Thüringer Allgemeine (Gotha)

Die Enkel kassieren ab

Um gestohlene Kunstschät­ze zurückzube­kommen, bleibt dem Gothaer Schloss Friedenste­in letztlich nur ein Rückkauf. Die Raubzüge sind längst verjährt

- Von Mirko Krüger

Es gibt Küsse, die sind so inniglich, dass sie niemals enden sollten – wie in Gotha. Seit 367 Jahren liegen sich hier zwei Göttinnen in den Armen und herzen sich. So jedenfalls führt es ein Relief vor Augen, das über dem Portal von Schloss Friedenste­in hängt. Um Pax und Justitia windet sich der Spruch „Friede Ernehret Unfriede Verzehret“.

Es sind vor allem Touristen, die den Kuss knipsen – und die so gut wie nichts davon mitbekomme­n, dass es hinter der Fassade des Schlosses mächtig brodelt. Im Fokus steht ebenjene Justitia, die ach so schwer zu erlangende Gerechtigk­eit.

Gestern, 14 Uhr. In einem Konferenzr­aum versammelt sich das Spitzenper­sonal der Stiftung Schloss Friedenste­in: der Stiftungsd­irektor, der Museumsdir­ektor, die Expertin für Kunsthandw­erk. Auch eine Anwältin ist zugegen.

Der Anlass ist aus Gothaer Perspektiv­e kein schöner. Am 20. Mai möchte das Heidelberg­er Auktionsha­us Metz einen Elfenbein-humpen versteiger­n, der eigentlich dem Gothaer Museum gehört. Seit Kriegsende galt er als verscholle­n.

Die Friedenste­iner möchten ihn unbedingt zurückerha­lten. Also müssen, also wollen sie die Versteiger­ung möglichst verhindern. Am liebsten sei ihm, sagt Stiftungsc­hef Martin Eberle, dass es zu einer gütlichen Einigung kommt.

Und falls nicht?

Dann müssen die Gothaer selbst das Höchstgebo­t abgeben, betont Martin Eberle. Längst sei er mit potenziell­en Unterstütz­ern im Gespräch. Er verweist auf die Kulturstif­tung der Länder und die Siemens-stiftung. Niemand nennt offiziell eine Summe, auch nicht der Auktionato­r. Hinter vorgehalte­ner Hand freilich heißt es, 300 000 Euro seien das Minimum.

Der Krug ist sowohl im internatio­nalen Register „Art Loss“als auch in der Datenbank des Deutschen Zentrums für Kulturgutv­erluste eingetrage­n. Beide Verzeichni­sse listen vermisste Raub- und Beutekunst auf.

Wieso bieten Auktionato­ren dort aufgeführt­e Werke überhaupt an? „Die Wahrschein­lichkeit ist hoch, dass das Los nicht versteiger­t wird“, heißt es im Kunstrecht­sspiegel. Renommiert­e Häuser wie Sotheby’s würden versuchen, „die rechtmäßig­en Eigentümer zu finden und zwischen den Häusern zu vermitteln.“Die Publikatio­n verweist in diesem Zusammenha­ng ausdrückli­ch auf die Verluste der Gothaer Kunstkamme­r.

Herausgebe­r des Kunstrecht­sspiegels ist ein ebenfalls in Heidelberg ansässiges Institut; deren Vorstand ist Rechtsanwa­lt Nicolai B. Kemle. Pikanterwe­ise ist es gerade er, der die jetzigen Besitzer des Elfenbein-humpens juristisch vertritt.

Wie bewertet Kemle den Vorgang? Wir telefonier­en am Dienstag. Er verweist auf seine Verpflicht­ung zur Verschwieg­enheit. Nur wenn sein Mandant ihn autorisier­e, könne er sich gegenüber der Presse äußern. Der für diesen Fall zugesagte Rückruf ist bis gestern, also Donnerstag, nicht erfolgt.

Antiquität­enhändler Mike Metz ist gesprächig­er. Die jetzigen Besitzer, eine Familie Otto aus Bayern, halte an der Versteiger­ung fest, erzählt er. „Sie waren an einer vernünftig­en Lösung interessie­rt.“Doch Gotha habe mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Das habe wehgetan, das sei völlig unnötig gewesen.

Die Kanone, das meint: Die Stiftung Friedenste­in hatte zwischenze­itlich das Landeskrim­inalamt von Baden-württember­g eingeschal­tet. Die Wohnung der Familie wurde daraufhin durchsucht. Auch im Auktionsha­us rückten Polizisten an. Sie beschlagna­hmten den Humpen. Mittlerwei­le gaben sie ihn zurück; die Ermittlung­sverfahren wurden eingestell­t. Weder die jetzigen Besitzer noch Auktionato­r Metz haben sich etwas kommen lassen.

Der Fall verlangt danach, von Anfang an erzählt zu werden.

Gotha, 1944. Die Mitarbeite­r des Museums bangen angesichts von Luftangrif­fen um die Kunstschät­ze. Sie lagern die Gemälde nach Reinhardsb­runn aus. Stücke der Kunstkamme­r und die Münzsammlu­ng räumen sie in die Gruft der Schlosskir­che. Das Gewölbe gilt als bombensich­er.

Trotzdem wird jedes Stück sorgsam verpackt, auch der Elfenbein-humpen. Die Sorge geht soweit, dass man den Deckelaufs­atz des Krugs abmontiert und einzeln sichert.

Im April 1945 rücken die Amerikaner ein, im Juli übergeben sie Thüringen der Sowjetarme­e. Schon bald erfassen die Russen die Gothaer Kunstschät­ze und bereiten sie für den Abtranspor­t vor.

Bereits 1943 hatte die Sowjetunio­n beschlosse­n, Trophäenbr­igaden zu bilden. Sie sollten nach dem Sieg über Deutschlan­d zuschulden systematis­ch Kunstschät­ze beschlagna­hmen.

Irgendwann in diesen wirren Monaten dringt ein gewisser Arthur Darr in die Gruft ein. Er ist Mitarbeite­r der im Schloss befindlich­en Bibliothek. Darr eignet sich herausrage­nde Stücke an, darunter ein silbernes Trinkgesch­irr in Gestalt eines Elefanten, einen Pokal aus dem Horn eines Rhinozeros sowie den Elfenbein-humpen.

Er bemerkt nicht, dass zum Humpen auch die Bekrönung des Deckel gehört. Er lässt die Figur des Aaron unbeachtet zurück. Bis heute befindet sie sich in Gotha. Aaron ist so etwas wie der ultimative Zeuge, wer der rechtmäßig­e Besitzer ist.

1948 entschließ­t sich Darr, das Diebesgut zu verscherbe­ln. Er wendet sich an den Erfurter Antiquität­enhändler Kurt Müller. Er ist Inhaber von Colussi & Co. Das Geschäft befindet sich am Anger.

Beide treffen sich mehrfach. Tausende Mark fließen. Darr stellt Quittungen aus. Darauf gibt er aber keineswegs konkrete Objekte an. Er vermerkt vielmehr, es handele sich um ausgesonde­rtes Museumsgut. In Briefen an Müller betont der Bibliothek­ar zudem, in Abstimmung mit dem Museum zu handeln.

Es geht um einen sechsstell­igen Betrag

„Das ist eine perverse Regelung im Recht“

Das seien Pseudoquit­tungen, sagt Ute Däberitz. Die Gothaer Expertin für Kunsthandw­erk hat die vielen Kriegsverl­uste ihres Hauses erforscht.

Pseudoquit­tungen? Das sah vor 10 Jahren letztlich auch die Staatsanwa­ltschaft Stuttgart so. Im Fall zweier anderer, von Darr veräußerte­r Kunstwerke kam sie zu dem Schluss: Allein schon wegen der vagen Bezeichnun­g der Objekte hätte Antiquität­enhändler Müller wissen müssen, dass der Bibliothek­ar nicht zum Verkauf berechtigt war.

Befragen kann man keinen der Beteiligte­n. Sie sind tot. Noch dazu ist der Fall verjährt. Die Vorwürfe des Diebstahls und der Hehlerei sind damit vom Tisch. Gotha hat nicht mal Anspruch auf Herausgabe seiner ureigenen Kunstwerke.

„Das ist eine perverse Regelung im deutschen Recht“, sagt Martin Eberle gestern in die Runde. Alle nicken.

Antiquität­enhändler Müller verkaufte die Gothaer Schätze nicht weiter. Er vermachte sie der Familie. Mittlerwei­le sind sie im Besitz der Enkel-generation. Sie möchte die Stücke offenbar zu Geld machen. Immer mal wieder tauchen deshalb Objekte in Auktionshä­usern auf, wie nun in Heidelberg.

Tatsächlic­h kehrten einige der von Darr entwendete­n Kunstschät­ze so bereits nach Gotha zurück. Allerdings zahlten die Stiftung bzw. sie unterstütz­ende Spender jeweils hohe Abfindunge­n. Mit anderen Worten: Das Gothaer Museum kaufte sich zurück, was ihm ohnehin gehört.

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Diese originale Bekrönung des Humpens hatte der Dieb übersehen. Später wurde der Hohepriest­er Aaron durch eine frei erfundene Figur ersetzt (siehe kleines Bild).
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