Deutschland rückt nach rechts
Mit der Bundestagswahl endet die große Koalition. Die AFD wird drittstärkste Kraft. Ein Fünftel der ostdeutschen Wähler hilft ihr dabei
Erfurt. Wenn es einen Wettbewerb um die schnellste Koalitionsabsage nach einer Bundestagswahl gäbe, dann hätte ihn die SPD gestern gewonnen. Keine fünf Minuten sind seit der Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen vergangen, als sich Parteichef und Kanzlerkandidat Martin Schulz telefonisch mit seinen Spitzengenossen zusammenschaltet und beschließt, in die Opposition zu gehen. Damit ist das Ende der großen Koalition besiegelt.
In rekordverdächtiger Eile reagieren Schulz und sein Vorstand oder weniger deutlich eine wachsende Zustimmung für die AFD erkennen, und es kann niemanden mehr überraschen, dass sie nun im Bundestag sitzen wird. Doch wird erst seit dem gestrigen Abend so richtig klar, wie stark Deutschland mit dieser Bundestagswahl nach rechts rückt. Nicht nur, dass die SPD und die Linke jeweils zwischen 400 000 und 500 000 ihrer bisherigen Wähler an die AFD verlieren – nein: Der Union laufen ersten Umfragen zufolge mehr als eine Million Anhänger nach rechts davon.
Das spiegelt sich auch im dritten als historisch einzustufenden Fakt dieser Wahl wieder: Die CSU fährt in Bayern ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 ein und sinkt unter 40 Prozent, was für bayerische Verhältnisse einer Katastrophe gleichkommt. Partei- und Regierungschef Horst Seehofer selbst spricht noch am Abend von einer offenen Flanke auf der rechten Seite. Das heißt übersetzt: Selbst die zuweilen rechtspopulistisch anmutende Rhetorik der Christsozialen war vielen Wählern nicht rechts genug.
Das bayerische Debakel dürfte in den nächsten Tagen jedoch schnell in der Auseinandersetzung um ein anderes untergehen: das der Ostdeutschen. Mehr als ein Fünftel der Wähler zwischen Ostsee und Thüringer Wald hat seine Stimme der AFD gegeben. Die ist damit die zweitstärkste Partei in den neuen Bundesländern – knapp fünf Prozentpunkte nach der CDU und ebenso weit vor den Linken. Schwerer Schlag für Merkel Die Union bleibt klar die stärkste Kraft in Deutschland. Aber sie muss deutliche Verluste hinnehmen. Nun dringt die CSU auf einen konservativeren Kurs.
▶ Partys und Tränen
Die einen jubeln, die anderen trauern. Unsere Reporter berichten vom Wahlabend der Parteien und den Reaktionen in Berlin, München und Erfurt.
▶ Debes’ Zwischenruf
Nach der Wahl ist vor der Wahl, meint Ta-chefreporter Martin Debes und erklärt, welche Folgen das gestrige Wahlergebnis für Thüringen haben könnte.
▶ Thüringen auf einen Blick
So unterschiedlich wurde im Freistaat gewählt. Ausführliche Ergebnisse aus allen Wahlkreisen sowie den Landkreisen und den kreisfreien Städten.
▶ So hat Ihre Region gewählt Berichte aus Ihrem Wahlkreis mit Porträts der erfolgreichen Direktkandidaten, ersten Reaktionen und den Ergebnissen aus allen Wahllokalen.
▶ Alle Infos und Tabellen im Netz:
www.thueringerallgemeine.de/wahl