzeugt Thüringen mangels großer Kraftwerke und einem nur langsamen Ausbau der erneuerbaren Energien nur einen Teil seines Strombedarfs selbst. Mehr als die Hälfte des Stroms bezieht Thüringen aus den benachbarten Bundesländern – die entsprechenden Treibhausgasemissionen werden dort bilanziert. Drittens ist seit 1990 die Bevölkerung in Thüringen deutlich gesunken – die Treibhausgasemissionen verteilen sich also auf weniger Köpfe.
Berechnet man die pro-kopftreibhausgasemissionen und berücksichtigt ferner die durch den Thüringer Energieverbrauch in anderen Bundesländern verursachten Emissionen, so erhält man für das Jahr 2014 einen Wert von 9,5 Tonnen CO2 je Einwohner. Die Pro-kopfemissionen liegen damit etwas unter dem Bundesdurchschnitt von 11,1 Tonnen und sind der eher ländlich geprägten Struktur ohne ausgeprägte industrielle Ballungszentren geschuldet. Thüringen bewegt sich hierbei auf einem Niveau mit Sachsen, Schleswig-holstein oder Mecklenburg-vorpommern.
„Wer jetzt nicht handelt, verschärft die Probleme in den folgenden Dekaden.“
Professor Viktor Wesselak von der Hochschule Nordhausen
Kurz: Thüringen weist bundesdurchschnittliche Treibhausgasemissionen auf; eine Sonderrolle wie sie 1995, das heißt kurz nach einem Umbau des Energiesystems und einer weitgehenden Sanierung der Infrastruktur gegeben war, ist heute nicht mehr festzustellen.
Welche Anforderungen ergeben sich daraus an die Thüringer Klimapolitik? Eine angemessene Forderung – sowohl angesichts der globalen Herausforderungen als auch der Leistungsfähigkeit der Thüringer Wirtschaft – ist sicher eine den Bundeszielen entsprechende Reduktionsgeschwindigkeit. Das heißt in
dem Maß in dem der Bund sich verpflichtet hat, seine Treibhausgasemissionen zu reduzieren, sollen sie sich auch in Thüringen verringern. Übersetzt in Zahlen bedeutet dies, dass sich die heutigen Treibhausgasemissionen bis 2030 etwa um ein Drittel und bis 2040 um 60 Prozent verringern müssen.
Die derzeitigen Diskussionen um ein Thüringer Klimagesetz müssen zu einem entschlossenen Einstieg in die Treibhausgasreduktion führen. Der Ausbau erneuerbarer Energien und die Steigerung der Energieeffizienz sind dazu der Schlüssel. Denn denkt man die vor uns liegende Entwicklung von deren Ende her, so sind die uns zur Verfügung stehenden Zeiträume für den Technologiewandel überschaubar: wenn 2045 keine Kohlekraftwerke mehr am Netz sein sollen, dürfen heute keine mehr errichtet werden; wenn 2045 keine fossil angetriebenen Kraftfahrzeuge mehr im Verkehr sein sollen, dürfen nach 2030 keine mehr neu zugelassen werden; wenn 2045 keine fossil befeuerten Heizungskessel mehr im Einsatz sein sollen, dürfen nach 2025 keine mehr eingebaut werden. Wer jetzt nicht handelt, verschärft die Probleme in den folgenden Dekaden.